Karlsruhe – Stadt der Demokratie und des Rechts

Erinnerungsorte in Baden-Württemberg

„Karlsruhe wiegt Gesetze, Karlsruhe wägt Gesetze, Karlsruhe verwirft sie, Karlsruhe billigt sie, Karlsruhe fordert auf, ein neues Gesetz zu schreiben. Karlsruhe hat Macht“, so Heribert Prantl in einem Artikel mit dem Titel Gericht des Grundgesetzes: Die Karlsruher Republik. In dem Beitrag des Redakteurs der Süddeutschen Zeitung aus dem Jahr 2009 geht es um die Frage, wo die deutsche Politik wirklich gemacht werde, in Berlin oder in Karlsruhe, also von Bundesregierung und Bundestag oder vom Bundesverfassungsgericht. Prantl endet mit der Feststellung: „Wenn man von einer ,Karlsruher Republik‘ spricht, ist das durchaus ein Ehrentitel – für das Gericht und für das Land.“ Natürlich ist dies darüber hinaus und nicht zuletzt auch ein Ehrentitel für die Stadt Karlsruhe.

Die Ansiedlung der beiden höchsten Gerichte der Bundesrepublik Deutschland, Bundesverfassungsgericht und Bundesgerichtshof einschließlich Bundesanwaltschaft, in der ehemaligen badischen Landeshauptstadt knüpft an eine lange Geschichte an, in der Karlsruhe immer wieder im Mittelpunkt von Diskussionen und Entwicklungen stand, die die Demokratie in Deutschland vorbereiteten und weiterbrachten. Karlsruhe kann seine Rolle als aktuelle Residenz des Rechts auch historisch begründen.

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Autor: Ernst Otto Bräunche

Der Text von Ernst Otto Bräunche erschien unter dem Titel „Karlsruhe – Stadt der Demokratie und des Rechts“ in dem „Baden-Württembergische Erinnerungsorte“ anlässlich des 60. Jahrestages von Baden-Württemberg. Darin werden 51 Erinnerungsorte Baden-Württembergs vorgestellt.

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Karlsruhe: „Klima geistiger Freiheit“

Dass Karlsruhe eine solche Stellung als Stadt der Demokratie und des Rechts gewinnen konnte, hängt ganz wesentlich mit der Funktion als Residenz der Markgrafen von Baden und als badische Landeshauptstadt von 1715 bis 1945 zusammen. Schon der nur drei Monate nach der Grundsteinlegung zum neuen Residenzschloss des badischen Markgrafen Karl Wilhelm am 17. Juni 1715 veröffentlichte Gründungsaufruf der Stadt fand eine bis dahin von kaum einem anderen Aufruf erreichte Publizität. Er wurde in allen badischen Ämtern verlesen und fand als Druckschrift auch Verbreitung außerhalb der Markgrafschaft Baden-Durlach. Darüber hinaus erschien er in einigen französischen Zeitungen. Neu war auch, dass sich erstmals in einer Residenzstadt Juden niederlassen durften. Die Neubürger – ob christlicher oder jüdischer Konfession – waren von Leibeigenschaft und Frondiensten befreit und erhielten einen Bauplatz nebst Baumaterial, Steuerfreiheiten, eine bürgerliche Gerichtsbarkeit sowie ein Anhörungs- und Vorschlagsrecht.

Trotz der für die Zeit weitgehenden Privilegien bewegte sich der Markgraf mit diesem Ansiedlungsaufruf durchaus noch im absolutistisch geprägten Kontext. Doch bereits sein Nachfolger Markgraf Karl Friedrich, ein Vertreter des aufgeklärten Absolutismus, setzte neue Maßstäbe mit der Förderung des Unterrichtswesens und der bürgerlichen Rechtspflege, der Aufhebung der Folter (1767) und der Leibeigenschaft (1783) sowie dem Erlass des Judenedikts (1806), das den Emanzipationsprozess der Juden in Baden einleitete. Der Verbesserung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Landes dienten der Bau von Landstraßen, Kanälen und die Anlage landwirtschaftlicher Musterbetriebe.

