Deutsche Siedler im Vielvölkerstaat Russland

Geschichte nach 1917

Was geschah nach der Einführung der Sowjetunion als multinationalem Einparteienstaat? Welche Bewegungen bestimmten die Zwischenkriegszeit, welche Veränderungen ergaben sich ab 1941 und wann trat Normalisierung ein?

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Einführung: die Sowjetunion als multinationaler Einparteienstaat mit sozialistischer Gesellschaftsordnung

Die im November 1917 an die Macht gekommenen Bolschewiki verfolgten einen ganz neuen, radikalen Gesellschaftsentwurf: die Macht sollte der Diktatur des Proletariats und seiner Vorhut – der kommunistischen Partei – gehören. Dies führte zur Verstaatlichung von Banken, Eisenbahnen und Betrieben, zur Sozialisierung von Grund und Boden, zum Aufbau einer neuen sozialistischen, klassenlosen und atheistischen Gesellschaft.

In einem Vielvölkerreich spielte die nationale Frage immer eine zentrale Rolle. Die Loyalität und Unterstützung der zahlreichen Völker des einstigen Zarenreiches sollte durch vollmundige Versprechungen gesichert werden. In der „Deklaration der Rechte der Völker Russlands“vom 15. November 1917 wurde ihnen das Recht auf freie Selbstbestimmung und sprachlich-kulturelle Entfaltung versprochen.


Links zu den Karten:

UdSSR: Sprachen und Völker

Administrativ-territoriale Gliederung der UdSSR, 1990


Die am 30. Dezember 1922 ausgerufene Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR)bestand zuletzt bis zu ihrer Auflösung am 21. Dezember 1991 aus 15 Unionsrepubliken und mehr als zwei Duzend autonomen Republien und Gebieten, dessen Titularvölker ein beträchtliches, wenn auch unterschiedliches Maß an staatlicher Förderung im Bildungs-, Berufs- und kulturellen Bereich genossen.

Begriffserklärungen

Begriffe in der Reihenfolge ihrer Erwähnung im Text.

Unionsrepublik (Sozialistische Sowjetrepublik, Abk. SSR), die höchste Form nationaler Selbstbestimmung in der Hierarchie der Sowjetvölker. Es gab seit 1956 bis zu der Auflösung der Sowjetunion insgesamt 15 Unionsrepubliken, denen wesentlich mehr Rechte als autonomen Republiken zustanden. Nur eine Unionsrepublik z.B. verfügte über das formale Recht, aus dem Unionsstaat auszutreten. Deshalb zerfiel die UdSSR 1991 in 15 unabhängige Staaten.

Autonome Republik (Autonome Sozialistische Sowjetrepublik, Abk. ASSR), zweithöchste Form nationaler Selbstbestimmung in der Hierarchie der Sowjetvölker, folgte nach der Unionsrepublik. Im sowjetischen Völkerrecht wurde eine ASSR als ein nicht souveräner Staat betrachtet, die zwar über eine eigene Verfassung und andere Staatssymbole (Hymne, Staatsflagge, Oberster Sowjet usw.) verfügte, allerdings aus der Union nicht austreten durfte. Nach 1990 wurden in Russland die autonomen Republiken und autonomen Gebiete in Republiken (ohne den Zusatz: autonom) umgewandelt; sie erhielten weiterhin keine Austrittsoption.

Titularvolk (Titularnationalität), namensgebende Nationalität einer territorialen Autonomie bzw. einer Unionsrepublik. Solche Völker gelten offiziell als autochthon (russ. korennoj, „verwurzelt“) im Sinn von indigen und genießen Minderheitenrechte, wenn auch je nach Status in verschiedenem Umfang.

Territoriale Autonomie bedeutete in der sowjetischen Staatslehre eine Form der nationalen Selbstbestimmung der Völker (autonome Gebiete und Republiken), die regional eine Bevölkerungsmehrheit oder einen gewichtigen Anteil stellt. Wenn autonome Verwaltungseinheiten in der Praxis auch nur einen Teil der ihr formal zustehenden Rechte wahrnehmen können, verfügen sie immerhin noch über gewisse politische und finanzielle Kompetenzen, um sprachlich-kulturelle Bedürfnisse ihrer Titularvölker zu regeln und sie zu sichern. Völker mit Autonomiestatus wurden von der sowjetischen Partei- und Staatsführung und werden faktisch auch in der heutigen Russländischen Föderation als systemrelevant und zuverlässig betrachtet. Dagegen waren und sind Volksgruppen und Minderheiten, die keinen Autonomiestatus erhielten, vor allem wenn sie ein ausländisches „Mutterland“ besaßen, generell dem amtlichen Misstrauen und zahlreichen Diskriminierungen ausgesetzt.

Kulake (Pl. Kulaken), russ. kulak („Faust“), Großbauer, Inhaber solcher Wirtschaften, die größtenteils für den Markt produzierten. Kulaken wurden in der Sowjetunion der 1920er- und 1930er-Jahre als eine dem Aufbau des Sozialismus und der neuen Kolchoswirtschaft feindselig eingestellte Klasse angesehen. Wichtigstes Merkmal eines Kulaken war die „Ausbeutung“ von Arbeitskräften (Mägden, Lohnarbeitern) in der eigenen Wirtschaft. Ab Ende der 1920er-Jahre wurden Kulaken unter dem Slogan „Liquidierung des Kulaken als Klasse“ systematisch politisch und wirtschaftlich bedrängt, letztlich vollständig enteignet und aus ihren Wohnorten zwangsausgesiedelt.

