Phasen der Integrationspolitik nach 1945

in Baden-Württemberg

Vom Rotationsprinzip zur Integration

Die Ausländerpolitik – heute spricht man von Migrations- oder Integrationspolitik – war schon immer ein Zankapfel in Baden-Württemberg. Seit Beginn der Ausländerbeschäftigung versuchte das Land Einfluss in diesem politisch wichtigen Bereich auszuüben, beispielsweise mit dem Versuch, über den Bundesrat Rückkehrprämien einzuführen. Im Jahr 1973 sorgte der baden-württembergische Ministerpräsident Hans Filbinger (CDU) bundesweit für Schlagzeilen, als er das „Rotationsprinzip“ in die Debatte einbrachte. Nach einigen Jahren sollten die ausländischen Arbeitnehmer seiner Meinung nach gegen neue ausgetauscht werden. Diese Idee wurde von der damaligen Opposition und von den Gewerkschaften in Baden-Württemberg heftig kritisiert.

Das „Rotationsprinzip“ ließ sich aber schon deshalb nicht verwirklichen, weil die Wirtschaft sich dagegen sträubte. Sie war daran interessiert, bereits eingearbeitete ausländische Arbeitskräfte auch längerfristig zu behalten. Außerdem waren die Widerstände gegen solche Pläne auf Landes- und Bundesebene zu stark. Trotzdem setzte sich der Gedanke als „freiwillige Rotation“ in der deutschen Ausländerpolitik fest.
Der Anwerbestopp für „Gastarbeiter“, der 1973 nach der Ölpreiskrise und einer folgenden Wirtschaftsflaute verhängt wurde, erreichte dann genau das Gegenteil von dem, was beabsichtigt war: Statt die Ausländerzahlen zu verringern, führte er bald zu einem Anstieg. Diejenigen Migrantinnen und Migranten, die schon hier waren, blieben, denn sie wussten, dass sie nach einer Rückkehr in ihre frühere Heimat nicht mehr nach Deutschland zurückkehren konnten. Stattdessen holten sie verstärkt ihre Familien nach oder gründeten Familien in Deutschland, weil sie sich nun zum Bleiben entschieden hatten. Zwar ging die Zahl der ausländischen Arbeitskräfte in Baden-Württemberg zunächst um 25 Prozent zurück. Auch die ausländische Wohnbevölkerung verringerte sich um zehn Prozent, nicht aber die Zahl der hier lebenden schulpflichtigen Kinder. Sie stieg innerhalb von zwei Jahren um jährlich vier Prozent auf 105.000 im Jahr 1977 und stellte das Land vor große Integrationsprobleme.

Auch der Leitgedanke „Integration und Rückkehr“ wurde unter baden-württembergischer Beteiligung formuliert. Bereits 1975 veröffentlichte die Landesregierung eine umfassende „Denkschrift über ausländische Arbeitnehmer in Baden-Württemberg“, eines der ersten Dokumente dieser Art auf Landes- und Bundesebene. Zahlreiche Dokumentationen, Berichte und Vorschläge folgten im Lauf der Jahre. Nicht zuletzt aufgrund der Vorschläge aus Baden-Württemberg wurde 1975 gemäß der Absprache in einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe für das gesamte Bundesgebiet der Zuzug ausländischer Arbeitskräfte in sogenannte „überlastete Siedlungsgebiete“ begrenzt. Wie eine Fallstudie zu dieser Regionalsteuerung zeigt, führte die Sperre jedoch zu einem Arbeitskräftemangel in den Ballungsräumen und wurde schließlich aufgrund der Proteste aus den betroffenen Regionen wieder aufgehoben.
Ebenfalls im Jahr 1975 begann Baden-Württemberg, Rückkehrprämien an ausländische Arbeitnehmer zu zahlen. Solche Maßnahmen entsprachen durchaus der Stimmung in der deutschen Bevölkerung. Umfragen zufolge glaubte damals jeder zweite Bundesbürger, die ausländischen Arbeitskräfte seien schuld an der Arbeitslosigkeit in Deutschland. Ein „Rückkehrmodell“ für arbeitslose Jugoslawen, Einschränkungen des Familiennachzugs oder Forderungen nach einer restriktiven Asylpolitik – immer wieder übernahm die baden-württembergische Regierung, wie sie selbst formulierte, „bundespolitisch Schrittmacherdienste“. Bereits Anfang der 1970er-Jahre waren im Land Pläne zur Verringerung der Ausländerzahlen entwickelt worden, die dann rund zehn Jahre später von der Bundesregierung unter Helmut Kohl (CDU) aufgegriffen wurden. 1976 legte das Land einen Entwurf zur Novellierung des Ausländergesetzes vor, aus dem sich vieles im Entwurf des Bundesinnenministeriums vom Jahr 1983 wiederfinden sollte.