Zusammen mit Markgräfin Karoline Luise verschaffte er der Karlsruher Residenz den Ruf eines „Musenhofes“, der der Bedeutung des kleinen Landes weit voraus war. Das Fürstenpaar zählte zu seinen Gästen Voltaire, Herder, Lavater, Goethe, Klopstock, Gluck und Wieland. Es schuf so ein von geistiger Freiheit geprägtes Klima, wie es der Tradition der Oberrheinregion entsprach, in der sich unterschiedliche geistige und kulturelle Strömungen überlagerten und gegenseitig beeinflussten. Noch mehr in den Blickpunkt der deutschen und europäischen Öffentlichkeit rückte die Großherzoglich Badische Haupt- und Residenzstadt Karlsruhe, wie man sich stolz nach dem Aufstieg der kleinen badischen Markgrafschaft zum Großherzogtum nannte, aber erst im 19. Jahrhundert.

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„Ganz Deutschland blickte nach dem Ständehaussaal in Karlsruhe“

Durch eine ausgesprochen geschickte Bündnispolitik mit dem Napoleonischen Frankreich war die Markgrafschaft 1803 zum Kurfürstentum, 1806 zum Großherzogtum Baden aufgestiegen. Damit verbunden waren ein enormer Bevölkerungszuwachs und große Landgewinne: Das Territorium hatte sich fast vervierfacht, die Bevölkerungszahl war von 165 000 auf 900 000 angestiegen. Bestätigt wurde der badische Aufstieg schließlich auf dem Wiener Kongress im Jahr 1815, da das Großherzogtum 1813 rechtzeitig in das Lager der Napoleongegner gewechselt war. Mit der Bedeutungszunahme des Landes stieg auch diejenige Karlsruhes. Die Stadt wuchs und erhielt durch die Neubauten Friedrich Weinbrenners vor allem um den Marktplatz ihr klassizistisches Gepräge. Von Weinbrenner geplant, aber von seinem Schüler Friedrich Arnold gebaut, entstand in Karlsruhe auch das erste deutsche Parlamentsgebäude, das Badische Ständehaus, in das die Abgeordneten im Jahr 1822 einziehen konnten.

Wenn man heute Orte sucht, die für die Entwicklung der Demokratie in Deutschland von Bedeutung waren, wird mit Sicherheit neben dem Hambacher Schloss und der Frankfurter Paulskirche auch das Badische Ständehaus in Karlsruhe genannt werden müssen. Dieses Ständehaus, in dessen Zweiter Kammer 63 von den wahlberechtigten Männern indirekt, das heißt über Wahlmänner gewählte Abgeordnete der Städte und Ämter saßen, war bald weit über die badischen Grenzen hinaus bekannt.

Die Grundlage für deren Arbeit hatte die Badische Verfassung von 1818 gelegt, die mit einigem Recht als die freiheitlichste des deutschen Frühkonstitutionalismus bezeichnet wird. Sie regelte die Zusammensetzung der Zweiten Kammer nach den Repräsentationsnormen der modernen bürgerlichen Gesellschaft und nicht mehr nach ständischen Gliederungskriterien. Trotz der bis 1918 andauernden formalen Vormachtstellung des Großherzogs war das Karlsruher Ständehaus eine der bedeutendsten Stätten, in denen die Demokratisierungsbestrebungen des 19. Jahrhunderts offenkundig geworden sind. Namen bedeutender Politiker wie Karl von Rotteck oder Carl Theodor Welcker, aber auch Franz Josef Ritter von Buß oder Friedrich Hecker und Gustav Struve dokumentieren dies nachdrücklich.

Die Diskussionen unter anderem über die Schaffung einer volkstümlichen Justiz, die Abschaffung der Fron und des Zehnten sowie über die Anerkennung der Pressefreiheit fanden Beachtung weit über Karlsruhe und Baden hinaus. Der Historiker Franz Schnabel hat deshalb zurecht festgestellt: „Ganz Deutschland blickte nach dem Ständehaussaal in Karlsruhe, wo die umjubelten Volksführer die Fragen der Einheit und Freiheit zum ersten Mal öffentlich erörterten und der Kampf gegen das alte System einen oft sehr dramatischen Verlauf nahm. Auf den Tribünen drängten sich die Zuschauer, die von weither angereist waren. Und die fremden Diplomaten berichteten eingehend nach Hause von dem ungewohnten Schauspiel einer öffentlichen ständischen Versammlung in Deutschland. Die badischen Landtage wurden die eigentliche Schule des vormärzlichen Liberalismus.“

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Revolution 1848/49: „Da stirbt man ja gerne, wenn es so in der Welt zugeht.“