GULag: Abkürzung für russ. Glawnoje Uprawlenije isprawitelno-trudowych Lagerej („Hauptverwaltung der Besserungs-Arbeitslager“). Der Terminus hat zwei Bedeutungen: 1. als einer Unterbehörde des NKWD bzw. des Innenministeriums, für Häftlinge und Sondersiedler zuständig; 2. als System oder als Verkürzung von Solschenizyns „Der Archipel GULag“. Im diesem Sinn dient die Bezeichnung GULag als Synonym für das sowjetische Lagersystem und insgesamt für das Terrorregime des Stalinismus. Der Ort der Strafverbüßung hieß offiziell „Besserungs-Arbeitslager“ (ispravitel’no-trudovoj lager’ - ITL). Der Terminus „Straflager“ wird in diesem Dossier für Häftlinge vorbehalten, die rechtskräftig abgeurteilt wurden. Für Zwangsrekrutierte ohne Gerichtsurteil wird der Ort ihres Einsatzes als „Arbeitslager“ benannt.

 

Sondersiedler: Ein Oberbegriff für sowjetische Bürger minderen Rechts, die im Zuge einer administrativen Repression enteignet, in Familienverbänden in unwirtliche Gebiete des Landes zwangsausgesiedelt, dort unter polizeiliche Aufsicht gestellt und für landwirtschaftliche Urbarmachungs- und industrielle Erschließungsvorhaben eingesetzt werden. Administrative Repression in der UdSSR bedeutete eine kollektive Bestrafung bestimmter sozialer, religiöser oder nationaler Bevölkerungsgruppen aufgrund vermeintlicher „Gefährdung“ der sozialistischen Staatsordnung, und zwar ohne ein rechtskräftiges individuelles Gerichtsurteil. Die Sondersiedler standen unter Verfügungsgewalt der Sonderkommandanturen.

Sonderkommandantur – Institution im Rahmen der GULag-Verwaltung des NKWD bzw. des Innenministeriums, die zum Zweck der Kontrolle und Ausbeutung von Sondersiedlern im hohen Norden, in Sibirien und in Zentralasien eingerichtet wurde. Hunderte Sonderkommandanturen bestanden ab Ende der 1920er- bis Ende der 1950er-Jahre. Vgl. den „Rahmenstatut der Sonderkommandanturen des NKWD“ vom 8. Januar 1945.

 

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Klassenkampf, Selbstbestimmungsrecht und stalinistische Zwangskollektivierung in der Zwischenkriegszeit

Die Mehrheit der Kolonisten stand den politischen und gesellschaftlichen Zielen der bolschewistischen Partei skeptisch bis ablehnend gegenüber, umso mehr, als die rücksichtslosen Lebensmitteleintreibungen zu einer beispiellosen Hungerkatastrophe in den Jahren 1921-22 führte. Allein unter den Wolgadeutschen waren bis zu 100 000 Opferzu beklagen. Bauernunruhen und -aufstände erfassten das ganze Land, darunter auch die deutsche Landbevölkerung im Schwarzmeerraum und im Wolgagebiet.

Die bolschewistische Regierung ersuchte um internationale Hilfe, europäische Intellektuelle appellierten an das Weltgewissen. Dutzende philanthropische und religiöse Organisationen leisteten Beachtliches bei der Bekämpfung des Hungers; vor allem die Tätigkeit der American Relief Administration (ARA) rettete Millionen Menschen das Leben. Allein im deutschen Wolgagebiet wurden zum 1. April 1922 158.000 Kinder von der ARA und vom „Kinderhilfswerk“ des berühmten Polarforscher Fridtjof Nansen ernährt.

Nansen informierte sich während seines Besuchs in Marxstadt – von  den Einwohnern als „Sterbestadt“ bezeichnet – am 30. November 1921 über die dort herrschenden entsetzlichen Zustände und ordnete umgehend die Erhöhung der Zahl der Kinderationen an. Die Tätigkeit des Deutschen Roten Kreuzes hat viel zur Eindämmung der Ansteckungskrankheiten in verschiedenen russischen Regionen beigetragen.

Die sowjetische Führung versuchte durch die Förderung von mittellosen Bauern und Industriearbeitern sowie durch eine nationale Territorialautonomie neue Loyalitäten aufzubauen. Vor allem der kompakt lebenden deutschsprachigen Minderheit an der Wolga kam die Nationalitätenpolitik der neuen Machthaber entgegen: am 19. Oktober 1918 erschien das Dekret über die Gründung des Autonomen Gebiets (der Arbeiterkommune), das zu Beginn des Jahres 1924 zur Autonomen Sozialistischen Sowjetrepublik der Wolgadeutschen (ASSRdWD)aufgewertet wurde. Das ehemalige Katharinenstadt, Anfang 1919 in Marxstadt umbenannt, fungierte bis 1922 als Zentrum des deutschen Gebiets.


zur Karte: das wolgadeutsche Gebiet 1922


Die Wolgarepublik umfasste zuletzt eine Fläche von 28.400 km², gegliedert in 22 Kantone (Stand 1941). Pokrowsk (1931 in Engels umbenannt), eine mehrheitlich russisch-ukrainische Stadt, wurde seit 1922 zum Regierungssitz.

