Bürgermeisterinnen und Bürgermeister in Baden-Württemberg

von Prof. Dr. Hans-Georg Wehling, aus: Handbuch Kommunalpolitik (2019)

Ratsverfassung mit „Bürgermeistersuprematie“

Die Organe, mit deren Hilfe eine Gemeinde handelt, sind der Gemeinderat und der Bürgermeister bzw. die Bürgermeisterin. Legitimiert werden sie durch die Bürgerschaft. Wahlberechtigt sind die Gemeindebürgerinnen und -bürger sowie die in der Gemeinde ansässigen EU-Bürgerinnen und -Bürger. Für die Kommunalwahlen in Baden-Württemberg ist dabei das Wahlalter inzwischen von 18 auf 16 Jahre gesenkt worden (Gesetzesbeschluss des Landtags vom 11. April 2013). Das gilt auch für die Wahlen zum Kreistag, zur Regionalversammlung des Verbands Region Stuttgart, für Bürgermeisterwahlen sowie für die Teilnahme an Bürgerbegehren und Bürgerentscheid. Auch das passive Wahlrecht bei Kommunalwahlen wurde abgesenkt (2023): Gemeinderätinnen und Gemeinderäte müssen mindestens 16 (zuvor 18), Bürgermeisterinnen und Bürgermeister mindestens 18 Jahre (zuvor 25) alt sein.

Dass Baden-Württemberg 2013 als achtes Land der Bundesrepublik das aktive Wahlalter bei Kommunalwahlen senkte, war politisch umstritten. Mangelndes Interesse und zu geringe Informiertheit der Jugendlichen wurden dagegen angeführt. Da es keine Wahlpflicht gibt, ist das jedoch ein schwaches Argument: Wer kein Interesse hat, geht nicht zur Wahl. Allerdings ist damit zu rechnen, dass mit der Ausweitung des Wahlrechts, also mit der Vergrößerung der Wählerschaft, die Wahlbeteiligung sinkt, weil beispielsweise EU-Ausländer (immer noch) recht selten zur Wahl gehen. Junge Leute hingegen beteiligen sich weniger an Kommunalwahlen, weil sie vielfach ihren Platz in der Gesellschaft und damit in den Gemeinden erst noch finden müssen. Das geschieht zumeist erst mit der Gründung einer Familie.

Dennoch gibt es einige Argumente für die Absenkung des Wahlalters:

  • Die Interessen von jungen Menschen werden stärker berücksichtigt, was angesichts der alternden Gesellschaft vielen nötig erscheint.
  • Wenn junge Menschen früher wählen dürfen, wird ihr Interesse an politischer Bildung geweckt. Damit kommt auch dem Politikunterricht in der Schule eine weitere besondere Bedeutung zu.
  • Wer in frühen Jahren zur Wahl geht, beteiligt sich auch in späteren Jahren eher an Wahlen, so eine These.
  • In der Politik wird oftmals über zentrale Zukunftsfragen (z. B. Klimakrise) entschieden. An diese Entscheidungen sollten junge Menschen stärker beteiligt werden, weil es um ihre Zukunft geht.

Der Gesetzgeber ist jungen Menschen aber auch mit anderen Beteiligungsrechten als dem Wahlrecht entgegengekommen. So heißt es in § 41a der Gemeindeordnung:

„Die Gemeinde soll Kinder und muss Jugendliche bei Planungen und Vorhaben, die ihre Interessen berühren, in angemessener Weise beteiligen. Dafür sind von der Gemeinde geeignete Beteiligungsverfahren zu entwickeln. Insbesondere kann die Gemeinde einen Jugendgemeinderat oder eine andere Jugendvertretung einrichten. […] In der Geschäftsordnung ist die Beteiligung von Mitgliedern der Jugendvertretung an den Sitzungen des Gemeinderats in Jugendangelegenheiten zu regeln.“

Entsprechende Möglichkeiten bestanden auch schon vorher und wurden entsprechend genutzt, ähnlich wie Ausländer- bzw. Integrationsbeiräte, deren Ausgestaltung seit Längerem diskutiert wurde.

Nach oben

Verfassung und Verfassungswirklichkeit 

„Hauptorgan der Gemeinde“ ist nach der Gemeindeordnung für Baden-Württemberg der Gemeinderat als Volksvertretung (§ 24 Abs. 1 Satz 1 GemO). Nicht ohne Grund rangiert er in der Gemeindeordnung vor dem Bürgermeister. Ihm kommen umfassende Zuständigkeiten zu, so dass das kommunale Verfassungssystem hier als Ratsverfassung bezeichnet werden kann. Zu beachten ist, dass der Gemeinderat kein Parlament, sondern ein Verwaltungsorgan ist. Er erlässt nicht nur Rechtsvorschriften (Satzungen), wählt das Führungspersonal und kontrolliert die Verwaltung, wie es die Aufgabe von Parlamenten ist, sondern der Gemeinderat fällt zudem Einzelfallentscheidungen, weist die Verwaltung an und stellt das gesamte Gemeindepersonal ein (sofern diese Aufgabe nicht, bis zu einer gewissen Gehaltsgruppe etwa, dem Bürgermeister übertragen wird).