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Gegenstimmen: Der „Stuttgarter Weg“

Während auf Landes- und Bundesebene über viele Jahre hinweg und oftmals polemisch darüber diskutiert wurde, ob Deutschland nun ein Einwanderungsland sei oder nicht, haben vor allem die Kommunen früh erkannt, dass sie sich der Realität nicht verweigern können und dass Integration vor Ort geschieht. Städte wie Stuttgart, Mannheim oder Ulm haben früh eine vorausschauende und umfassende Integrationspolitik betrieben, unterstützt vor allem von Kirchen, Gewerkschaften und zahllosen ehrenamtlich Engagierten.
Ein hoher Stellenwert in der kommunal- und landespolitischen Migrationspolitik kommt Manfred Rommel (CDU) und der Stadt Stuttgart zu. „Aus den Wanderarbeitern der Sechzigerjahre wurden ausländische Dauerarbeitnehmer. De facto ist die Bundesrepublik Deutschland zu einem Einwanderungsland geworden.“ Diese Feststellung stammt nicht etwa aus einem Integrationsbericht heutiger Tage, sondern aus einer 400 Seiten starken „Ausländerstudie“ der Stadt Stuttgart aus dem Jahr 1976. Bereits damals zog die Landeshauptstadt aus dieser Erkenntnis die entsprechenden Konsequenzen in der kommunalen Ausländerpolitik und leitete auf zahlreichen Gebieten wie etwa bei den Kindertagesstätten Maßnahmen ein, die Ausländern und Deutschen zugutekommen sollten. In Leitlinien zur Ausländerpolitik, die der Gemeinderat einstimmig verabschiedete, stand als Eckpfeiler künftiger Maßnahmen: „Ausländische Einwohner sind im Interesse der Erhaltung der Wirtschafts- und Lebenskraft der Stadt Stuttgart und aus sozialpolitischen Gründen als dauerhafter Bestandteil der Stuttgarter Bevölkerung anzusehen.“ Weiter heißt es in dem Bericht von 1976: „Ohne ausländische Arbeitnehmer wäre das rasche Wirtschaftswachstum und die starke Erhöhung des Sozialprodukts nicht mehr möglich gewesen.“ Schon damals halfen die ausländischen Einwohner, den Bevölkerungsrückgang in Stuttgart, der durch Abwanderung von Deutschen und durch den Geburtenrückgang verursacht war, auszugleichen.

Die Grundlagen für die heutige Integrationspolitik in Stuttgart wurden frühzeitig unter Manfred Rommel geschaffen, der von 1974 bis 1996 Oberbürgermeister der Landeshauptstadt war. Rommel machte für seine Zeit geradezu revolutionäre Aussagen in der Ausländerpolitik und wurde dafür in Wahlkämpfen mit ausländerfeindlichen Parolen aus dem rechtsradikalen Lager angegriffen. Trotzdem wurde er immer wieder mit überwältigender Mehrheit im Amt bestätigt. So geht der Begriff der „multikulturellen Gesellschaft“, der heute noch immer in Frage gestellt wird, auch auf den Stuttgarter Alt-Oberbürgermeister zurück. Für Rommel war dieses Schlagwort nichts anderes als eine Beschreibung der Situation in seiner Stadt. Rommel wörtlich: „Die multikulturelle Gesellschaft existiert bereits. Und jede Kulturgesellschaft ist eine multikulturelle Gesellschaft. Eine Gesellschaft, in der nur eine kulturelle Strömung da ist und nichts Anderes, ist keine Kulturgesellschaft, ist eine sterile Gesellschaft. Die Vielfalt gehört zur Kultur, und um Vielfalt zu haben, braucht man auch Toleranz. Wenn hier Angehörige verschiedener Länder in einer Stadt sich begegnen, dann ist dies kein Nachteil, sondern ein Vorteil. Es wird immer so getan, als ob eine Politik, die die Interessen der ausländischen Mitbürger berücksichtigt, gegen die Deutschen gerichtet wäre. Im Gegenteil.“