Als der Abgeordnete Friedrich Daniel Bassermann am 12. Februar 1848 im Ständehaus die Schaffung einer Volksvertretung neben dem Bundestag in Frankfurt forderte, stand Karlsruhe einmal mehr im Blickpunkt der Öffentlichkeit. Bassermann konnte sich mit seiner Forderung nicht nur der ungeteilten Aufmerksamkeit, sondern auch einer breiten Zustimmung über Baden hinaus erfreuen. Die wiederholt im Ständehaus geäußerte Befürchtung, dass eine Revolution bevorstehe, wenn nicht entscheidende demokratische Fortschritte erzielt würden, sorgte in Karlsruhe allerdings für einige Unruhe.

Als sich aber am 25. Februar die Nachricht aus Frankreich wie ein Lauffeuer verbreitete, dass König Louis-Philippe als Folge der bürgerlich-demokratischen Revolution zurückgetreten sei, und erst recht, als zwei Tage später die Ausrufung der Republik im Nachbarland bekannt wurde, war „die Wirkung […] eine in der friedlichen Stadt unerhörte“. Der als strammer Nationalliberaler bekannte Direktor des Badischen Generallandesarchivs Friedrich von Weech berichtete in seiner Karlsruher Stadtgeschichte Ende der 1890er- Jahre auch von einer schwerkranken, hoch betagten Karlsruher Bürgersfrau, die angesichts der Vorfälle in Paris ausgerufen haben soll: „Da stirbt man ja gerne, wenn es so in der Welt zugeht.“

Trotz dieser vornehmen residenzstädtischen Zurückhaltung gegenüber den revolutionären Bestrebungen hatte die deutsche Revolution von 1848/49 nicht zufällig in Baden einen ihrer Brennpunkte. Das Badische Parlament im Ständehaus diente dem gesamtdeutschen Parlament in der Frankfurter Paulskirche auch explizit als Vorbild. Als der preußische König Friedrich Wilhelm IV. 1849 die ihm von der Paulskirchenversammlung angebotene Kaiserkrone ablehnte, kam es in Baden zu einem Aufstand des Militärs und eines Teils der Bevölkerung, der nach der Flucht des Großherzogs zur Übernahme der Regierung durch die Volksvereine führte. Baden war damit für wenige Wochen eine Republik, was zu dieser Zeit seinesgleichen in Deutschland suchte – und Karlsruhe war die Hauptstadt dieser Republik.

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Beginn einer neuen, liberalen Ära

In der Landeshauptstadt hatte sich aber nicht nur die erwähnte Bürgersfrau, sondern das Bürgertum in seiner Mehrheit trotz einer durchaus nennenswerten Zahl demokratisch Gesinnter als monarchietreu erwiesen. Die Karlsruher Bürgerwehr hatte den Großherzog sogar verteidigt, wofür sie nach dem Scheitern der Revolution von diesem auch hoch gelobt wurde und als einzige im Lande ihre Waffen nicht abgeben musste. Eine offizielle Festschrift der Stadt Karlsruhe aus dem Jahr 1858 beschrieb die rund zehn Jahre zurückliegenden Vorgänge der 1848/49er-Revolution deshalb auch entsprechend: „Diese trübe Zeit gab den Karlsruhern aber auch Gelegenheit, ihre alt gerühmte Anhänglichkeit an das fürstliche Haus im höchsten und ernstesten Sinne zu bewahrheiten. Das in jeglicher Beziehung ausgezeichnete Verhalten der Stadt während des wirrevollen Jahres 1848 und des unseligen Aufstandes vom 13. Mai bis zum 25. Juni 1849 wird einst rühmlich in den Jahrbüchern des badischen Staates verzeichnet stehen.“

Aber nicht die Karlsruher Bürgerwehr, sondern Truppen des Deutschen Bundes unter Führung des „Kartätschenprinzen“, des späteren deutschen Kaisers Wilhelm I., bereiteten dem demokratisch-republikanischen badischen Zwischenspiel ein jähes Ende. In dem nun unter preußischer Besatzung stehenden Land und in seiner Hauptstadt endete die Restaurationsphase mit dem Beginn einer neuen liberalen Ära unter dem seit 1852 herrschenden Großherzog Friedrich I. Nun gewann das Karlsruher Ständehaus in den 1860er-Jahren durch die hier bis 1871 praktizierte Abhängigkeit der Regierung vom Vertrauen des Parlaments noch einmal nationale Aufmerksamkeit. Das in dieser Zeit geschaffene Gerichtsverfassungsgesetz gilt als Meilenstein in der Rechtsgeschichte, da es erstmals die Möglichkeit eröffnete, verbriefte individuelle Rechte der Bürger gegenüber Rechtsverstößen des Staates einzuklagen.