Die Domäne des Bürgermeisters sind demgegenüber „die Geschäfte der laufenden Verwaltung“ (§ 44 Abs. 2 GemO). Hinzu kommen Aufgaben, die ihm von Gesetzes wegen übertragen sind. Zusätzlich kann der Gemeinderat an den Bürgermeister einzelne Aufgaben delegieren.

Diese Dominanz des Gemeinderates durch die Kompetenzverteilung der Gemeindeordnung entspricht jedoch oftmals nicht der kommunalen Verfassungswirklichkeit. Vielmehr ist die Stellung des Gemeindeoberhauptes in der Praxis so stark, dass es sinnvoll erscheint, im Hinblick auf Baden-Württemberg eher von einer „Ratsverfassung mit Bürgermeistersuprematie“ zu sprechen.1 Das ist teilweise bereits in der Gemeindeordnung angelegt. Es wäre jedoch verfehlt, die Kompetenzverteilung isoliert zu betrachten. So wirken sich unter anderem Traditionen, gesamtgesellschaftliche, politische und ökonomische Entwicklungen auf die kommunale politische Praxis aus.

Quelle

1 Hans-Peter Biege/Georg Fabritius/H. Jörg Siewert/Hans-Georg Wehling: Zwischen Persönlichkeitswahl und Parteientscheidung. Kommunales Wahlverhalten im Lichte einer Oberbürgermeisterwahl, Königstein/Ts. 1978, S. 19.

Nach oben

Die starke Stellung des Gemeindeoberhaupts

Die starke Stellung des Gemeindeoberhaupts in Baden-Württemberg beruht darauf, dass es drei zentrale Führungsfunktionen vereinigt (vgl. § 42 Abs. 1 GemO):

  • Der Bürgermeister ist stimmberechtigter Vorsitzender des Gemeinderates und aller seiner Ausschüsse.
  • Er ist Chef einer monokratisch strukturierten Verwaltung, die auf ihn zugeschnitten ist. Selbst die vom Gemeinderat gewählten Beigeordneten sind rechtlich gesehen Untergebene des Stadtoberhaupts, das sie anweisen kann, etwas zu tun oder zu lassen.
  • Der Bürgermeister ist Vertreter der Gemeinde nach außen, in rechtlichen und in repräsentativen Belangen.

Als einziges Mitglied des Gemeinderates ist das Gemeindeoberhaupt in alle drei Phasen des kommunalen Entscheidungsprozesses eingebunden, und zwar entscheidend: Erstens in der Phase der Entscheidungsvorbereitung, zweitens in der Phase der Beratung und rechtsgültigen Entscheidung im Gemeinderat sowie drittens in der Phase der Entscheidungsausführung.

Erstens:

In der Phase der Entscheidungsvorbereitung erteilt die Bürgermeisterin bzw. der Bürgermeister Vorbereitungsaufträge an Mitglieder der Verwaltung, die sie/er mit inhaltlichen Weisungen verbinden kann. Bevor schließlich Vorlagen an den Gemeinderat gehen, trifft sie/er die Alternativenauswahl. Sie kann so getroffen werden, dass dem Rat nur ein einziger, als optimal bezeichneter Vorschlag als Verwaltungsvorlage unterbreitet wird. Wünscht der Gemeinderat ausdrücklich Entscheidungsalternativen, kann der Verwaltungschef die Alternativenauswahl so treffen, dass neben dem von ihm bevorzugten Vorschlag nur wenig realistische und mit vielen Nachteilen behaftete Alternativen platziert werden. Zur Vorbereitung von Gemeinderatsbeschlüssen gehört auch, dass das Gemeindeoberhaupt seiner Eigenschaft als Vertretung der Gemeinde Verhandlungen mit staatlichen Stellen, privaten Unternehmen und Privatpersonen führt und zum Abschluss bringt. Die Ergebnisse können dann vom Gemeinderat nur noch als Ganzes angenommen oder abgelehnt werden.

Zweitens:

In der Phase der Vorberatung in den Ausschüssen und der rechtsgültigen Entscheidung im Gemeinderat (oder in seinen beschließenden Ausschüssen, § 39 GemO) berät und entscheidet die Bürgermeisterin bzw. der Bürgermeister vollberechtigt mit wie jedes andere Gemeinderatsmitglied auch, sogar mit Stichentscheid bei Pattsituationen. Hinzu kommt, dass das Gemeindeoberhaupt den Vorsitz des Gemeinderates inne hat, mit dem Recht der Sitzungsleitung einschließlich der Möglichkeit, die Tagesordnung aufzustellen. Das Gleiche gilt für beratende wie beschließende Ausschüsse.