Bei aller Gleichschaltung und Unterordnung in rechtlichen, politischen, wirtschaftlichen oder kulturellen Fragen gegenüber der zentralen Partei- und Staatsstellen, dürfen auch positive Auswirkungen einer national-territorialen Autonomie im Sowjetstaat nicht übersehen werden. Das Deutsche fungierte seither als Amtssprache neben dem Russischen, es kam zu Aufbau und Entfaltung deutschsprachiger Bildungsanstalten inklusive eines Deutschen Staatlichen Pädagogischen Instituts, zur Verbreitung deutschsprachiger Printmedien auf der Republik- und Kantonebene, zur Gründung eines Zentralmuseums der ASSRdWD in Pokrowsk/Engels, eines Deutschen Staatstheaters sowie anderer kultureller Institutionen und nicht zuletzt, zu einer aktiven Förderung der Nationalkader.

Gleichzeitig erschienen in der Republik erste wissenschaftliche Untersuchungen zur Geschichte, Volkskunde und Dialektologie; 1928 entbrannte sogar eine breite Diskussion über die Reform (v.a. die „Vereinfachung“) der deutschen Rechtschreibung. Die Schriftsteller Franz Bach (1885–1942), Gerhard Sawatzky (1901–1944)und Andreas Saks (1903–1983),der Musiker und Komponist Gottfried Schmieder (1902–1965), die Maler Jakob Weber (1870–1958) und Wilhelm Michaelis (1912–nach 1990) waren wichtige Vertreter der im Entstehen begriffenen nationalen Literatur und Kunst.

Eine ständige Präsenz der Wolgarepublik in den zentralen Massenmedien und offizielle Würdigung ihres Beitrages zum „Aufbau des Sozialismus“, so etwa anlässlich des 15. Jahrestags ihrer Gründung im Oktober 1933, sendete dem Partei- und Staatsapparat und den breiten Bevölkerungsmassen eine klare Botschaft: die Deutschen sind genauso gleichberechtigt wie Vertreter anderer sowjetischer Nationalitäten.

Nicht nur deutsche Kommunisten, sondern auch viele linke Intellektuelle und später auch antifaschistische Emigranten sahen in der „ersten deutschen Sowjetrepublik“ die Keimzelle eines künftigen Sowjet-Deutschland. Auf der Suche nach dem Gegenentwurf zur nationalsozialistischen Ideologie und Gewaltherrschaft verschlossen sie die Augen vor dem ähnlich verbrecherischen Wesen der stalinistischen Diktatur oder ließen sich gar für Propagandazwecke instrumentalisieren. Diese Blindheit, wenn nicht sogar die Komplizenschaft, spiegelt sich etwa im Erich Weinerts Gedicht „Rotes Deutsches Wolgaland“ in den utopischen Plänen eines Erwin Piscators zur Gründung in Engels eines Kulturkombinats von Weltrang oder in Heinrich Manns Begeisterung über die „Demokratie der Wolgadeutschen“.

Außerhalb der Wolgarepublik entstanden seit Mitte der zwanziger Jahre in der Ukraine, auf der Krim, im Nordkaukasus – hier oft in den Grenzen der alten Kolonistenbezirke – ferner in Sibirien, in Kasachstan und im Südural ein Netz von deutschen Rayons und Dorfsowjets, mit muttersprachlichen Bildungsanstalten und Presseorganen.

Bis Mitte der 1930er Jahre hat man sich auch mit der Kultur und Geschichte der deutschen Minderheit beschäftigt. Man denke nur an die Forschungstätigkeit des herausragenden Germanisten und Philologen Viktor Schirmunski (1891–1971) zur Geschichte, Folklore und Mundarten der Deutschen in der Ukraine, in der Umgebung von Leningrad und im Transkaukasus, an übergreifende oder regionale (Wolhynien) Darstellungen über deutsche Bauern. Es fehlte nicht an publizistischen Darstellungen über erfolgreiche – im stalinistischen Sinne – Kollektivwirtschaften oder nationale Rayons.

Allerdings wurden solche administrative Einheiten und nationalen Institutionen bereits 1938-39 als Werk „sowjetfeindlicher Elemente“ aufgelöst.

Die erste sowjetische Volkszählung 1926 registrierte 1 Mio. 239 Tsd. Deutsche im Land (Tabelle 2.1), wesentlich weniger als im Jahr 1914 mit ca. 2,4 Mio. Diese Diskrepanz erklärt sich zum einen durch den Wegfall von Territorien mit einer bedeutenden Zahl der deutschen Bevölkerung, die früher Teil des Russischen Reiches waren (Angliederung Bessarabiens 1918 durch Rumänien, Lossagung der nun unabhängigen Staaten Polen, Estland, Lettland und Litauen). Zum anderen wirkten sich menschliche Verluste im Welt- und noch stärker im Bürgerkrieg negativ aus, v.a. durch Epidemien und Hungersnöte. Ein geringerer Teil der Schrumpfung geht auf die Emigration zurück

Zwischen 1928 und 1932 vollzog sich in der Sowjetunion der Übergang zu einer Mobilisierungsdiktatur unter Stalins Alleinherrschaft. Die Zwangskollektivierung der Bauernwirtschaften die restlose Enteignung der wohlhabenden Bauern („Kulaken“) und ihre Verbannung nach Kasachstan und in den Hohen Norden wurden rücksichtslos durchgesetzt. Der Regierungsbeschluss "Über die religiösen Vereinigungen“ vom 8. April 1929 leitete eine verstärkte Diskriminierung der Gläubigen und eine systematische Verfolgung der Geistlichkeit ein. Darauf reagierte ein beträchtlicher Teil der Betroffenen Ende 1929 mit Auswanderungsversuchen, siehe unter anderem die sogenannte„Kolonisten-Affäre“.