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Dossier: Die Revolution 1848/1849 in Baden und Württemberg

Die Deutsche Revolution nahm in Baden ihren Anfang – und endete hier. Als erste revolutionäre Aktion in Deutschland gilt die Mannheimer Volksversammlung am 27. Februar 1848. Das Ende der Revolution ist die Niederlage der badischen Revolutionsarmee in der Festung Rastatt am 23. Juli 1849. Wie kam es zur Revolution? Und warum scheiterte sie? Diese Seite informiert über die Revolution in Baden, den Verlauf der Badischen Revolution und die Wege der Revolutionäre.

Dossier: Die Badische Revolution

„Mit Freude zur Kenntnis genommen“ – das erste Mädchengymnasium

Auch die Stadt selbst übernahm nun eine Schrittmacherfunktion im Bildungsbereich, wo die noch ausstehende Gleichberechtigung der Mädchen und Frauen vorbereitet wurde. Das erste deutsche Mädchengymnasium entstand 1893 in Karlsruhe, auf Initiative des fünf Jahre zuvor in Weimar unter der Leitung von Hedwig Kettler gegründeten Vereins „Frauenbildungsreform“, der die „wissenschaftliche Emanzipation“ der Frauen forderte und vorbereitete.

Der Karlsruher Stadtrat unterstützte das Anliegen und erklärte, er habe das Schulvorhaben „mit Freude zur Kenntnis genommen und sei gern bereit, dessen Bestrebungen durch unentgeltliche Stellung der [...] nötigen Räume zu fördern“. Im Gebäude der Höheren Mädchenschule wurden Räume samt Heizung und Beleuchtung zur Verfügung gestellt. Als 1897 finanzielle und personelle Schwierigkeiten auftraten, sprang die Stadt ein und übernahm das Gymnasium, auf das sich heute das Fichtegymnasium und das Lessinggymnasium berufen. 1899 verließen die ersten vier Abiturientinnen die Schule.

Schon 1885, zu einem Zeitpunkt, als jungen Frauen der Besuch einer Kunstakademie im Deutschen Reich noch generell verwehrt war, wurde die Malerinnenschule Karlsruhe gegründet. Auch hier ging die Stadt voran. Diese unterstützte ebenso wie das Großherzogtum Baden die Schule mit einem jährlichen Zuschuss. Rasch fand das Institut Anerkennung und Lob. So hieß es in der Straßburger Post vom 14. Oktober 1885: „In der badischen Hauptstadt ist ein neues großartiges Unternehmen ins Leben getreten: eine Malerinnenschule. Dieselbe ist nach Muster der Malerakademien eingerichtet und entspricht, mit Ausnahme des Umstandes, daß nur Damen zugelassen werden, vollständig den Einrichtungen und Zielen jener Kunstschulen.“

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„Großes Rennen“ – Demokratie im Ständehaus

Baden hatte als erstes Land nach der Revolution vom November 1918 eine verfassunggebende Nationalversammlung zu wählen. Da nun auch Frauen wählen durften, waren die Badenerinnen und mit ihnen die Karlsruherinnen die ersten deutschen Frauen, die von ihrem neuen Recht Gebrauch machen konnten. Die am 25. April 1919 in Kraft getretene demokratische Verfassung des Freistaats Baden schrieb das Frauenwahlrecht fest.

Baden hatte damit als erstes der deutschen Länder eine demokratische Verfassung und die Karlsruherinnen Clara Siebert (Zentrum) und Kunigunde Fischer (SPD) gehören zu den ersten weiblichen Landtagsabgeordneten der deutschen Geschichte. Die Heidelberger Abgeordnete Marianne Weber (DDP) ergriff am 15. Januar 1919 als erste Frau das Wort in einem Parlament in Deutschland. In Baden regierte von nun an eine „Weimarer Koalition“ von SPD, Zentrum und Deutscher Demokratischer Partei (DDP). Die politischen Verhältnisse blieben trotz schwieriger wirtschaftlicher Rahmenbedingungen bis in die Endphase der Weimarer Republik stabil.