Gemäß der Gemeindeordnung kann zwar ein Ältestenrat gebildet werden, „der den Bürgermeister in Fragen der Tagesordnung und des Gangs der Verhandlungen des Gemeinderats berät“ (§ 33a GemO; Hervorhebung d. A.). Den Vorsitz hat jedoch auch hier die Bürgermeisterin bzw. der Bürgermeister. Wer je selbst einmal Sitzungen vorbereitet und geleitet hat, weiß, dass die Aufstellung einer Tagesordnung und die Leitung einer Sitzung erhebliche Steuerungsmöglichkeiten bieten. So platziert man zum Beispiel gerne wichtige Tagesordnungspunkte an den Schluss, in der Hoffnung, dass die Sitzungsteilnehmer sich bei den vorangegangenen weniger wichtigen Tagesordnungspunkten müdediskutiert haben.

Gegen Beschlüsse des Gemeinderates, mit denen die Bürgermeisterin bzw. der Bürgermeister nicht einverstanden ist, kann sie/er nicht nur wegen rechtlicher Bedenken Widerspruch einlegen. Sie bzw. er kann es auch, „wenn (sie bzw.) er der Auffassung ist, dass sie für die Gemeinde nachteilig sind“ (§ 43 Abs. 2 GemO). Ein Widerspruch, der nicht aus rechtlichen Bedenken erfolgt, hat allerdings nur aufschiebende Wirkung.

Die Gemeindeordnung von Baden-Württemberg räumt der Bürgermeisterin bzw. dem Bürgermeister zudem das Recht ein, „anstelle des Gemeinderats“ zu entscheiden, und zwar „in dringenden Angelegenheiten […], deren Erledigung auch nicht bis zu einer ohne Frist und formlos einberufenen Gemeinderatssitzung aufgeschoben werden kann“ (§ 43 Abs. 4 GemO). Zwar muss das Gemeindeoberhaupt die Gründe dafür und die „Art der Erledigung“ den Gemeinderäten „unverzüglich“ mitteilen, aber erst hinterher. Dann kann die Entscheidung bereits rechtskräftig geworden sein und nicht mehr rückgängig gemacht werden (z. B. beim Kauf einer Immobilie).

Drittens:

In der Phase der Entscheidungsausführung ist die Bürgermeisterin bzw. der Bürgermeister als Chefin bzw. Chef der Verwaltung wieder allein zuständig. Da mit zunehmender Kompliziertheit der zu regelnden Materien nicht alles in der formalen Entscheidungsphase vorweg programmiert werden kann, bleibt in der Ausführungsphase vielfach ein erheblicher Entscheidungsspielraum für die Verwaltung und ihre Chefin bzw. ihren  Chef.

Nach oben

Die „höhere Weihe“ der Volkswahl

In Baden-Württemberg wird die Bürgermeisterin bzw. der Bürgermeister unmittelbar von den Bürgerinnen und Bürgern der Gemeinde gewählt (vgl. § 45–47 GemO). Diese Volkswahl ist ein echtes Plebiszit, eine Abstimmung über Personen – und sie wird von den Wählerinnen und Wählern auch so wahrgenommen. Selbst jene Wahlberechtigte, denen die Parteizugehörigkeit der Kandidatinnen und Kandidaten als Orientierung gilt, handeln in dem Bewusstsein, über das politische Geschick einer Person zu befinden.

Plebiszite verleihen dem Amt eine höhere Weihe – und das bedeutet mehr Macht: Die bzw. der so Gewählte fühlt sich „höher legitimiert“ als die einzelnen Mitglieder des Gemeinderats. Das Gemeindeoberhaupt kann sich darauf berufen, dass es mehr Stimmen als jedes einzelne Gemeinderatsmitglied erhalten hat. Bei einer Wiederwahl können dies sogar nicht selten „Traummehrheiten“ sein, die bis in die neunzig Prozent gehen können. Entsprechend kann es vor dem Gemeinderat seinen Durchsetzungsanspruch begründen. Geschwächt werden kann ein solcher Wahlsieg allenfalls durch eine als zu niedrig empfundene Wahlbeteiligung.

Durch die Volkswahl ist das Gemeindeoberhaupt in seiner politischen Existenz vom Gemeinderat unabhängig. Unterstrichen wird diese Unabhängigkeit in Baden-Württemberg zudem dadurch, dass – anders als in anderen Bundesländern – die Amtszeit (acht Jahre) unabhängig von der des Gemeinderates (fünf Jahre) ist. Hinzu kommt das Verbot einer Koppelung von Gemeinderats- und Bürgermeisterwahl, was in anderen Bundesländern durchaus erlaubt ist. Das bedeutet für das Gemeindeoberhaupt in Baden-Württemberg auch eine Unabhängigkeit von den Wahlkampferfordernissen seiner Partei, sofern er einer Partei angehört.

