Das Stuttgarter Dreikönigstreffen – Vom demokratischen Parteitag zum Symbol liberaler Einheit

Erinnerungsorte in Baden-Württemberg

Wer sich in Deutschland für Politik interessiert, blickt am Dreikönigstag zum liberalen Parteitreffen nach Stuttgart. Diese Tradition reicht zurück bis zum 6. Januar 1866. Das Dreikönigstreffen ist einer der großen parteipolitischen Erinnerungsorte der deutschen Geschichte. 

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Autor: Dieter Langewiesche

Der Text von Dieter Langewiesche erschien unter dem Titel „Das Stuttgarter Dreikönigstreffen – Vom demokratischen Parteitag zum Symbol liberaler Einheit“ in dem „Baden-Württembergische Erinnerungsorte“ anlässlich des 60. Jahrestages von Baden-Württemberg. Darin werden 51 Erinnerungsorte Baden-Württembergs vorgestellt.

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Die Tradition des Dreikönigstreffen

Die Tradition des Dreikönigstreffen reicht zurück bis zum 6. Januar 1866. Begründet wurde sie damals von den württembergischen „Demokraten“ gegen die „Liberalen“. Heute sind diese Trennlinien zwischen Liberalen und Demokraten längst überwunden und vergessen. „Freie Demokratische Partei. Die Liberalen“ – diese Selbstbezeichnung übergreift die politischen Gegensätze, die das reformwillige Bürgertum in den nationalpolitisch entscheidenden Jahrzehnten seit 1848 zutiefst gespalten hatte. Während die meisten Liberalen damals ausschließlich Preußen zutrauten, den ersehnten deutschen Nationalstaat zu erschaffen, konnten sich die württembergischen Demokraten einen Staat unter preußischer Führung nur als zentralistisches Zwangsgehäuse vorstellen.

Im Dreikönigstreffen fanden diese politischen Gegensätze im reformwilligen Bürgertum Württembergs Jahr für Jahr ein großes Publikum. Sie überdauerten bis kurz vor dem Ersten Weltkrieg. 1911 vereinte die Landesversammlung des 6. Januar erstmals Demokraten und Liberale. Erst jetzt, vier Jahrzehnte nach der Gründung des kleindeutschen Nationalstaates preußisch-protestantischer Prägung – als die tiefen Gräben, die er in der deutschen Gesellschaft gerissen hatten, einigermaßen überwunden waren –, konnte der württembergische Dreikönigstag von einem Dokument des nationalpolitischen Zwiespalts zwischen Demokraten und Liberalen zum Symbol ihrer wiedergewonnenen Einheit als „bürgerliche“ Emanzipationsbewegung werden. Er blieb ein Ort der württembergischen Politik.

Einen gemeinsamen südwestdeutschen Liberalismus gab es nicht. Baden und Württemberg gingen unterschiedliche politische Wege – in der Revolution 1848/49, im Jahrzehnt, als das deutsche Kaiserreich entstand, und auch danach. Erst in der Bundesrepublik wurde aus dem Traditionsort der württembergischen Demokraten eine südwestdeutsche Plattform für den deutschen Parteiliberalismus.

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Gegen Preußen und seine liberalen Helfer – Württembergs Demokraten

Parade unter schwarz-rot-goldener Fahne

Den Nationalstaat ersehnten Liberale und Demokraten gleichermaßen. Doch welche territoriale Gestalt er erhalten sollte, mit Österreich oder ohne die alte deutsche Kaisermacht, und wie er verfassungspolitisch ausgestaltet werden sollte, über diese Kernfragen spaltete sich das politische Bürgertum und mit ihm seine Parteien. In Württemberg entstand in der Mitte der 1860er-Jahre erneut, wie 1848/49, eine starke demokratische Partei (Volkspartei). Sie lehnte kompromisslos einen deutschen Nationalstaat unter preußischer Hegemonie ab. Sich dem drohenden „Großpreußen“ zu widersetzen, nannte die württembergische Volkspartei die „nationale Pflicht Süddeutschlands“. Darin wusste sie sich mit ihrem König einig. Die Entscheidung fiel 1866 im innerdeutschen Krieg, als das besiegte Österreich aufgrund der kleindeutschen Option aus dem Deutschen Reich ausschied, und dann im Deutsch- Französischen Krieg. Als aus ihm 1871 der deutsche Nationalstaat unter einem preußischen Kaiser hervorging, standen die Demokraten vor einem politischen Scherbenhaufen.