Rommels migrationspolitische Aussagen sind noch immer aktuell. Erst in den letzten Jahren wurden manche seiner Ideen auch auf Bundesebene aufgegriffen, etwa mit der Deutschen Islamkonferenz. Weit vorausschauend sagte Manfred Rommel bereits 1988: „Ich kann mir also durchaus vorstellen, dass es in einer Stadt wie Stuttgart im Jahr 2030 einen Anteil von Ausländern und ehemaligen Ausländern an der Bevölkerung von 30 Prozent und mehr geben kann. Und ich halte dies, wenn rechtzeitig die richtige Politik gemacht wird, nicht für ein Verhängnis. Ich glaube vielmehr, dass die Zukunft in Europa den multinationalen Großstädten gehört.“

Heute ist diese Vision Rommels Realität geworden. In der Landeshauptstadt beträgt der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund etwa 45 Prozent. Menschen aus rund 180 Nationen leben hier seit langem friedlich zusammen. Über 120 verschiedene Sprachen werden in der Stadt gesprochen. Zahlreiche Einrichtungen wie beispielsweise das „Forum der Kulturen“ machen die kulturelle Vielfalt Stuttgarts sicht- und erlebbar. Es unterstützt rund 300 Migrantenvereine, organisiert unter anderem jedes Jahr ein Sommerfestival der Kulturen und gibt eine Zeitschrift heraus – und in vielen anderen Städten im Land sieht es nicht anders aus.

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Erstmals Integrationskonzepte auf Landesebene

Auch auf Landesebene rückten dann von 1979 bis 1980 Integrationskonzepte in den Mittelpunkt der Ausländerpolitik. Baden-Württemberg schaltete sich dieses Mal mit Ministerpräsident Lothar Späth (CDU) in die Diskussion ein, der sagte: „Wir sind Einwanderungsland.“ Gerade von kirchlichen Kreisen wurde diese Aussage als sensationelle Wende in der Ausländerpolitik empfunden. Bei der Beantwortung einer Landtagsanfrage bekräftigte der Ministerpräsident, die Bundesrepublik Deutschland sei „für eine große Zahl von Ausländern praktisch zu einem Einwanderungsland geworden“.

Auch in dieser integrationspolitischen Phase spielte die Landesregierung in der vordersten Reihe mit und veröffentlichte eine „Konzeption zur Verbesserung der Situation der zweiten Ausländergeneration“. Allerdings rückten schon bald wieder restriktive Maßnahmen in das Zentrum der Überlegungen. Die Chancen für eine vorausschauende Integrationspolitik – aufbauend auf einem klaren Bekenntnis zum Einwanderungsland – wurden weitgehend vertan.

Vielmehr setzte sich zu Beginn der 1980er-Jahre in der Ausländerpolitik das Motto „Rückkehrbereitschaft stärken“ durch. Bei restriktiven Erlassen insbesondere zur Einschränkung des Familiennachzugs stand Baden-Württemberg erneut an vorderster Stelle im Vergleich der deutschen Länder.