Nach oben

Das Gemeindoberhaupt als Geldbeschaffer

Finanziell leben die Gemeinden von eigenen Steuereinnahmen, von Finanzzuweisungen des Landes, des Bundes und zum Teil auch von der EU sowie von Einnahmen, denen eine konkrete Gegenleistung gegenübersteht (Verwaltungsgebühren, Erschließungsgebühren, Eintrittsgelder, Mieteinnahmen, Verkäufe von Grundstücken, Holz u. a.). Im Schnitt, der jedoch erhebliche Abweichungen kennt, ist jede dieser drei Einnahmearten zu je einem Drittel an den Gemeindeeinnahmen beteiligt. Ihr Wert wird nicht zuletzt dadurch bestimmt, in welchem Ausmaß die Einnahmehöhe durch die Kommunalpolitik beeinflusst werden kann.

Eine der wichtigsten Einnahmequellen stellt die Gewerbesteuer dar, die vom Ertrag der am Ort ansässigen Unternehmen zu zahlen ist. Das bedeutet auch: Die Gemeinde muss sich um die Ansiedlung von Unternehmen bemühen und diese dann auch entsprechend „pflegen“. Hier kommt es auf das Gespür, die Kontaktfähigkeit und das Verhandlungsgeschick der Bürgermeisterin bzw. des Bürgermeisters an sowie auf die Fähigkeit, die erforderlichen Genehmigungsverfahren, Grundstückskäufe und Ähnliches effektiv und vor allem schnell durchzuführen.

Zudem wird das Gemeindeoberhaupt versuchen, für konkrete Vorhaben in der Gemeinde – zum Beispiel für Projekte der Ortssanierung – Geld „von außen“ zu bekommen, von Land, Bund oder EU. Es handelt sich hierbei um projektgebundene Finanzzuweisungen, im Gegensatz zu allgemeinen Zuweisungen, die ohne Bedingungen gewährt werden, damit die Gemeinden ihre Aufgaben erfüllen können. Voraussetzung ist, dass die Chefin bzw. der Chef im Rathaus das Angebot überschaut. Dazu bedarf es eines umfassenden Informationssystems, was eben auch heißt: eines persönlichen Kontaktgeflechts. Solche Netzwerke wurden vielfach schon im Studium geflochten, etwa an den baden-württembergischen Hochschulen für öffentliche Verwaltung in Kehl und Ludwigsburg.

Hilfreich ist es so, frühzeitig jene Töpfe aufzuspüren, aus denen Geld zu holen ist, was wiederum auch voraussetzt, dass das Gemeindeoberhaupt rechtzeitig bezuschussungsfähige Pläne präsentieren kann. Da die Mittel durchweg knapp sind, gilt hier das „Windhundprinzip“: Der Schnellste gewinnt. Dazu braucht man eine schnell und gut arbeitende Verwaltung sowie beizeiten Informationen über die Zuschusskriterien. Somit ist das Gemeindeoberhaupt auch hier derjenige bzw. diejenige, der bzw. die die Gemeinde vertritt, für sie handelt und damit für die Gemeindefinanzen, für Arbeitsplätze und das Infrastrukturangebot der Gemeinde sorgen kann.

Für den Gemeinderat besteht dann nur die Möglichkeit, anzunehmen oder abzulehnen, was bei der Finanzknappheit der Gemeinden oft keine echte Wahlmöglichkeit darstellt. Die Folgen sind noch viel weitgehender: Da projektgebundene Gelder in der Regel nur bewilligt werden, wenn die Gemeinde selbst einen Eigenanteil aufbringt, wird durch die Annahme solcher Finanzzuweisungen der finanzielle Entscheidungsspielraum der Gemeinde und damit des Gemeinderats eingeengt.

Nach oben

Die „Profis“ und die „Feierabendpolitiker“

Das Gemeindeoberhaupt  hat als Chefin bzw. Chef der Verwaltung gegenüber den Mitgliedern des Gemeinderates zweierlei voraus. Erstens ist es hauptamtlich für die Kommunalpolitik zuständig. Sie bzw. er steht also als „Profi“ den “Feierabendpolitikern“ des Gemeinderates gegenüber. Zweitens verfügt sie/er über einen Apparat von “Profis“, die zuarbeiten oder entsprechend den Anweisungen in ihrem/seinem Namen handeln. Je komplexer ein System, je größer eine Gemeinde und je komplizierter die Aufgabenfülle und Aufgabenverschränkung wird, desto entscheidender wird die Verfügungsgewalt über den „Apparat“.