Wie sie darauf reagierten und wie im Laufe des Kaiserreichs Demokraten und Linksliberale zusammenfanden, lässt sich am Stuttgarter Dreikönigstreffen verfolgen. In Württemberg lag die Hochburg der Demokraten und von hier kamen Politiker, die den demokratischen Liberalismus in seiner ganzen Bandbreite bis in die Gegenwart immer wieder prägten. Auf dem Dreikönigstag mussten sie sich bewähren. Wer dort regelmäßig reden durfte, war anerkannt unter den Demokraten Württembergs und fand Resonanz über das Land hinaus.

Gegen „die militärische Verpreußung Württembergs“, diese Parole, unter der sich die Demokraten noch 1870 auf ihrem Parteitag gegen „unsere Bettelpreußen“, wie sie die liberalen Gegner nannten, formiert hatten, trug nicht mehr, nachdem ein Jahr später der deutsche Nationalstaat ins Leben getreten war. An ihrem Dreikönigstag, den sie ab 1876 wieder regelmäßig durchführten, lässt sich ablesen, wie sich Württembergs Demokraten in den jungen Nationalstaat einlebten, warum sie ihn zu schätzen lernten, ohne in ihrer Kritik an seiner unvollendeten Parlamentarisierung und dem Übergewicht Preußens nachzulassen, und welche Reformziele sie in Württemberg verfolgten.

Der Dreikönigstag wurde zu einem Ort, an dem sich Demokraten aus allen Regionen Württembergs trafen und persönlich kennen lernten, sich über die politische Lage in ihren Gemeinden austauschten, die Aktivitäten ihrer Parteigruppen erörterten und über das Geschehen in den Parlamenten Württembergs und des Reichs von ihren Abgeordneten informiert wurden. Sie diskutierten über Erfolge und Misserfolge, besprachen und beschlossen den politischen Kurs der nächsten Jahre. Gesinnungsfreunde aus anderen deutschen Ländern nahmen ebenfalls teil und die politischen Gegner kommentierten in ihren Zeitungen ausführlich die „Demokratenparade unter schwarz-rot-goldener Fahne“ – eine abfällige Charakterisierung der Widersacher, die man zum Ehrentitel ummünzte.

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Der Revolution von 1848 verpflichtet: die württembergischen Demokraten

Württembergs Demokraten schmückten ihren Dreikönigstag stets mit den nationalen Farben der 48er-Revolution: ein politisches Bekenntnis, das sie vereinte und gegen die anderen Parteien abgrenzte, zugleich ein offener Widerspruch gegen den Nationalstaat von 1871 in seiner preußisch-hegemonialen Gestalt. Mit Schwarz-Rot-Gold bekannten sie sich auf ihren Parteitagen zum ersten deutschen Nationalstaat, der 1848 aus der Revolution entstanden und mir ihr 1849 untergegangen war. Sie ehrten dessen Werk, die Reichsverfassung mit dem Grundrechtekatalog, der nicht in die Verfassung von 1871 übernommen worden war, 1918 jedoch in die Weimarer Verfassung Eingang finden sollte und sie erinnerten mit den Farben der Revolution daran, dass 1871 nicht verwirklicht wurde, was „die Besten des Jahres 1848 gewollt“ hatten. So formulierte es 1901 ein Redner, als er den Parteifreunden das vergangene Säkulum vor Augen stellte.

Die Erinnerung an die 48er-Revolution blieb lebendig, – mehr noch, sie war leibhaftig zugegen, wenn bis in die letzten beiden Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts Karl Mayer, Julius Haußmann und Ludwig Pfau – alle drei waren unmittelbar an der Revolution beteiligt gewesen oder hatten diese zumindest offen unterstützt – auf den Dreikönigstreffen umjubelt auftraten. 1848 hatten diese drei bei den Demokraten mitgewirkt, in den 1860er-Jahren gehörten sie zu den Gründern der demokratischen Volkspartei und im ungeliebten Kaiserreich prägten sie deren Politik während der Bismarck-Ära. 1898, zum 50. Jahrestag der Revolution, sahen ihre Porträts in der Stuttgarter Liederhalle, dem Traditionsort für das Dreikönigstreffen, auf die Demokraten herab und eine Erinnerungspostkarte mit den „Bildern der drei alten Parteiführer“ trug das Gedenken an die Revolution und das Bekenntnis der württembergischen Volkspartei zu ihr ins ganze Land.