Als eine direkte Folge dieser Politik brach 1932-33 erneut eine Hungerkatastrophe über das Land herein, die bis zu fünf Mio. Opfer forderte, darunter Zehntausende Deutsche. Allein in der Wolgarepublik verhungerten in diesen zwei Jahren um die 45.300 Menschen, wobei der Monat Mai 1933 mit 8.300 „überschüssigen“, über die sonstige Norm liegenden Todesfällen den traurigen Höhepunkt des Massensterbens bildete. Diesmal leugnete die Kreml-Führung die Existenz einer Hungersnot beharrlich; gleichzeitig wurde diese Tragödie in Deutschland für antikommunistische Propagandazwecke genutzt, wenn auch kirchliche Organisationen und Privatpersonen doch die Hilfe für die Notleidenden in der UdSSR hauptsächlich aus humanitären Gründen leisteten.

Seit Mitte der 1930er Jahre ließ sich eine klare politische Linie zur Ausgrenzung und Verfolgung sogenannter „feindlicher“ Nationalitäten wie der Polen, Deutschen (v.a. solche, die außerhalb der Grenzen der ASSRdWD lebten), Letten, Finnen u.a. Minderheiten beobachten, die ihre „Mutterstaaten“ im kapitalistischen Ausland hatten und in den Augen der Sowjetführung nun eine potentielle Bedrohung darstellten. Als eine der ersten Volksgruppen mussten 1936 die Russlanddeutschen ethnische Deportationen aus den Grenzgebieten der Ukraine nach Zentralasien erleiden. Auch fielen sie dem „Großen Terror“ der Jahre 1937-38 überdurchschnittlich zum Opfer: von den in diesen zwei Jahren insgesamt erschossenen 682.000 Personen waren 8,1% oder 55 000 Deutsche, obwohl sie nur 0,8% Prozent der Bevölkerung der UdSSR stellten.

Zehntausendebekamen hohe Freiheitsstrafen und wanderten für viele Jahre in die Straflager des GULag. Immerhin fand in der Zwischenkriegszeit noch keine totale Entrechtung der Deutschen statt. In der Wolgarepublik besaßen sie noch gewisse sprachlich-kulturelle und gesellschaftliche Entwicklungsmöglichkeiten. Deshalb stieß die sozialistische Gesellschaftsordnung etwa bei vielen Jugendlichen, die von den Bildungs- und Aufstiegschancen profitieren konnten, auf deutliche Zustimmung.

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Deportation, Zwangsarbeit und Sondersiedlung nach 1941

Die Liquidation der ASSR der Wolgadeutschen im August 1941 markierte den Übergang zu einer breitangelegten Verfolgung und Diskriminierung der gesamten Minderheit. Der Großteil des Territoriums der einstigen Republik fiel dem benachbarten Gebiet Saratow zu, der Rest ging an das Gebiet Stalingrad (Wolgograd). Bis Ende 1941 wurden aus dem europäischen Teil der Sowjetunion 794 000 Deutsche nach Kasachstan und Sibirien deportiert, ihr gesamtes Hab und Gut restlos konfisziert, nationale Bildungs- und Kultureinrichtungen liquidiert und Objekte der geistigen und materiellen Kultur zerstört. Ihre Bestimmungsorte lagen fast ausnahmslos in ländlichen Gegenden oder in kleinen Rayonsstädtchen; sie durften fortan keine leitenden Positionen bekleiden oder an einer Hochschule studieren.

Im asiatischen Teil der UdSSR, einschließlich des Ural, befanden sich zu diesem Zeitpunkt bereits ca. 280 000 Deutsche. Sie ließen sich zum guten Teil bereits im späten Zarenreich vornehmlich als Bauern hier nieder und durften während des Krieges an ihren Wohnorten verbleiben; dagegen wurden Deutsche aus den Städten wie Taschkent, Alma-Ata oder Swerdlowsk (Jekaterinburg) verbannt.

In den Jahren 1941-46 waren nicht weniger als 350 000 deutsche Frauen, Jugendliche und Männer zur Zwangsarbeit in der sog. Trudarmija (Arbeitsarmee) verpflichtet. Sie kamen im Rahmen des GULag-Systems auf großindustriellen Bauten, beim Holzeinschlag, in die Kohlegruben, bei der Erdölgewinnung oder zum Fischfang im Ural und in Sibirien zum Einsatz.

Mindestens 150 000 überlebten die Deportation und den Lagereinsatz nicht. Noch ein Jahrzehnt nach dem Kriegsende blieben ihnen als Sondersiedler unter der Sonderkommandantur wichtige Rechte eines Sowjetbürgers vorenthalten.