Durch den verlorenen Ersten Weltkrieg war Baden erneut Grenzland geworden. Der Verlust Elsass-Lothringens als wichtiges Absatzgebiet erwies sich als ausgesprochen nachteilig für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes. Nun wurde es auch von dem bis dahin noch wirtschaftlich schwächeren Nachbarland Württemberg überholt. Dass sich die 1929 mit Macht einsetzende wirtschaftliche Krise nicht sofort auf die Kräfteverhältnisse im Badischen Landtag auswirkte, lag an dem Termin der Landtagswahl 1929 noch vor dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise. Die SPD warb mit einem anschaulichen Plakat mit dem Titel „Großes Rennen“ in diesem Wahlkampf, auf dem als Ziel das Ständehaus abgebildet ist. Die beiden demokratischen Partner der Weimarer Koalition, Zentrum und DDP, tauchen auf diesem Plakat gar nicht auf. Dafür waren unter den Gegnern schon die „Nazi-Sozi“ auf einem deutlich sichtbar nicht konkurrenzfähigen Vehikel zu sehen.

Tatsächlich gelang der NSDAP 1929 zwar der Einzug in den Landtag, allerdings mit nur sechs Abgeordneten. So konnten die Nationalsozialisten im Ständehaus nicht die traurige Rolle spielen, die sie seit 1930 in vielen anderen deutschen Parlamenten spielten. Gestützt auf eine eindeutige Mehrheit im Parlament ging die badische Regierung konsequent gegen die NSDAP mit Rede-, Versammlungs- und Zeitungsverboten vor. In den meisten deutschen Ländern waren zu diesem Zeitpunkt nur noch geschäftsführende Regierungen im Amt. Der „Kampf um die Straße“ verlief in Karlsruhe deshalb auch gemäßigter und weniger blutig als in anderen deutschen Landeshauptstädten.

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Das Ende von Badens „demokratischer Hauptstadt“

Erst als der Landtag im Zuge der nationalsozialistischen Machtübernahme widerrechtlich nach den Ergebnissen der Reichstagswahl vom 5. März umgebildet wurde, konnten die Nationalsozialisten auch hier triumphieren und das endgültige Ende des Badischen Ständehauses und das vorläufige Ende der Demokratie in Baden vorbereiten: Am 9. Juni tagte der Badische Landtag zum letzten Mal, am 14. Oktober 1933 wurde er aufgelöst und am 30. Januar 1934 durch das „Gesetz über den Neuaufbau des Reiches“ aufgehoben. Den Nationalsozialisten ist es letztlich auch zuzuschreiben, dass eine der zentralen Stätten demokratischen Wirkens im 19. und 20. Jahrhundert, das Badische Ständehaus in Karlsruhe, in dem von dem nationalsozialistischen Deutschland ausgelösten Zweiten Weltkrieg den Bomben der Alliierten zum Opfer fiel.

Mit dem Schicksal des Badischen Landtags war aber auch das des Landes Baden besiegelt. Nach 1945 entstand aus den zunächst an den jeweiligen Besatzungszonen ausgerichteten Ländern Württemberg-Baden (amerikanisch) und (Süd-) Baden (französisch) im Jahr 1952 nach langem Ringen und einer umstrittenen, da nicht nach den alten Ländergrenzen durchgeführten Volksabstimmung, das neue Land Baden- Württemberg. Karlsruhe verlor damit seine für die Stadtentwicklung prägende Funktion als Landeshauptstadt, in der kein Landtagsgebäude mehr benötigt wurde.

Die Ruine des Ständehauses wurde 1962 abgerissen, erst 1993 entstand ein neues Gebäude mit Bezug zur demokratischen Tradition des Ständehauses. Im Neuen Ständehaus befindet sich heute die Stadtbibliothek und die Erinnerungsstätte Ständehaus mit einer Dauerausstellung zu den Höhepunkten badischer Landtagsgeschichte. Unterhalten wird die Erinnerungsstätte von der Stadt Karlsruhe, die damit auch dokumentiert, dass die Geschichte des Ständehauses nicht nur Landesgeschichte, sondern auch integraler Bestandteil der Stadtgeschichte ist.