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Das Programm der württembergischen Demokraten

„Der 6. Januar läßt keinen echten Demokraten zu Hause.“ Als die Parteizeitung der württembergischen Demokraten, der Stuttgarter Beobachter, mit diesen Worten 1904 für die Teilnahme am Dreikönigstreffen warb, verglich sie es mit der Versammlung der Landsgemeinde im Schweizer Kanton Appenzell. Daraus sprechen das Staatsideal der Volkspartei und ihr politischer Anspruch, Demokratie zu verwirklichen. Auf ihrem „Festtag der schwäbischen Demokratie“ wollte sie vorleben, was das neue Kaiserreich und auch die württembergische Monarchie seinen Bürgern vorenthielt.

Ihr Wunschstaat war föderal organisiert. Kompetenzmächtige Länder gestalten die Politik, ähnlich wie die Kantone im Schweizer Bundesstaat, ergänzt durch Gemeinden als starke Institutionen bürgerlicher Selbstverwaltung. Nur im Föderativstaat sah die demokratische Volkspartei einen Garanten der Demokratie, nicht im zentralisierten Einheitsstaat. Ihn entschieden abzulehnen, zog eine scharfe Trennlinie zu den Linksliberalen in anderen Teilen Deutschlands und erst recht zu den Nationalliberalen in Württemberg und anderswo: „Lakaien Bismarcks“, so urteilten sie, „Unitarier, Centralisten, Annexionisten“.

„Gleichheit Aller in der Freiheit aller“

Württembergs Demokraten waren schon 1848 Herzensrepublikaner gewesen, und sie blieben es auch im Kaiserreich. Dessen Monarchien und Fürstenhäuser stellten sie nicht in Frage, aber ihre Forderungen waren: kein Gottesgnadentum, sondern „Fürsten von Verfassungsgnaden“, keine Untertanen, keine Standesvorrechte, nur gleichberechtigte Bürger. Deren Wahlrecht sollte nicht durch zu lange Parlamentsperioden verkümmern oder gar durch die lebenslängliche Amtsdauer, wie es bei den Ortsvorstehern in Württemberg lange der Fall war, beseitigt werden. Sie laste wie ein „Alp auf unserem Lande“, hieß es 1876 auf dem Dreikönigstreffen. Selbstverständlich lehnten sie auch Standesvertreter in den Abgeordnetenkammern ab.

Deshalb gehörte eine grundlegende Verfassungsrevision zu ihren landespolitischen Kernforderungen. Im Reich wollten sie den Bundesrat, das Vertretungsorgan der Länderregierungen, in ein Staatenhaus als Repräsentation der Länderparlamente umbauen. Vor allem aber verlangten sie auf allen Ebenen das volle Budgetrecht für die Parlamente und keine indirekten Steuern, um das parlamentarische Steuerbewilligungsrecht, „das A und O des constitutionellen Verfassungssystems“, nicht einzuschränken. Nur so ist das Volk der „Geldherr“. Ihr Ziel war die „Parteiregierung“. So umschrieben sie das parlamentarische Regierungssystem, in dem die Regierung aus der Parlamentsmehrheit hervorgeht.

„Gleiches Recht für Alle“ und „Gleichheit Aller in der Freiheit aller“ – so definierte die Volkspartei Demokratie. „Die Idee des Rechts als Mission der Demokratie – das ist die Reinerhaltung des politischen Ideals in einer Zeit der Fälschung.“ Unter dieser Parole des Dreikönigstags von 1876 sammelten sich Württembergs Demokraten, um den „Scheinconstitutionalismus“ des jungen Nationalstaates zu reformieren. In den „Schmollwinkel“ wollten sie sich nicht zurückziehen. Die kurze Phase der Ratlosigkeit, in die sie die Reichsgründung gestürzt hatte, endete bereits 1872. Nicht alle waren damit einverstanden, doch auf dem Dreikönigstreffen entschied die Mehrheit, das Neue nicht zu boykottieren, „um den Strom der Ereignisse nicht über unsere Häupter hinwegfluten zu lassen“.