Durch den Regierungserlass vom 26. November 1948 der die Verbannung der Deutschen und anderen repressierten Völker „auf ewig“ festschrieb, verschlimmerte sich Ihre Lage zusehends: Fortan legten die NKWD-Sonderkommandanturen über jeden erwachsenen Sondersiedler eine Personalakte an, mit einem ausführlichen Lebenslauf und oft mit Fingerabdrücken, wie bei einem Verbrecher. Die Betroffenen mussten sich nun monatlich beim Kommandanten melden und durften ohne seine Erlaubnis weder ihren Wohnort oder die Arbeitsstelle verlassen noch sich heiraten.

Insbesondere während des Kriegs, aber auch danach litten sie stark unter der germanophoben Staatspolitik und den antideutschen Ressentiments der Nachbarvölker.

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Schwarzmeerdeutsche unter NS- und rumänischer Besatzung 1941-44, die Flucht nach Westen und die Rückführung in die Sowjetunion

Etwa 340 000 „Sowjetdeutsche“, hauptsächlich in der Ukraine, gerieten im Zweiten Weltkrieg unter reichsdeutsche und rumänische Besatzung. Die schon Anfang September 1941 bekannt gewordene und von der nationalsozialistischen Propaganda weidlich ausgeschlachtete Nachricht über die Deportation der Wolgadeutschen markierte auch für sie den endgültigen Verrat des sowjetischen Staates an ihren eigenen Bürgern deutscher Herkunft. Durch diesen eklatanten Rechtsbruch, in dem die jahrzehntelange Politik der Verfolgung, Enteignung und des Terrors gipfelte, wurde die Mehrheit der verbliebenen Schwarzmeerdeutschen, von der reichsdeutschen Seite als „Volksdeutsche“ anerkannt, regelrecht in die Arme der NS-Organisationen getrieben. Die meisten ließen sich in die Deutsche Volksliste der Ukraine (DVL) aufnehmen. Am 19. Mai ordnete der Reichsminister des Inneren die Verleihung der reichsdeutschen Staatsangehörigkeit an die in der DVL in der Ukraine eingetragenen Personen an.

Aus Angst vor ähnlicher Kollektivbestrafung im Sowjetstaat flüchtete das Gros dieser Menschen in den Jahren 1943/44, zusammen mit zurückweichenden Wehrmachtstruppen, nach Westen (sog. Administrativumsiedler). Den meisten war die reichsdeutsche Staatsangehörigkeit verliehen worden; die wenigen verbliebenen Männer im wehrpflichtigen Alter wurden in die Wehrmacht bzw. Waffen-SS eingezogen. Nach Kriegsende hatte die sowjetische Militäradministration etwa 210 000 von diesen Administrativumsiedlern, oft gegen ihren Willen, in die UdSSR zwangsrepatriiert. Dort setzte man die zumeist weiblichen und jugendlichen „Repatrianten“ in den Wäldern des Hohen Nordens zum Holzabbau, in den Industriebetrieben im Ural oder in Urangruben und auf Baumwollplantagen in Tadschikistan ein. Dem Rest gelang es, größtenteils in den westlichen Besatzungszonen unterzutauchen; später wanderte ein Teil von ihnen nach Übersee aus.

Weitere Literatur

Dorfberichte und Listen, die in den deutschen Siedlungen der Ukraine im Jahr 1942 für den „Reichsminister für die besetzten Ostgebiete“ vom Sonderkommando Dr. Karl Stumpp erstellt wurden. Dokumente aus dem Bundesarchiv

Ingeborg Fleischhauer: Das Dritte Reich und die Deutschen in der Sowjetunion. Stuttgart 1983.

Richard H. Walth: Strandgut der Weltgeschichte. Die Russlanddeutschen zwischen Stalin und Hitler. Essen 1994. 

Alfred Eisfeld, Vladimir Martynenko: Filtration und operative Erfassung der ethnischen Deutschen in der Ukraine durch die Organe des Inneren und der Staatssicherheit während des Zweiten Weltkrieges und in der Nachkriegszeit, in: Nordost-Archiv. Zeitschrift für Regionalgeschichte (NOA). Deportationen in Stalins Sowjetunion. Das Schicksal der Russlanddeutschen und anderer Nationalitäten. Neue Folge 21/2012, S. 104-181.

Dokumente und Personenlisten der Einwanderungszentrale (EWZ) in Litzmannstadt/Lodz und des Deutsches Ausland Instituts (DAI), Link.

Mennoniten in den Akten der EWZ, Link.

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Die allmähliche Normalisierung nach 1953 und das Alltagsleben im sowjetischen Unrechtsstaat

Nach Stalins Tod im März 1953 und der eingesetzten vorsichtigen Liberalisierung („Tauwetter“) wurden auch die Beschränkungen der Deutschen Schritt für Schritt aufgehoben. Schließlich hob der Erlass vom 13. Dezember 1955 das Regime der Sonderkommandantur für die Deutschen auf. Allerdings verbot er ausdrücklich die Rückkehr an jene Orte, aus denen sie ausgesiedelt wurden und schloss die Rückgabe des seinerzeit konfiszierten Vermögens aus. Die Ergebnisse der Deportationen und Bevölkerungsverschiebungen wurden dadurch weitgehend zementiert: um die 90% der Deutschen lebten bis zur Ende der UdSSR hinter dem Ural, im asiatischen Teil des Riesenlandes. Immerhin gab es hier starke regionale Verschiebungen, zumal nach 1955 Hunderttausende aus den sibirischen und uralischen Deportations- und Lagergegenden nach Kasachstan und andere zentralasiatische Unionsrepubliken zogen (Tabelle 2.2).