Die neue Residenz des Rechts: erst kommt der Bundesgerichtshof …

Bereits während des Zweiten Weltkriegs waren im Mai 1940 nach dem Sieg über Frankreich in Karlsruhe begründete Befürchtungen aufgekommen, die Stadt könne ihre Hauptstadtfunktion verlieren, die sie auch nach 1933 behalten hatte: Aus der Landeshauptstadt war nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten allerdings die Gau- und Landeshauptstadt geworden. Deren Verlegung nach Straßburg als Zentrum des neuen Gaus Baden-Elsass war 1940 tatsächlich schon beschlossene Sache.

Die Stadt zeigte deshalb sogleich die damit verbundenen negativen Folgen auf. Man befürchtete nach der Verlagerung der Landesbehörden den Verlust von bis zu 14 000 Einwohnern und drängte auf Kompensationen durch den Verbleib der Mittelbehörden wie Bahnund Postdirektion, Oberlandesgericht, Landesversicherungsanstalt und Badenwerk in der Stadt. Außerdem wurde argumentiert, ein Ersatz für diesen Verlust sei nur in einer sehr beträchtlichen Ausweitung des industriellen Sektors möglich. Darüber hinaus unterstrich man die Bedeutung aller Karlsruher Bildungsinstitutionen und kultureller Einrichtungen, deren Verbleib als unabdingbar für eine erfolgreiche Stadtentwicklung angesehen wurde.

Durchaus ähnliche Befürchtungen hatten dann auch die demokratisch gewählten Oberbürgermeister der unmittelbaren Nachkriegszeit, die ganz konkret vor der Aufgabe standen, Karlsruhes Absinken „auf eine dritte oder vierte Städtestufe“ zu verhindern. Der Stadt eine neue Identität zu verschaffen und zugleich weitgehende zentralörtliche Funktionen zu erhalten, bekam seither für das Handeln aller in Karlsruhe politisch Verantwortlichen einen außerordentlichen Rang. Das Karlsruher Zukunftskonzept lautete dabei – wie schon im Zweiten Weltkrieg vorgedacht: Ausbau der Industrie und des Handels bei gleichzeitiger Sicherung des Behördenplatzes und der Kunst- und Bildungsstadt Karlsruhe. So bewarb sich die Stadt unter Hinweis auf den notwendigen Ausgleich für verloren gegangene Behörden 1949 mit Unterstützung der Landesregierung um die Ansiedlung des Bundesgerichtshofs.

...als bundeszentrale Justizbehörde

Schon am 6. Oktober 1949 sprach Oberbürgermeister Friedrich Töpper in einem Schreiben an Bundeskanzler Konrad Adenauer „ganz besonders die Errichtung einer bundeszentralen Justizbehörde“ in Karlsruhe an. Ein Gebäude war bald gefunden, das auch die Zustimmung von Justizminister Thomas Dehler fand: das Erbgroßherzogliche Palais. In einer Denkschrift mit dem Titel Karlsruhe als Sitz des Obersten Bundesgerichts betonte die Stadt ihre Eignung und ihre Berechtigung, sich um den Standort des Bundesgerichtshofs zu bewerben: „Karlsruhe eignet sich nach dem Urteil anerkannter führender Persönlichkeiten der Rechtssprechung in hervorragendem Maße als Sitz des Obersten Bundesgerichts vermöge der wirtschaftlichen, politischen und auch verkehrlichen Verhältnisse.“ Hingewiesen wurde auch auf die demokratische Tradition der Stadt und des ehemaligen Landes Baden.

Die Bewerbung war aber kein Selbstläufer. Immerhin zwölf Städte hatten ihren Hut in den Ring geworfen, darunter auch die Stadt Köln, die – nicht überraschend – von ihrem vormaligen Oberbürgermeister und aktuellen Bundeskanzler Konrad Adenauer favorisiert wurde. Trotz dieser mehr als ungünstigen Ausgangslage blieb Karlsruhe beharrlich bei der Bewerbung und wurde schließlich belohnt. Am 20. Juni 1950 erhielt die Stadt mit 18 gegen vier Stimmen des zuständigen Ausschusses den Zuschlag als Sitz des Bundesgerichtshofes. Die favorisierten Kölner hatten sich allerdings zuvor selbst aus dem Rennen geworfen, da sie behaupteten, das in Karlsruhe vorgesehene Gebäude könne nicht rechtzeitig fertig werden.