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Dossier: Die Revolution 1848/1849 in Baden und Württemberg

Die Deutsche Revolution nahm in Baden ihren Anfang – und endete hier. Als erste revolutionäre Aktion in Deutschland gilt die Mannheimer Volksversammlung am 27. Februar 1848. Das Ende der Revolution ist die Niederlage der badischen Revolutionsarmee in der Festung Rastatt am 23. Juli 1849. Wie kam es zur Revolution? Und warum scheiterte sie? Diese Seite informiert über die Revolution in Baden, den Verlauf der Badischen Revolution und die Wege der Revolutionäre.

Dossier: Die Badische Revolution

Dreikönigstreffen – Ort demokratisch-föderativer Selbstbestimmung, Bildungsstätte und Familienfest ohne Frauen

Der Dreikönigstag der württembergischen Volkspartei entwickelte sich im Kaiserreich zu einem Ort gelebter innerparteilicher Demokratie. An ihm ließ sich der Zustand der Partei ablesen, auf ihm diskutierte sie ihre Ziele und entschied sie. Diese Treffen waren aber auch Informationsbörsen und politische Bildungsstätten, und sie wurden als „große politische Familienzusammenkünfte“ gefeiert. Sie endeten stets mit einem gemeinsamen Mittagsmahl, begleitet von einer Vielzahl von Toasten und mitunter auch von Musik.

Als seit dem letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts die Teilnehmer immer zahlreicher zum „Vereinigungsfest der württembergischen Demokratie“ kamen – 1898 schätzte man 1600 Personen –, verfeinerten die Organisatoren den Ablauf. Der Vorabend begann mit einer Vertrauensmännerversammlung, auf der die Delegierten der Ortsgruppen über ihre Arbeit berichteten, gemeinsame Aktionen besprachen, politische Themen festlegten, auf die sie sich konzentrieren wollten, und Wahlkämpfe vorbereiteten. Die Hauptversammlung, die den Konzertsaal und zunehmend auch die Nebensäle der Stuttgarter Liederhalle füllte, hörte den Parteibericht und vor allem die Redner, die über die Reichs- und Landespolitik informierten.

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„Männerschule für Demokratie“

Wer hier sprach, gehörte zur informellen Parteiführung: die Demokratendynastie der Haußmanns – zunächst Julius, demokratisches Urgestein, dann seine Söhne Conrad und, bis zu seinem frühen Tod 1889, Friedrich; Karl Mayer, der nach der 48er-Revolution Schutz vor politischer Verfolgung in der Schweiz gefunden hatte, ein überzeugter Antipreuße, den Bismarck als Vaterlandsverräter diffamierte; Friedrich Payer, langjähriger Abgeordneter in Württemberg und im Reich, dessen Vizekanzler er 1917 wurde; auch der junge Theodor Heuss bewährte sich noch im Kaiserreich als Redner auf Dreikönigstreffen.

Was das Land und sie politisch bewegte, erörterten die Demokraten auf ihrer Landesversammlung. Besprochen wurden nicht nur die großen Fragen der Politik wie die Flottenrüstung oder der deutsche Kampf um einen kolonialen „Platz an der Sonne“, auch Details von Steuerregelungen oder des neuen Militärstrafrechts, Gewerbe- und Schulreformen, die Lage der Landwirtschaft, die Finanzierung der Kommunen oder die Gründe, warum die Weigerung, den Reichstagsabgeordneten Diäten zu zahlen, die demokratischen Mitwirkungschancen beeinträchtige.

An die Vorträge schlossen sich Debatten an, Widerspruch war üblich – eine Schule der Demokratie und ein Ort politischer Bildung im „lebendigen Wechselverkehr“ zwischen der Parteiführung und den Mitgliedern. Gelegentlich wurden die Reden zusätzlich als Flugblatt gedruckt, um auch diejenigen zu erreichen, die nicht nach Stuttgart kamen oder den Beobachter lasen. In einem solchen Umfeld wirkte Kritik an den großsprecherischen Auftritten Kaiser Wilhelms II., an dem „Opernhaften der Politik“ oder an einer Kolonialpolitik des „mit Kanonenläufen gepredigten Evangeliums“ glaubhaft.