Das Alltagsleben der Russlanddeutschen hat sich seither weitgehend normalisiert, solange sie sich den dominierenden sowjetrussischen Mustern auf ideologischer, sprachlicher und kultureller Ebene anzupassen wussten. Ungeachtet zahlreicher individueller und kollektiver Proteste blieben ihnen wichtige Volksgruppenrechte, v.a. die Wiederherstellung der rechtswidrig aufgelösten Wolgarepublik verwehrt, obwohl der „Rehabilitierungs-Erlass“ aus dem Jahr 1964 sie formal vom Vorwurf der Kollaboration mit NS-Deutschland freisprach.

Im Laufe der Zeit hat man zur besseren ideologischen Einflussnahme auf die „sowjetischen Bürger deutscher Nationalität“ einige deutschsprachige Zeitungen zugelassen. 1955 wurde das Regionalblatt „Die Arbeit“ im Dezember 1955 in Barnaul,  Region Altai (nach zwei Jahren eingestellt), 1957 das Zentralblatt „Neues Leben“ (Moskau) und 1966 die Tageszeitung „Freundschaft“ (Zelinograd/Kasachstan)  gegründet. Ebenfalls ab Mitte der 1950er Jahre durften einige deutschsprachige Radioprogramme aus Alma-Ata/Kasachstan, Frunse/Kirgisien, Omsk oder Barnaul,  mit einer zeitlichen Begrenzung von einer halben Stunde pro Tag, gesendet werden. Das Schulfach „Deutsch als Muttersprache“ wurde in einigen Dörfern mit deutscher Mehrheitsbevölkerung zugelassen. Nach fast 40-jähriger Unterbrechung öffnete im Dezember 1980 das professionelle nationale Dramatheater,  allerdings in der abgelegenen Stadt Temirtau, Gebiet Karaganda , wo gerade ein größeres Kulturhaus frei stand, seine Pforten. Selbstverständlich konnten diese bescheidenen Institutionen den sprachlich-kulturellen Verfall der auf mehrere Millionen Quadratkilometer in Zentralasien, Sibirien und im Ural zerstreuten Deutschen kaum aufhalten.

Ungeachtet zahlreicher individueller  und kollektiver Proteste  blieben ihnen wichtige Volksgruppenrechte, v.a. die Wiederherstellung der rechtswidrig aufgelösten Wolgarepublik verwehrt, obwohl der „Rehabilitierungs-Erlass“ aus dem Jahr 1964  sie formal vom Vorwurf der Kollaboration mit NS-Deutschland freisprach. Mehrere Delegationen von deutschen Aktivisten reisten seit 1965 nach Moskau und forderten eine Anerkennung als gleichberechtigte Volksgruppe.

Doch die sowjetische Partei- und Staatsführung lehnte sowohl ihre vollständige und öffentliche Rehabilitierung als auch ein Rücksiedlungsprogramm und die Wiederherstellung der autonomen Republik entschieden ab, was für die Betroffenen schwerwiegende Folgen mit sich brachte. Es fehlte ihnen an fast allem, worüber andere sowjetische Titularnationalitäten wie Kasachen, Esten, Kalmücken oder Tschuwaschen wie selbstverständlich verfügten: Vertretung im zentralen und regionalen Partei- und Staatsapparat, Präsenz in den zentralen Massenmedien, Berücksichtigung in wissenschaftlichen Untersuchungen und Publikationen. Es gab keine nationalsprachigen Zeitschriften und Fernsehsendungen, Opernhäuser, Museen, Bibliotheken, Archive, Verlage, Bildungsstätten wie Universitäten und andere Hoch- und Fachschulen, Institutionen zur Erforschung ihrer Geschichte, Volkskunde und Kultur, Orchester, staatliche Volkskunstensembles, Kunstgalerien usw. Die Objekte materieller und geistiger Kultur in den einstigen Wohnorten der Deutschen im europäischen Teil der Sowjetunion fielen gezielter Vernichtung und Vernachlässigung zum Opfer.

Es war generell verboten, Russlanddeutsche in Lexika oder Lehrbüchern zu erwähnen und zu ihrer Geschichte und Kultur zu forschen. Wer wagte, diesen Umstand zu kritisieren oder sogar imSamisdat  zu publizieren, holte sich augenblicklich den Vorwurf einer antisowjetischen Tätigkeit ein, wurde von dem KGB  bedrängt und musste schließlich mit strafrechtlichen Konsequenzen rechnen.  Die erste Konferenz über die Vergangenheit und Gegenwart der deutschen Minderheit  durfte erst 1989 stattfinden. Ihr Beitrag zu dem Sieg über NS-Deutschland während der Kriegszeit im Rahmen der so genannten Trudarmija wurde hartnäckig verschwiegen. Angesichts der verhängten Informationsblockade mussten sie stellvertretend für die Untaten des Dritten Reiches herhalten und sahen sich weiterhin antideutscher Ressentiments ihrer Nachbarn und Kollegen ausgesetzt. Die zunehmende Ausreisebereitschaft und das Anwachsen derreligiösen Erweckungsbewegung waren daher ein Ausdruck weit verbreiteter Unzufriedenheit.