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Ausländerfeindliche Strömungen

Das neue Klima der ausländerpolitischen Diskussion artikulierte sich auch im sogenannten „Heidelberger Manifest“ vom 17. Juni 1981. Eine Gruppe von Hochschulprofessoren wandte sich darin gegen die – wie es hieß – „Unterwanderung des deutschen Volkes“ durch Ausländer, gegen die „Überfremdung unserer Sprache, unserer Kultur und unseres Volkstums“. Ausländerfeindlichkeit schlug sich Anfang der 1980er-Jahre auch in Bürgerinitiativen für einen „Ausländer-Stopp“ nieder. Unter Androhung von Anschlägen und mit Parolen wie „Deutschland den Deutschen!“ versuchte beispielsweise 1982 in Baden-Württemberg eine ausländerfeindliche Gruppe, Firmen zu erpressen. Sie verlangte die Entlassung ausländischer Arbeitskräfte.

Im Rückblick zeigt sich, dass rechtsradikale Strömungen gerade in Baden-Württemberg eine traurige Tradition haben. Bereits 1968 zog die NPD mit fast zehn Prozent der Stimmen in den Landtag ein. Insgesamt war die Partei in sieben deutschen Landtagen vertreten. Bürgerinitiativen wie die „Interessengemeinschaft Ausländische Mitbürger e. V.“, die sich schon frühzeitig in der Ausländer- und Flüchtlingsarbeit ehrenamtlich engagierten, wurden bereits in den 1980er-Jahren massiv bedroht.

Auch die Mordanschläge des NSU (Nationalsozialistischer Untergrund) haben eine lange Vorgeschichte. Bereits 1980 kam es zu einer Häufung terroristischer Anschläge von rechtsradikalen Gruppierungen. Dem Anschlag auf das Münchner Oktoberfest fielen im September 1980 13 Menschen zum Opfer. Einer der Täter, ein Student, der identifiziert wurde, kam aus Tübingen. Es war der blutigste Anschlag in der jüngeren deutschen Geschichte, bei dem 213 Menschen verletzt wurden, 68 davon schwer. Bis heute ist die Tat nicht endgültig aufgeklärt. Ein weiteres Beispiel sind die von dem rechtsextremistischen Anwalt Manfred Roeder gegründeten „Deutschen Aktionsgruppen“, die 1980 unter anderem einen Sprengstoffanschlag auf das Landratsamt Esslingen verübten, in dessen Räumen eine Auschwitz-Ausstellung gezeigt wurde, sowie auf das Haus des Esslinger Landrats Hans-Peter Braun. Wenig später folgte ein Brandanschlag auf eine Asylbewerberunterkunft in Lörrach.

In der Debatte um Zuzugsbeschränkungen wurde 2001 nach den Terroranschlägen in den USA die Zuwanderung verstärkt mit Aspekten der äußeren und inneren Sicherheit verknüpft. Baden-Württembergs Ministerpräsident Erwin Teufel (CDU) betonte angesichts der bevorstehenden Bundestagswahlen, eine große Volkspartei müsse die Fragen der Bürgerinnen und Bürger zu diesen Themen beantworten. Schon die Landtagswahl 1992, bei der in der Folge der Asyldebatte die rechtsextremen „Republikaner“ mit fast elf Prozent der Stimmen in das Stuttgarter Parlament einzogen, hätten dies gezeigt.

Als Erwin Teufel in der Sitzung des Bundesrats am 20. Dezember 2001 den Vorschlag präsentierte, das Nachzugsalter von ausländischen Kindern noch weiter zu senken – „grundsätzlich auf sechs, ich sage: noch viel besser auf drei Jahre“, so der Ministerpräsident –, ging er über die Forderung seiner Bundespartei hinaus, die zehn Jahre gefordert hatte. Allerdings stieß er damit bei seinem Koalitionspartner FDP auf Ablehnung. Immer wieder wurde in der „Ausländerpolitik“ auch das Thema „Obergrenze“ oder „Grenze der Belastbarkeit“ diskutiert. 2018 führte es – verbunden mit der Forderung von Innenminister Horst Seehofer (CSU) nach Zurückweisungen an der Grenze – beinahe zum Scheitern der Bundesregierung von CDU/CSU und SPD.