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Doch die Frauen lassen sich nicht länger ausgrenzen

Zum Abschluss versammelte sich eine große Zahl der Teilnehmer stets zum gemeinsamen Essen. Selbst dieser gesellige Teil des Demokratenfestes blieb bis zum Vorabend des Ersten Weltkrieges eine geschlossene Veranstaltung für Männer: ein demokratisches Familienfest ohne Ehefrauen und Töchter, sogar bei Tisch. Nur ein gelegentlicher Toast gedachte derer, die noch nicht zur politischen Familie zählten. Bis 1908 sperrte das Gesetz Frauen aus Parteien und politischen Versammlungen aus, nicht aber vermochte es, ihnen andere Formen politisierter Geselligkeit zu verschließen. In sie einzutreten, wagten demokratische Württembergerinnen erstmals zum Dreikönigstag 1911, gut zu erkennen an ihren Hüten.

Ein weibliches Parteimitglied entrüstete sich: „Hüte ab, meine fortschrittlichen Mitschwestern! Eine politische Versammlung ist kein Restaurant oder ein five o’ clock tea, nicht einmal ein Konzert oder ein Theater. Wenn wir teilnehmen wollen an der politischen Arbeit der Männer, so dürfen wir nicht von vornherein durch Schwächen des Alltags einen Zweifel in die Seele legen an dem Ernst, mit dem wir doch bei der Sache sind.“ Aus der gereimten Antwort einer „Mitschwester“, ironisch und anspielungsreich, spricht das neue Selbstbewusstsein politisch engagierter Frauen.

Der „Beobachter“ veröffentlichte sie:

Antwort einer „Mitschwester“ im „Beobachter“

Nach der Liederhall’ am Freitag
Wandert ich zu dem Parteitag
In dem neuen Sonntagshut,
Fortschrittsfroh und wohlgemut
Daß als Frau zum erstenmal
Ich ein Recht in diesem Saal
Zuzuhören haben sollte,
Was ich längst schon gerne wollte. […]

Da kannst du hören
Von des Worts berühmten Meistern,
Payer, Haußmann, die begeistern
Jedes Freigesinnten Herz
Aus dem Land und anderwärts,
Manche kluge Weisheitssprüche,
Kinderstube und auch Küche
Kannst vergessen eine Stunde
In solch edler Geister Runde. –
Aber sieh nur, sieh, ach sieh!
Kaum erklomm ich die Gal’rie –
Raucheswolken mich umfangen,
Nebelschwaden, die wie Zangen
In den Augen beißen, zwicken,
Die auf Hirn und Kopf mir drücken. –
Ist das meines Herdes Rache,
Der allhier mir steigt auf ’s Dache,
Weil ich heut’ mich wollt’ vermessen,
Einmal nur sein zu vergessen? [...]

Das sind Tausende Zigarren,
Die wie aus der Hölle Schlund
Drunten aus der Männer Mund
Ragen in des Saales Luft,
Beizen sie mit ihrem Duft!
‚Aller Segen steigt nach oben.‘
Doch das kann ich gar nicht loben!
Hurtig schleich’ auf leisen Sohlen
Ich bescheiden und verstohlen
Ohne Laut die Treppe ’runter
Setz mich in den Saal ganz munter
Auf ’nen Stuhl im Hintergrund

Mutig an der Hölle Schlund.
Doch da denk ich meines Hutes
Und will schleunigst, wie man tut es,
Wenn er stört, weil er zu groß,
Betten ihn auf meinen Schoß.
Werf ’ noch einen Blick nach vorne:
Da in jäh erwachtem Zorne
Stockt und zögert meine Hand,
Als ich seh, wie eine Wand
Von acht breiten Männerrücken
Sich erhebt vor meinen Blicken,
Unbarmherzig nicht nur mir,
Nein, noch ganzer Reihen vier
Aussicht nimmt und Licht und Luft,
Daß wir wie in finst’rer Gruft,
Hinter solchen steh’nde Mauern
Auf das Wort der Redner lauern.
Und die Hand, die schon erhoben,
Sinkt herab, der Hut bleibt droben,
Weil doch niemand hinter mir,
Wenn der Männer zwei mal vier
Mitten in den Reihen stehn,
Kann was von dem Podium sehn.
Jetzo, liebe Schwester, sprich,
Kannst Du nun verstehen mich?
Gern will ich ja auch entschuld’gen
Alle Männer, welche huld’gen
Ihrem altgewohnten Brauch,
Zu verpaffen ihren Rauch,
Aber die, so voller Tücken
Schieben stehend ihre Rücken
Brüdern, Schwestern, vors Gesicht,
Kann ein Hutrand stören nicht.