Die bestehenden Diskriminierungen führten dazu, dass das akademische Bildungsniveau der Deutschen wesentlich niedriger war als das anderer Sowjetvölker und ihre Beschäftigungsstruktur bis heute überdurchschnittlich von Arbeiter- und weniger von intellektuellen Berufen geprägt ist.

Die Reformansätze nach dem Machtantritt von Michail Gorbatschow 1985 weckten neue Hoffnungen im Hinblick auf eine gerechte Lösung des „deutschen Problems“, zumal der Oberste Sowjet der UdSSR am 14. November 1989 die Erklärung „Über die Bewertung der Repressionsakte gegen Völker, die gewaltsam umgesiedelt wurden, als ungesetzlich und verbrecherisch und über die Gewähr der Rechte dieser Völker“  verabschiedete.

Es bildeten sich Gruppen von Aktivisten, die ähnlich wie in den 1960er Jahren Delegationen nach Moskau entsandten und die Wiederherstellung der Wolgarepublik forderten. Als Titularvolk einer künftigen Gebietsautonomie hätte den Sowjet- (Russland-)Deutschen, ähnlich wie anderen Nationalitäten, eine politische Interessenvertretung auf Unions- und Republikebene und eine gezielte Förderung des muttersprachlichen Bildungswesens und kulturrelevanter Einrichtungen zugestanden. Als engagierte Vertreterin der deutschen nationalen Interessen trat die im März 1989 gegründete Gesellschaft „Wiedergeburt“ auf.

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Erfahrungen im Zusammenleben mit slawischen und turksprachigen Nachbarvölkern

In den Siedlungsgebieten der Deutschen wurden keine interethnischen Konflikte registriert. Mit den Nachbarn kamen sie offensichtlich gut aus. In der Regel wurden sie von Kollegen und Vorgesetzten als zuverlässige und fleißige Arbeitskräfte hoch geschätzt. Die Zahl der „Mischehen“, in der überwiegenden Mehrheit mit russischen und ukrainischen Partnern, nahm seit der Aufhebung des Sondersiedlerstatus beständig zu. Laut Volkszählung von 1979 lebten in Kasachstan um 330.000 Deutsche (36%) in multinationalen Familienverbänden. Demnach war das ein wesentlich höherer Anteil als es bei den Kasachen (13%) Russen (23%) oder der jüdischen Minderheit in der Ukraine (33%) der Fall war. Ende der achtziger Jahre wählten in der Russländischen Unionsrepublik bei der Erstheirat 75,6% der deutschen Männer und 72,2% der Frauen einen andersethnischen Ehepartner. Dies waren deutliche Zeichen einer fortgeschrittenen sprachlichen Assimilation und kulturellen Anpassung an die dominierende sowjetrussische Umgebung.

Nicht zuletzt lässt die Zunahme der Mischehen auf eine weitgehende Normalisierung im Alltagsleben schließen, obwohl Feindseligkeiten und Beleidigungen – als „deutsche Faschisten“ – aus verschiedenen Anlässen bis in die Gegenwart keine Seltenheit blieben.

Viele Deutsche können über positive Seiten des persönlichen Miteinanders mit turksprachigen Nachbarn oder Arbeitskollegen mit islamkulturellem Hintergrund in Kasachstan, Kirgisien oder Usbekistan berichten. Aber die Erfahrungen mit den gesellschaftlichen und institutionellen Rahmenbedingungen waren eher enttäuschend. Man denkt dabei etwa an die allgegenwärtige Korruption, an das vorherrschende, tief verwurzelte Stammesdenken, an die Patron-Klientel-Mechanismen, die die formale Rechtsordnung praktisch zu einer bloßen Hülle verkommen lassen, an die offensichtliche Bevorzugung von Titularnationalitäten beim Studienzugang, bei staatlichen Auszeichnungen oder bei der Besetzung wichtiger Positionen in der Partei oder in der Verwaltung.

Auch dadurch erklärt sich der Drang vieler Betroffener seit Mitte der 1950er Jahre zur Übersiedlung nach (West)Deutschland, um endlich dort als „Gleiche unter Gleichen“ bzw. als „Deutsche unter Deutschen“ in einem Rechtsstaat leben zu können.

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Nach der Auflösung der UdSSR

Der politische und wirtschaftliche Transformationsprozess der einzelnen Staaten nach dem Zerfall der UdSSR verlief durchaus schmerzhaft und war durch spürbare Einbrüche in allen Lebensbereichen gekennzeichnet. In ihnen traten verschiedene Formen des Titularnationalismus zutage, u.a. Verdrängung andersethnischer Landeseinwohner aus dem Staatsapparat und starke Aufwertung der Nationalsprache, wachsende Islamisierung. In einigen neuentstandenen Staaten brach Bürgerkrieg aus (Tadschikistan) oder traten starke zwischenethnische Spannungen zutage (Usbekistan, Kirgisien, Südkasachstan).