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Einwanderung – alles in allem eine Erfolgsgeschichte

Deutschland insgesamt und Baden-Württemberg zumal waren auf einem guten Integrationskurs, bevor die sogenannte „Flüchtlingskrise“ im Jahr 2015 scheinbar überraschend eintrat und der Eindruck entstand, das Land würde „überrannt“ und die Grenzen seien nicht mehr unter Kontrolle. Inzwischen ist wieder mehr Sachlichkeit in die Debatte eingekehrt. Die Schulen mit der Kernaufgabe der Integration der Kinder und Jugendlichen liegen in der Zuständigkeit des Landes. Darüber hinaus bestehen Spielräume beispielsweise bei den aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen. Baden-Württemberg hat früher diesen Bereich eher restriktiv gehandhabt. Integrationserfolge – auch im schulischen Bereich – kann das Land durchaus vorweisen, viele Probleme sind aber weiterhin ungelöst. So gelten in Baden-Württemberg rund 19 Prozent der Kinder und Jugendlichen als armutsgefährdet. Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund sind mit einer Armutsgefährdungsquote von 29,3 Prozent ungleich häufiger von Armut bedroht als Kinder, die in Familien ohne Migrationshintergrund aufgewachsen sind (10,5 Prozent).

Zuwanderung und Integration werden eine Daueraufgabe für das Land sein, trotz aller parteipolitischen Auseinandersetzungen und unter allen möglichen Regierungskoalitionen. Die Herausforderung durch Rechtspopulisten sollten die demokratischen Parteien annehmen und ihr offensiv mit Argumenten begegnen. Daten und Fakten müssen dabei in den Mittelpunkt gerückt werden, gerade auch in den sogenannten Sozialen Medien. Auch wenn Zuwanderung Probleme mit sich bringt, bedeutet sie in aller Regel eine ökonomische, politische, soziale und kulturelle Bereicherung. Aus der Einwanderungsgeschichte Südwestdeutschlands lässt sich ablesen, dass Integration ihre Zeit braucht und nicht erzwungen werden kann. Die historischen Beispiele zeigen, dass es mindestens eine, wenn nicht zwei oder drei Generationen dauert, bis sich Migrantinnen und Migranten integriert haben. Außerdem wird im historischen Rückblick deutlich, wie sehr sich die Debatten in der Migrationspolitik doch immer wieder wiederholen. Auch aus diesen Erfahrungen könnte gelernt werden.

Das Beispiel des Einwanderungslandes Baden-Württemberg macht deutlich, wie differenziert und vielschichtig das Migrationsgeschehen in Vergangenheit und Gegenwart ist. Jahr für Jahr findet eine hohe Abwanderung statt, im Fokus steht aber meistens nur die Zuwanderung. So ging in den 1980er-Jahren die Zahl der ausländischen Staatsangehörigen – auch aufgrund der Rückkehrförderung – zurück bzw. blieb auf dem gleichen Niveau. In den Jahren 2011 bis 2014 fand eine starke Zuwanderung vor allem aus den damals neuen EU-Mitgliedstaaten wie Polen, Ungarn oder Rumänien statt, die in den Genuss der vollständigen Arbeitnehmerfreizügigkeit gekommen waren. Dann kam es aufgrund der Wirtschafts- und Finanzkrise in diesen Ländern unerwartet zu einem hohen Zugang von vor allem jungen ausgebildeten Leuten aus den ehemaligen „Gastarbeiterländern“ wie Italien, Griechenland, Spanien und Portugal.

Dieses Wanderungsgeschehen spiegelt sich in der bunten Vielfalt im Land und in seinen Menschen wider. Für die meisten Einwanderinnen und Einwanderer ist Baden-Württemberg längst zur Heimat geworden. Ihre Kinder und Enkelkinder sind hier geboren und aufgewachsen. Viele lassen sich auch einbürgern. So war etwa 2019 die Zahl der Einbürgerungen auf dem höchsten Stand seit 16 Jahren.