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„Spione waren am Werk“

Unter der Überschrift „Spione waren am Werk“ berichteten die Badischen Neuesten Nachrichten am Tag vor der feierlichen Einweihung des Bundesgerichtshofs, dass eine „der konkurrierenden Städte […] heimlich Spione nach Karlsruhe“ geschickt habe, „um sich Bilddokumente zu verschaffen, die überzeugend darlegen sollten, daß Karlsruhe zu viel versprochen habe, daß es nämlich eine Ruine anbiete, die man nicht binnen Jahresfrist, geschweige denn in zwei Monaten wiederaufbauen könne“. Die „Spione“ hatten aber das im Krieg relativ unversehrt gebliebene Erbgroßherzogliche Palais mit dem in der Tat fast völlig zerstörten großherzoglichen Schloss verwechselt. Dies kam aber offensichtlich ebenso schlecht an wie die vom Bundeskanzleramt aufgestellte Behauptung, in Karlsruhe stünden viel zu wenig Wohnungen für die Richter und Bediensteten der neuen Behörde zur Verfügung. Die Stadtverwaltung konnte aber leicht nachweisen, dass sie bis zur Entscheidung in Bonn etwa 80 fertige Wohnungen trotz großer Wohnungsnot freigehalten hatte.

Am 8. Oktober 1950 fand dann im Erbgroßherzoglichen Palais nach einem Aus- und Umbau in Rekordzeit die feierliche Eröffnung des Bundesgerichtshofes durch Bundespräsident Theodor Heuss in Anwesenheit der politischen Prominenz der jungen Bundesrepublik statt. Der ebenfalls angekündigte Bundeskanzler Adenauer fehlte allerdings – ob aus Ärger über die Niederlage seiner Heimatstadt oder aus Scham über deren misslungene Spionageaktion muss dahingestellt bleiben.

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… dann das Bundesverfassungsgericht

Nachdem schon 1949 betont worden war, dass Bundesgerichtshof und Bundesverfassungsgericht wegen der Zugehörigkeit eines Teils der Richter zu beiden Gerichten möglichst an ein und demselben Ort angesiedelt sein sollten, war es naheliegend, dass das Bundeskabinett im Dezember 1950 beschloss, Karlsruhe auch als Sitz des Verfassungsgerichts vorzuschlagen. Adenauer war also zumindest in diesem Fall nicht nachtragend. Trotz starker Stimmen für Berlin folgte der Bundestag schließlich am 18. April 1951 dem Vorschlag der Bundesregierung. Das Gesetz sah aber vor, „daß das Bundesverfassungsgericht vorerst – d. h. vorläufig und bei der gegebenen Situation [gemeint war die Teilung des Landes] – seinen Sitz in Karlsruhe haben soll“.

Die Stadt hatte sich ebenfalls seit Oktober 1950 für die Einrichtung des Verfassungsgerichts in Karlsruhe eingesetzt und das Prinz-Max-Palais angeboten, einen von einem Bankier erbauten und von dem späteren letzten Reichskanzler des Kaiserreichs Prinz Max von Baden übernommenen gründerzeitlichen Monumentalbau. Knapp ein Jahr nach der Einweihung des Bundesgerichtshofs konnte es am 28. September mit einem Festakt im Karlsruher Schauspielhaus, bei dem wiederum der Bundespräsident und diesmal auch Kanzler Adenauer anwesend waren, eröffnet werden. Fortan sorgten die Gerichte regelmäßig für Schlagzeilen.

Die Karlsruher Rechtsprechung ist in der Folgezeit ohne Zweifel eine Säule der Bundesrepublik Deutschland geworden. Damit gerieten die Gerichte aber auch in den Blickwinkel der Gegner der Republik. In den 1970er-Jahren erreichte der Terror der Roten Armee Fraktion (RAF) deshalb auch Karlsruhe. Schon am 15. Mai 1972 wurde die Frau des ermittelnden Richters gegen die RAF bei einem Autobombenattentat verletzt. Fünf Jahre später fanden bei einem brutalen Mordanschlag am 7. April 1977 Generalbundesanwalt Siegfried Buback und seine Begleiter auf dem Weg zur Dienststelle den Tod. Ein Gedenkstein erinnert an diesen Anschlag. Wenige Monate später schlug am 25. August 1978 ein Raketenangriff auf die Bundesanwaltschaft und den Bundesgerichtshof fehl.