Das führte zu einer gigantischen Migrationsbewegung, die nicht nur die deutsche Minderheit, sondern auch die Russen, Ukrainer und andere Nationalitäten erfasste und sie in „ihre“ Staaten zurückkehren ließ. Das kurz vor der Auflösung der Sowjetunion verabschiedete Gesetz der Russländischen Föderation vom 26. April 1991 „Über die Rehabilitierung der repressierten Völker“ hat die Russlanddeutschen unmissverständlich als Opfer des Stalinismus anerkannt und eine umfassende Wiedergutmachung versprochen, einschließlich die Wiederherstellung der autonomen Republik an der Wolga. Der erneut unternommene Versuch, die Russlanddeutschen zu einem gleichberechtigten sowjetischen bzw. russländischen Volk mit einem autonomen Territorium werden zu lassen, scheiterte jedoch am Unwillen der Staatsführung sowie an dem nahezu geschlossenen Widerstand der ortsansässigen russischen Bevölkerung im Gebiet Saratow. Der über Jahrzehnte aufgestaute Unmut entlud sich daher in einer riesigen Ausreisewelle nach Deutschland.

Unter allen Ländern der Gemeinschaft der Unabhängigen Staaten (GUS) verblieb allein in Russland und in Kasachstan noch eine nennenswerte Zahl von aktuell ca. 400 000 bzw. 160 000 Deutschen. Trotz verweigerter national-territorialer Entfaltungsmöglichkeiten und eines unzureichenden Minderheitenschutzes versuchen vor allem gesellschaftliche Organisationen der deutschen Minderheit durch eine Vielzahl von Projekten, einem Netz von Begegnungszentren und deutsch-russischen Häusern wenigstens einige Elemente der nationalen Gemeinschaft und des sprachlich-kulturellen Lebens zu pflegen und zu erhalten.

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Geschichtspolitik in Russland

Die Erinnerungskultur der Russlanddeutschen ist maßgeblich von den Opfererfahrungen im Stalinismus, von der Germanophobie und gesellschaftlicher Marginalisierung geprägt. In der gegenwärtigen Russländischen Föderation finden die historischen Erfahrungen der deutschen Minderheit kaum Beachtung, da der Sieg über das NS-Deutschland zum zentralen Identitätsnarrativ, zu einem alle Schichten der russischen Bevölkerung umfassenden Konsens geworden ist. Diesem Schlüsselereignis der nationalen Geschichte werden auch die dunklen Seiten der Vergangenheit untergeordnet, seien es Hungerkatastrophen, das GULag–Imperium, die Verbannung ganzer Völker und andere Massenverbrechen des Stalinregimes. Im Unterschied zu der Ukraine, in der seit 2015 der Zugang zu allen Archiven des NKWD-KGB frei gemacht wurde, geraten auf Anweisungen der Kreml-Ideologen immer mehr Archivbestände aus der Zeit des Stalinismus unter Verschluss.

Bis heute gibt es in der Russländischen Föderation kein zentrales Mahnmal für die deutschen Opfer der Deportationen und der Zwangsarbeit, kein nationales Museum und Dokumentationszentrum, keine einzige Gedenkstätte auf dem Gelände eines ehemaligen Arbeitslagers. Im öffentlichen Diskurs oder etwa im Schulunterricht wird ihre Verfolgung und Diskriminierung zur Sowjetzeit kaum erwähnt. Nur einige zivilgesellschaftliche Organisationen wie „Memorial“ und die Betroffenen selbst thematisieren ihre Vergangenheit. In einigen Provinzstädten wurden auf private Initiative Gedenkzeichen errichtet, die an das schwere Schicksal der deutschen Mitbürger erinnern.

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Text von: Dr. Viktor Krieger. Aufbereitet von der Internetredaktion der LpB BW.

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Die Seite des deutschen Zweiges der ursprünglich russischen Menschenrechtsorganisation „Memorial“, die sich v.a. der historischen Aufarbeitung des Stalinismus und den Opfern der kommunistischen Gewaltherrschaft verpflichtet fühlt: Memorial

Die deutschsprachige Seite der regionalen Organisation von „Memorial“ in Krasnojarsk, mit vielen übersetzten Dokumenten, Namenslisten und Erinnerungen der dorthin deportierten und zur Zwangsarbeit ausgehobenen Deutschen.

Das gemeinsame Informationsportal der wichtigsten Organisationen der deutschen Minderheit in Russland, v.a. des Internationalen Verbands der deutschen Kultur (IVDK) und der Föderalen national-kulturellen Autonomie der Russlanddeutschen (FNKA).

Informationen zur politischen Bildung. Sowjetunion I: 1917-1953 

Informationen zur politischen Bildung. Sowjetunion II: 1953-1991

Weitere Literatur

Russlanddeutsche nach 1917:

Aber wo sollen wir hin? Briefe von Russlandmennoniten aus den Jahren ihrer Gefangenschaft, Verbannung und Lagerhaft in der Sowjetunion. Hgg. von Julia Hildebrandt, Heinrich Klassen, Gerhard Wölk. Frankenthal 1998

Mein Herz blieb in Russland. Russlanddeutsche erzählen aus ihrem Leben. 34 Geschichten und Berichte von Zeitzeugen. Hgg. von Larissa Dyck und Heinrich Mehl. Berlin 2008

Geschichte der UdSSR:

Handbuch der Geschichte Russlands, Bd. III: 1856 – 1945. Von den autokratischen Reformen zum Sowjetstaat, Halbbde. 1 und 2, hrsg. von Gottfried Schramm, Stuttgart 1983, 1992.

Handbuch der Geschichte Russlands, Band V: 1945 – 1991. Vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion, hrsg. von Stefan Plaggenborg, Stuttgart 2002.

Dietmar Neutatz: Träume und Alpträume. Eine Geschichte Russlands im 20. Jahrhundert. München 2013

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