Davon profitiert nicht nur die Bürgermeisterin bzw. der Bürgermeister, sondern auch die Beigeordneten (in Gemeinden ab 10.000 Einwohner) sind Nutznießer. Die Macht des Gemeindeoberhaupts und der Beigeordneten samt der ihnen unterstehenden Amtsleitungen verdichtet sich für den Gemeinderat zur „Macht der Verwaltung“, der gegenüber sich das einzelne Gemeinderatsmitglied gelegentlich ziemlich hilflos vorkommen kann. Doch diese Verwaltung ist nicht durchweg ein Monolith, eine geschlossen dastehende Macht. Die Regel ist, dass zumindest die größeren Fraktionen „ihren“ Beigeordneten haben, wie das die Gemeindeordnung nahelegt (§ 50 Abs. 2 GemO):

„Sieht die Hauptsatzung mehrere Beigeordnete vor, sollen die Parteien und Wählervereinigungen gemäß ihren Vorschlägen nach dem Verhältnis ihrer Sitze im Gemeinderat berücksichtigt werden.“

Diese Beigeordneten sind die Ansprechpartner der Fraktionen, sind jeweils „ihr Mann“ oder „ihre Frau“ in der Verwaltung, an die man sich für Unterstützung wendet und die vorzeitig Informationen geben.

Gleichzeitig haben die Beigeordneten die Botschafterfunktion in die Fraktionen hinein. So entsteht vielfach eine Allparteienregierung im Rathaus, der das Gegenüber von Regierung und Opposition ziemlich fremd ist. In den großen Gemeinden, in denen die Beigeordneten keine Karrierebeamten, sondern parteipolitisch profiliert sind, kann dieses System dafür sorgen, dass die Macht des Gemeindeoberhauptes nicht in den Himmel wächst.

So kann aus der formal monokratischen Verwaltung – wo letztlich alles auf das Kommando des Gemeindeoberhaupts hört – zu einem Teil wenigstens eine kollegiale Stadtregierung werden, in der sich Bürgermeisterin bzw. Bürgermeister und Beigeordnete im Sinne eines machtbegrenzenden Verwaltungspluralismus gegenseitig kontrollieren oder sich vielmehr miteinander arrangieren, wobei der Chefin bzw. dem Chef die Führungsfunktion zugestanden wird. So sieht es die Gemeindeordnung vor und so erwartet es auch die Bürgerschaft. Auch in großen Gemeinden, in Städten, will die Oberbürgermeisterin bzw. der Oberbürgermeister – so die Bezeichnung ab 20.000 Einwohnern – das letzte Wort haben. In der Regel bekommt sie bzw. er es auch.

Nach oben

Wer wird Bürgermeisterin bzw. Bürgermeister?

Gestaltungsspielraum, Machtfülle und Wahlmodus haben erheblichen Einfluss darauf, wer Bürgermeisterin bzw. Bürgermeister werden will und es auch tatsächlich wird. Das ist das Ergebnis politikwissenschaftlicher Untersuchungen.2 Die Machtfülle, die sich in Gestaltungsmöglichkeiten und Unabhängigkeit umsetzen lässt, übt eine erhebliche Anziehungskraft auf starke, qualifizierte und eigenwillige Persönlichkeiten aus. Und tatsächlich ist ihre Chance, gewählt zu werden, groß.

Wo die Wahl des Gemeindeoberhaupts durch den Gemeinderat stattfand, wie jahrzehntelang beispielsweise in Nordrhein-Westfalen, war das Amt vielfach die letzte Sprosse einer kommunalpolitischen Karriereleiter innerhalb einer Partei, insbesondere wenn diese dominant war. Man arbeitete sich hoch, bis man im gesetzteren Alter mit Hilfe der starken eigenen Partei vor Ort endlich oben angekommen war. Dieses Muster hatte sich verfestigt und wirkt bis heute nach, auch unter den Bedingungen der Direktwahl der Bürgermeisterin bzw. des Bürgermeisters.