1911 hatte sich die württembergische Volkspartei um Linksliberale zur Fortschrittlichen Volkspartei erweitert. Sie warb für das Recht der Frauen, an den Kommunalwahlen teilzunehmen – das war mehr als die anderen Liberalen zu fordern bereit waren – doch die volle staatsbürgerliche Gleichheit nannte Friedrich Payer noch 1910 auf dem Dreikönigstag eine Frage der Zukunft, nicht der Gegenwart. Im Ersten Weltkrieg gaben Württembergs Demokraten diese abwehrende Haltung langsam auf. 1919 wurde das erste Dreikönigstreffen in der Weimarer Republik, die den Frauen das Wahlrecht gab, bereits von einer Frauenversammlung der Partei begleitet. An ihr nahmen auch Männer teil.

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„Bürgerstube“ und „Herrenstube“: Demokraten und Liberale

Auch über die soziale Öffnung der Volkspartei wurde auf ihrem Dreikönigstag diskutiert und entschieden. Die Ausnahmegesetze gegen die Sozialdemokratie hatte sie stets kompromisslos abgelehnt, doch wie sie sich gegenüber den neuen Sozialgesetzen des Reichs verhalten sollte, war zunächst umstritten. Wer sich durchsetzte, zeigt das Treffen von 1901: den liberalen Staat zum sozialen weiterzuentwickeln wurde als Ziel formuliert, nicht aber zum sozialdemokratischen. Der demokratische Staat der Zukunft dürfe kein Klassenstaat sein und auch kein konfessioneller. Es gehe um die „Ethisierung der Politik“. Das richtete sich auch gegen jede Form des Militarismus und forderte Zurückhaltung in der Kolonialpolitik. „Der Schule und nicht der Kaserne gehört die Zukunft!“, rief Friedrich Haußmann 1890 der Versammlung zu. „Donnernder Beifall“ antwortete ihm.

Wie sich die Volkspartei selber sah, beschrieb ein Mitglied, das 1900 den Dreikönigstag der Demokraten und kurz darauf auch die Stuttgarter Landesversammlung der (rechts-)liberalen Deutschen Partei besucht hatte: die Liederhalle als „die gewöhnliche Bürgerstube“, der Stadtgartensaal der Liberalen als „das Nebenzimmer oder Herrenstüble“.

Ein neues Bild von Föderalismus zeichnet sich ab

Württembergs Demokraten bleiben „demokratisch-föderalistisch“ hieß es demonstrativ auf dem Dreikönigstag von 1910, der ein neues Parteistatut beschloss, um die Vereinigung mit den Linksliberalen zu ermöglichen. Doch was meinte damals föderalistisch? Das Wort blieb, seine Bedeutung wandelte sich radikal.

Von Karl Mayer erzählten die politischen Gegner – und seine Parteifreunde hörten es gerne –, er pflege schon zum Frühstück einige Preußen zu verspeisen. Doch selbst dieser erklärte Feind alles Preußischen und jeder Zentralisierung verblüffte 1879 seine demokratischen Gesinnungsfreunde mit einer Rede über „das moderne System des Reichs“: allgemeines Wahlrecht, im Gegensatz zu den Ländern – dass die Frauen weiterhin ausgeschlossen blieben, musste er nicht eigens erwähnen, das galt auch den Demokraten als selbstverständlich –, besserer Zugang zum Staatsbürgerrecht, Wegfall aller obrigkeitlichen Hindernisse zu heiraten. Er hätte noch vieles andere erwähnen können, etwa die staatsbürgerliche Gleichstellung der Juden, gegen deren Diffamierung durch die Antisemiten sich die demokratische Volkspartei stets energisch wandte.