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Migration und Corona-Krise

Im Gegensatz zu den globalen Fluchtbewegungen muss bei der Covid-19-Pandemie wirklich von einer weitweiten Krise gesprochen werden. Durch die Pandemie sind nach einer Untersuchung des Instituts der deutschen Wirtschaft auch Integrationsschäden entstanden. Darin spiegelt sich die Erkenntnis, dass schwere Krisen keine „Gleichmacher“ sind, sondern dass sie bereits bestehende Probleme und soziale Ungerechtigkeiten wie ein Katalysator verstärken. So stieg die Arbeitslosenquote der Menschen mit Migrationshintergrund überdurchschnittlich an. Vielen ihrer Kinder drohen darüber hinaus schlechtere Zukunftsperspektiven, weil sie durch den wochenlangen Lockdown im Schulerfolg und beim Erlernen der deutschen Sprache zurückfallen.

Während der Ausbreitung von Covid-19 im Frühjahr 2020 zeigte sich auch (wieder einmal), wie sehr Baden-Württemberg von Zuwanderung abhängt und wie wichtig ausländische Fachkräfte gerade bei der Bekämpfung solcher Krisen sind. Bereits seit langem haben etwa fünfzig Prozent aller in Krankenhäusern Beschäftigten – vom Arzt bis zur Reinigungskraft – einen ausländischen Pass. Wenn man die Menschen mit Migrationshintergrund hinzuzählt, liegt der Anteil im Gesundheitsbereich noch wesentlich höher. Aktuell ist die Zahl der in Deutschland gemeldeten Ärztinnen und Ärzte nach Angaben der Bundesärztekammer auf rund 55.000 gestiegen. 63.000 Krankenschwestern und -pfleger kommen hinzu. Der Anteil der Ärztinnen und Ärzte mit ausländischer Staatsangehörigkeit liegt im Bundesdurchschnitt bei zwanzig Prozent, in manchen Bundesländern wie in Thüringen ist er mit 27 Prozent sogar noch deutlich höher. Rund 280.000 ausländische Fachkräfte arbeiten in den medizinischen Gesundheitsberufen. Ihre Zahl ist seit 2014 um 84 Prozent gestiegen. Bei den Altenpflegerinnen und -pflegern ist sogar ein Zuwachs von 120 Prozent auf 82.000 zu verzeichnen. Bei den Fachkräften in der Krankenpflege und im Rettungsdienst stieg die Zahl um 84 Prozent auf 90.000. Ohne diese Migrantinnen und Migranten könnte nicht nur in Krisenzeiten die Versorgung nicht mehr aufrechterhalten werden. Die Corona-Krise machte aber auch deutlich, dass viele Migrantinnen und Migranten in bestimmten Berufen beschäftigt sind, die als „systemrelevant“ gelten. Oftmals handelt es sich aber um prekäre Beschäftigungsverhältnisse in den Reinigungsberufen, in den Schlachthöfen oder im Post- und Paketzustelldienst. In diesen Berufen sind die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung nicht selten schlecht und die Arbeitskräfte erfahren wenig soziale Anerkennung.

Das Gesundheitswesen in Deutschland wird in Zukunft noch mehr auf ausländisches Personal und damit auf Zuwanderung angewiesen sein. Schon vor der Krise waren beispielsweise 1.500 Pflegestellen in baden-württembergischen Krankenhäusern nicht besetzt. Händeringend warteten die Krankenhausgesellschaften bereits auf die Pflegerinnen und Pfleger, die aus dem Ausland angeworben werden sollten, was aber durch das komplizierte Verfahren erschwert wurde. Bereits vor der Corona-Krise bereiste Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) Länder wie den Kosovo, die Philippinen oder Mexiko, um Pflegekräfte ins Land zu locken. Der Gesundheitsminister sagte, die ganze Welt kämpfe mittlerweile um Pflegefachkräfte.

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Weiterführende Informationen zur Einwanderung und Integrationspolitik in Baden-Württemberg finden Sie auf den Seiten:

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Autor: Prof. Dr. Karl-Heinz Meier-Braun (August 2020) | Aufbereitung für das Netz: Internetredaktion der LpB, Stand: Februar 2021

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