Anders in Baden-Württemberg mit seiner langen Tradition der Volkswahl: Hier wünscht man sich ein Gemeindeoberhaupt mit Fachverstand, mit einem Studium an einer der beiden Hochschulen für öffentliche Verwaltung (Kehl oder Ludwigsburg) bzw. in den größeren Städten an einer Juristischen Fakultät. Gewünscht ist zudem die Herkunft „von außen“, also nicht aus der Gemeinde, in der man das Amt anstrebt. So soll ein unbelasteter Neuanfang möglich sein, ohne bereits Freunde, Feinde oder Verwandtschaften im Ort zu haben. Ebenso wichtig ist eine parteipolitische Distanz: Mehr als die Hälfte der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister in Baden-Württemberg sind nicht Mitglied einer Partei.3 Ganz offensichtlich wählt sich die Bevölkerung zumeist eine Persönlichkeit, die als Vertretung „aller“ Bürgerinnen und Bürger „über den Parteien“ steht. Zwar ist es mit zunehmender Gemeindegröße schwieriger, ohne die organisatorische und finanzielle Unterstützung einer Partei – oder auch mehrerer Parteien und Wählervereinigungen – Bürgermeisterin bzw. Bürgermeister zu werden, doch müssen die Parteien den Unabhängigkeitsvorstellungen der Bevölkerung Rechnung tragen. Allerdings sind beim Sozialprofil der Gemeindeoberhäupter auch rund siebzig Jahre nach der Gründung des Südweststaates noch Unterschiede zwischen Baden und Württemberg festzustellen. In Württemberg trifft man durchweg auf die/den („unpolitische/n“) Fachbürgermeister/-in von außen, in Baden gelegentlich noch auf das „politische“ Gemeindeoberhaupt, das aus der eigenen Gemeinde kommt, parteipolitisch profiliert sein kann und kein Verwaltungsprofi ist. Es gibt also immer noch ein „Baden-Profil“, was wissenschaftlich vielfach belegt ist.4

Das Bürgermeisteramt verlangt Tatkraft, einen hohen Zeitaufwand und konkrete Vorstellungen davon, wie die Gemeinde sich entwickeln soll. Eine Grundvoraussetzung ist vor allem auch Bürgernähe. Einmal im Amt, kann der Job eine Lebensstellung sein, vorausgesetzt man ist fachlich gut, unbestechlich, unabhängig, bürgernah, ehrlich und ruht sich nicht auf den zurückliegenden Verdiensten aus, sondern bleibt zukunftsorientiert.

Die Bürgerschaft ist zwar kritischer und anspruchsvoller, wohl auch schwieriger geworden. So sind seit der Gemeindereform 1973 bis heute rund zweihundert Gemeindeoberhäupter nicht wiedergewählt worden, mit einer gewissen Steigerung im Laufe der Jahre. Doch angesichts der Gesamtzahl von Bürgermeisterwahlen sind es nicht mehr als fünf Prozent, die gegen ihren Willen ihr Amt verloren haben.5

Ebenso ist die Zahl der angestrebten Amtsperioden geringer geworden. Der freiwillige Abschied vom Amt erfolgt vielfach schon nach der zweiten Amtsperiode, also nach 16 Jahren. Einerseits kann dies mit zunehmendem Stress erklärt werden, andererseits ist es auch eine Folge günstiger Ruhestandsregelungen. Um Gemeindeoberhäuptern eine weitere Amtsperiode schmackhaft zu machen, erhalten sie ab der dritten Amtsperiode einen Zuschlag von acht Prozent auf das Grundgehalt.

Auffallend ist auch, dass die Wahlbeteiligung geringer geworden ist, vor allem bei erneuten Kandidaturen ohne qualifizierte Herausforderer. Das Gefühl der Verpflichtung, das Wahlrecht in Anspruch zu nehmen, hat nachgelassen. Außerdem hat die zunehmende Mobilität in unserer Gesellschaft eine abnehmende Bindung an die Wohngemeinde zur Folge. Generell steigt die Wahlbeteiligung mit sinkender Einwohnerzahl – und umgekehrt. Nach wie vor ist das Bürgermeisteramt attraktiv, weil es ein hohes Maß an Gestaltungsmöglichkeiten und Unabhängigkeit bietet. Auch die Bezahlung kann sich sehen lassen. Allerdings ist der Preis hoch, der dafür gezahlt werden muss: hoher Arbeitsaufwand, mangelnde Freizeit und fehlende Privatsphäre, worunter auch die eigene Familie zu leiden hat.

Quellen

2 Rolf-Richard Grauhan: Politische Verwaltung, Freiburg/Br. 1970; Hans-Georg Wehling/H.-Jörg Siewert: Der Bürgermeister in Baden-Württemberg, 2. Aufl ., Stuttgart 1987.

3Die neuesten Nachweise bei Alexandra Klein: Bürgermeisterwahlen in Baden-Württemberg. Wahlbeteiligung, Wahltypen und Sozialprofi l, Stuttgart 2014, S. 174–180.

4Vgl. z. B. Norman Liebing: Einheimische ohne Verwaltungshintergrund, aber mit Parteibuch? Eine Untersuchung des "Baden-Profils" am Beispiel amtierender Bürgermeister im ehemaligen badischen Landesteil. Masterthesis an der Hochschule für öffentliche Verwaltung, Kehl 2018.

5Timm Kern: Warum werden Bürgermeister abgewählt?, 2. Aufl ., Stuttgart 2008.