Wie sich die Einstellungen zum Föderalismus im Laufe des Kaiserreichs auch unter den Demokraten Württembergs verändert haben, lässt Theodor Heuss’ Rede "Das Staatsrecht im Kriege" auf dem Dreikönigstag von 1918 erkennen. Die Entstehung von Reichsministerien, eine zentrale Forderung der Volkspartei, um die Parlamentarisierung voranzubringen, habe politisch erfolgreich zentralisiert, verbunden mit einer „Erweichung des Föderativgedankens“. Der „Volksstaat“, so Heuss, könne die „großen Wirtschafts-, Finanz- und Verkehrsaufgaben der deutschen Zukunft […] nur zentralistisch […] lösen“. Er meinte eine Zentralisierung in demokratischer Absicht.

„Kultureller Föderalismus“

Ihre Gegner sah er nicht bei den Demokraten Württembergs, sondern auf Seiten der partikularistischen Dynastien. „Der Krieg wird um des Reiches willen geführt, nicht um dynastischer Territorialpolitik.“ Damit traf Heuss die republikanische Grundstimmung seiner Parteifreunde. Sie zollten ihm „lebhafte Zustimmung“, obwohl er den Föderalismus von der staatlichen Ebene auf die kulturelle verschob: „Die Vielstimmigkeit der deutschen Stammesarten soll bleiben.“ Den „Stammescharakter“ der Württemberger oder anderer Regionen sah er durch die Stärkung des Reiches, die er für notwendig hielt, nicht gefährdet.

Dieser Einstellungswandel, die Furcht vor einem Föderalismus, der die Einheit der Nation und die Entscheidungsfähigkeit des Gesamtstaates schwächen könnte, gründet in der Parlamentarisierungsblockade, die seit 1871 vom Bundesrat als dem Organ der Gliedstaaten des Deutschen Reiches ausgegangen war. Darauf verwies Heuss in seiner Dreikönigstagrede von 1918 ausdrücklich. Noch im selben Jahr spottete er in seiner Schrift Die Bundesstaaten und das Reich über die „Quadratkilometersouveränität“ der Kleinen. „Das muß in aller Offenheit ausgesprochen werden, jeder Schritt, den der Parlamentarismus in der Reichspolitik vorwärts macht, zertritt ein Stück des alten deutschen Föderalismus, stärkt den Zentralismus und den Unitarismus.“ Und mit dem Föderalismus werde die Fürstenherrschaft geschwächt. Eine zentrale Aufgabe in seiner Sicht auf die deutsche Geschichte.

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Als Ziel die Entmachtung Preußens

Darin stimmte er völlig mit den Altvorderen in der württembergischen Volkspartei überein. Sie alle kämpften gegen die Vorstellung, die deutsche Nation und der deutsche Nationalstaat seien Geschöpfe „von oben“, Geschenke der Fürsten, vor allem des preußischen Königs und seines Paladins Bismarck an die Deutschen.

Entföderalisierung galt Heuss 1918 als eine andere Art, Preußen zu entmachten. Preußen in Provinzen zerschlagen, um es in einen demokratischen Nationalstaat einpassen zu können, hieß das strikt föderative Programm der alten Demokraten. Mit seinem ceterum censeo Borrussiam esse delendam („Im Übrigen meine ich, dass Preußen zerstört werden muss“), gemeint war, Preußen in seine Provinzen zu zerlegen, hatte Ludwig Pfau die württembergischen Demokraten immer wieder begeistert. Den politischen Föderalismus, der immer auch ein dynastischer war, durch Zentralisierung abbauen, um den unitarischen Nationalstaat parlamentarisch handlungsfähig zu machen, auch und gerade gegen Preußen, wurde hingegen die Leitlinie der jungen Demokraten, zu denen auch Theodor Heuss gehörte.

In der Weimarer Republik bekannten sich Württembergs Demokraten, nun organisiert in der Deutschen Demokratischen Partei, zwar weiterhin zum Föderalismus, doch nun ging es gegen eine „auf die Spitze getriebene, überstürzte Unitarisierung“, wie es auf dem Dreikönigstag von 1920 hieß. Der Gefahr, alles von Preußen her zu beurteilen, setzte man einen „süddeutschen Widerspruch“ entgegen. Doch der Kampf gegen das Reich war vorbei.

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Überblick: Erinnerungsorte in Baden-Württemberg

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