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Dossier: Bundesverfassungsgericht

Am 17. April 1951, hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe seine Arbeit aufgenommen. Als „Hüter der Verfassung“ entscheidet es über die Auslegung und Einhaltung des Grundgesetzes und ist der Öffentlichkeit vor allem durch die scharlachroten Roben der Richterinnen und Richter bekannt. Welche Aufgaben hat das Bundesverfassungsgericht?

Bundesverfassungsgericht

„Karlsruhe“ blieb als Markenkern erhalten

Gefährdet war aber auch mehrfach der Verbleib der beiden Gerichte in Karlsruhe. In den Jahren 1960 und 1961 war das Prinz-Max-Palais sowohl räumlich als auch von der Lage her an seine Grenzen gestoßen. Es genügte den Anforderungen des zentralen Verfassungsorgans der Bundesrepublik bei weitem nicht mehr. Die drohende Abwanderung nach München, wo das Gelände des ehemaligen Armeemuseums für einen Neubau angeboten worden war, verhinderte die Stadt durch die Aufgabe der Pläne des Wiederauf- bzw. Neubaus des Theaters am Schlossplatz. Dort wurde das neue Bundesverfassungsgericht von dem Architekten Paul Baumgarten gebaut. Das aus fünf mit Brücken miteinander verbundenen Einzelhäusern bestehende Gerichtsgebäude verzichtete bewusst auf eine Architektur der Macht und steht so trotz der nach den RAF-Anschlägen erforderlichen starken Polizeipräsenz bis heute für die beabsichtigte Bürgernähe.

Zur Eröffnung am 6. Mai 1969 unterstrich der Karlsruher Oberbürgermeister Günther Klotz die Bedeutung des Gerichts für die Stadt: „Das Bundesverfassungsgericht mußte Karlsruhe erhalten bleiben. Eine Stadt, als Residenz gebaut und mit dem Zuschnitt einer Residenz jung und kraftvoll geworden, hätte versagt, unverzeihlich versagt, hätte sie diese Institution, die einen beachtlichen Teil ihres spezifischen Gewichts ausmacht, nicht halten können.“

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„Residenz des Rechts“

Das zweite Mal stand Karlsruhe als „Residenz des Rechts“ nach der deutschen Wiedervereinigung zur Debatte. Prominente Fürsprecher wie der Altbundeskanzler Willy Brandt und viele andere plädierten 1990 für die Verlegung der Gerichte nach Leipzig. Der ehemalige Präsident des Bundesgerichtshofes Gerd Pfeiffer fasste prägnant die Gründe für den Verbleib zusammen: Unter anderem liege Karlsruhe zentral in Europa und ermögliche ein enges Zusammenwirken mit den europäischen Gerichten; die Bundesrepublik habe nicht nur ein, sondern fünf oberste Gerichte, die in Deutschland räumlich gut verteilt seien; es sei wegen der Unrechtsjustiz des Leipziger Reichsgerichts im „Dritten Reich“ „unzumutbar, zwischen diesem Reichsgericht und den Karlsruher Obersten Gerichten eine – wenn auch nur räumliche – Beziehung herzustellen“. Nach längeren Verhandlungen im Bundestag und seinen Ausschüssen wurde Karlsruhe dann als Sitz der Gerichte bestätigt.

Karlsruhe ist die Residenz des Rechts geblieben und auch die vor wenigen Jahren im Raum stehende Drohung, das Bundesverfassungsgerichts könne Karlsruhe verlassen, wenn ein in den Botanischen Garten hineinragender Erweiterungsbau nicht realisiert werde, änderte daran nichts, denn trotz zahlreicher Proteste konnte dieser Bau 2007 bezogen werden.

Karlsruhe steht seit der Ansiedlung der obersten Bundesgerichte im Blickpunkt der Öffentlichkeit und der Medien. Dem eingangs zitierten Artikel von Heribert Prantl wären unzählige andere und ebenso viele Ton- und Filmdokumente hinzuzufügen, die sich mit der Residenz des Rechts befassen. Dass Karlsruhe diesen Ehrentitel als Stadt der Demokratie und des Rechts aber auch aufgrund seiner Rolle vor 1945 durchaus zu Recht trägt, belegt dieser Beitrag zum Jubiläumsband des Landes Baden-Württemberg.

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Überblick: Erinnerungsorte in Baden-Württemberg

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