Nach oben

Frauen im Bürgermeisteramt

Blickt man auf die Muster, die die Kommunalpolitik in Baden-Württemberg prägen, erstaunt das hohe Maß an Kontinuität über die Jahrzehnte hinweg. Das betrifft insbesondere die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, ihre Stellung und nicht zuletzt ihr Sozialprofil. Die Abweichungen sind geringfügig: Die Gemeindeoberhäupter sind bei Amtsantritt heutzutage etwas älter als früher, sie bleiben – freiwillig oder erzwungenermaßen – kürzer im Amt. Es gibt nur einen einzigen markanten Einschnitt: Bis zum Dezember 1990, als Beate Weber zur Oberbürgermeisterin in Heidelberg gewählt wurde, gab es in Baden-Württemberg keine hauptamtliche Oberbürgermeisterin. Aktuell (Februar 2019) sind neunzig Frauen als Bürgermeisterinnen im Amt, davon rund fünfzig ehrenamtlich in kleinen Gemeinden (Quelle: Staatsanzeiger Baden-Württemberg). In den größeren Gemeinden können auch Beigeordnete den Titel „Bürgermeisterin“ bzw. „Bürgermeister“ tragen. Von ihrer rechtlichen Stellung her sind sie es jedoch nicht.

Zu sehen sind diese Zahlen vor dem Hintergrund von 1.101 Gemeinden, von denen rund 1.050 hauptamtlich verwaltet sind. Das bedeutet: Frauen machen insgesamt nur rund fünf Prozent der hauptamtlichen Amtsträger aus. Mit der Reutlinger Oberbürgermeisterin Barbara Bosch hatte der Städtetag Baden-Württemberg von 2012 bis 2017 erstmals eine Präsidentin, die zugleich auch noch in das Präsidium des Deutschen Städtetags gewählt wurde. Seit Frühjahr 2014 ist auch das Geschäftsführende Vorstandsmitglied des Städtetags eine Frau: die bisherige Oberbürgermeisterin von Lörrach, Gudrun Heute-Bluhm. Interessant ist schließlich, dass zwölf Bürgermeisterinnen gegen einen im Amt befindlichen (Ober-)Bürgermeister gewählt wurden. 

Frauen können offenbar mutiger sein, wenn sich kein Mann traut, gegen einen Amtsinhaber mit Schwächen anzutreten. Das Sozialprofil der Bürgermeisterinnen unterscheidet sich wenig von dem ihrer männlichen Kollegen. Sie sind jedoch (nach der Familienphase) eher älter ins Amt gekommen und vielfach alleinstehend. Jedoch zeichnet sich bereits ein Wandel ab: Inzwischen werden auch verheiratete Frauen, sogar mit Kindern, ins Amt gewählt. Dass die Zahl der Bürgermeisterinnen immer noch so gering ist, liegt weniger daran, dass sie nicht gewählt würden, sondern vielmehr daran, dass aufgrund anderer Lebensplanungen zu wenige Frauen kandidieren. Schaut man sich das Nachwuchspotenzial für Bürgermeisterposten in Baden-Württemberg an, sieht man, dass zwei Drittel bis vier Fünftel der Absolventen der beiden Hochschulen für öffentliche Verwaltung in Baden-Württemberg Frauen sind. Statt sich um einer Bürgermeisteramt zu bewerben, arbeiten viele jedoch lieber in den Kommunalverwaltungen, weil sie hier Arbeitszeit und Arbeitsaufwand ihren persönlichen bzw. familiären Bedürfnissen anpassen können. So werden die Rathäuser unterhalb der Chefebene längst von qualifizierten Frauen dominiert, was durchaus als Feminisierung der Kommunalverwaltung gesehen werden kann. Es greift also zu kurz, wenn man nur berücksichtigt, wie viele Frauen das Bürgermeisteramt bekleiden oder als Gemeinderätinnen tätig sind. 

Sie wissen schon von ihrem Studium her, dass das Bürgermeisteramt den Verlust an Freizeit und Privatheit bedeutet. Diesen Preis zu zahlen ist angesichts von Partnerschaft und Kinderwunsch nicht jede Frau bereit. Hier sind Politik, kommunale Spitzenverbände und Wissenschaft gefordert.

Nach oben

Kontrollprobleme?

Die Gemeindeverfassung von Baden-Württemberg ist von dem Wunsch nach Harmonie geprägt: Rat und Bürgermeisterin bzw. Bürgermeister sollen einträglich zusammenarbeiten, parteipolitisch motivierte Auseinandersetzungen sind eher verpönt. Das Gemeindeoberhaupt soll führen, den Gemeinderat aber immer mit ins Boot nehmen, auch damit die Bodenhaftung gewährleistet bleibt. Schlimmstenfalls kann die Bürgerschaft mittels Bürgerbegehren und Bürgerentscheid intervenieren. Zwar steigt der Einfluss von Parteipolitik mit der Gemeindegröße, doch mit den vom Rat entsprechend der Fraktionsstärke gewählten Beigeordneten als Ressortleitungen (ab 10.000 Einwohnern) wird wiederum ein gewisses Maß an Harmonie herzustellen versucht: Denn welche Fraktion mag schon die Verwaltungsspitze angreifen, wenn der eigene Mann oder die eigene Frau dazugehört?

Auch wenn die Gemeindeordnung von einem ausgewogenen Verhältnis von Rat und Bürgermeisterin bzw. Bürgermeister ausgeht, sitzt das Gemeindeoberhaupt und „seine“ Verwaltung trotzdem am längeren Hebel. Das Dasein als „Feierabendpolitiker“ beeinträchtigt nicht nur die Problemverarbeitungskapazität der Gemeinderatsmitglieder. Auch ihre Kontrolltätigkeit gegenüber der Verwaltung wird dadurch eingeschränkt. Das gilt umso mehr, je größer die Gemeinde ist. Denn es besteht ein – wenn auch verständliches – Paradox: Je größer die Gemeinde, desto mehr Aufgaben hat sie zu erfüllen, desto umfangreicher ist auch die Verwaltung. Mit zunehmender Größe jedoch nimmt die Zahl der Gemeinderatsmitglieder – relativ gesehen – ab: Weist zum Beispiel Baden-Baden mit rund 54.000 Einwohnern vierzig Gemeinderatsmitglieder auf, sind es in der Landeshauptstadt Stuttgart, die mit rund 630.000 Einwohnern (2018) auch die größte Stadt des Landes ist, sechzig Ratsmitglieder. Mag sein, dass die Qualifikation der Gemeinderätinnen und Gemeinderäte mit zunehmender Ortsgröße wächst, schließlich hat man ja ein größeres Rekrutierungspotenzial. Das Kontrollproblem wird dadurch nur zum Teil korrigiert. In kleineren Gemeinden gibt es eine stärkere Kontrolle durch die Öffentlichkeit, in größeren Gemeinden hingegen sind vor allem die Massenmedien, insbesondere die Lokalpresse, gefordert. Darüber hinaus funktioniert durchaus auch eine verwaltungsinterne Kontrolle.

Der Trumpf in der Hand der Gemeinderäte ist ihre beherrschende Position in der Phase der rechtsgültigen Entscheidung innerhalb des kommunalen Entscheidungsprozesses. Denn auch ein starkes Gemeindeoberhaupt braucht Mehrheiten im Rat. So wird es frühzeitig zumindest die Meinungsführer in den Fraktionen in seine Überlegungen einbeziehen und zusammen mit ihnen Vorentscheidungen treffen, um seinen Vorlagen den Erfolg zu sichern. Zum Zweck solcher Konsensbildung existieren vielerorts informelle Gremien. Darüber hinaus sind alle Ratsmitglieder einerseits wichtige Ansprechpartner für die Bürgerinnen und Bürger sowie andererseits Informationsquellen für das Gemeindeoberhaupt. Ohne ihren Rat und ihre Hinweise auf Interessen und Stimmungen in der Bevölkerung könnte es allzu leicht die „Bodenhaftung“ verlieren, mit dem Risiko der Nichtwiederwahl.

Um die Diskussion kommunalpolitischer Themen in der Gemeinde zu befördern, sollen Ratssitzungen öffentlich stattfinden (§ 35 GemO). Dagegen wird gelegentlich verstoßen, aus unterschiedlichen Motiven. Doch die Gemeindeordnung ist da ganz klar: Die Öffentlichkeit soll die Regel sein, die Nichtöffentlichkeit gilt nur zum Schutz betroffener Persönlichkeiten oder aus Gründen des „öffentlichen Wohls“.

Nach oben

Textauszug aus: Hans-Georg Wehling: Kommunalpolitik in Baden-Württemberg, in: Siegfried Frech/Reinhold Weber/Hand-Georg Wehlich/Paul Witt (Hg.): Handbuch Kommunalpolitik, Stuttgart 2019, S. 9–32, hier S. 13–25.

Nach oben

Letzte Aktualisierung: Juni 2023, Internetredaktion LpB BW

Cookieeinstellungen
X

Wir verwenden Cookies

Wir nutzen auf unseren Websites Cookies. Einige sind notwendig, während andere uns helfen, eine komfortable Nutzung diese Website zu ermöglichen. Einige Cookies werden ggf. für den Abruf eingebetteter Dienste und Inhalte Dritter (z.B. YouTube) von den jeweiligen Anbietern vorausgesetzt und von diesen gesetzt. Gegebenenfalls werden in diesen Fällen auch personenbezogene Informationen an Dritte übertragen. Bitte entscheiden Sie, welche Kategorien Sie zulassen möchten.