Nachkriegszeit in Südwestdeutschland

Die militärische Besetzung des deutschen Südwestens im Frühjahr 1945 war ein tiefgreifender Einschnitt, der nach dem Ende der NS-Herrschaft die politischen Strukturen und ökonomischen Rahmenbedingungen in den Kommunen ebenso nachhaltig prägte wie auch das Alltagsleben der Bevölkerung. Solange die Länderverwaltungen nicht wieder funktionierten, waren die Kommunen die zentrale Handlungsebene, nicht zuletzt dank einer ganzen Reihe herausragender Bürgermeister, die tatkräftig anpackten und auch die Bevölkerung motivieren konnten.

Zwischen Neuanfang und Kontinuität

Für Südwestdeutschland – wie für Deutschland insgesamt – ergibt sich im Rückblick auf die Zäsur von „1945“ die zentrale Frage nach den Voraussetzungen und Bedingungen für die erfolgreich genutzte „zweite Chance“, an deren Ende eine „geglückte Demokratie“ (Edgar Wolfrum) steht. Die Auseinandersetzung mit der Nachkriegszeit ist insofern immer auch die Rückbesinnung auf diejenigen Jahre, in denen die Grundlagen unserer heutigen Gesellschaft geschaffen wurden. Diese selbstreflexive „Vergewisserung“ ist ein wichtiger Beitrag zum kollektiven Gedächtnis, der in seiner Bedeutung schon allein deshalb nicht zu unterschätzen ist, weil zwar viele der heute Lebenden die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts als Zeitzeugen erlebt haben, diejenigen aber, die die NS-Diktatur und das Kriegsende bewusst miterlebt haben, zunehmend weniger werden.

Der Blick zurück zeigt, dass manches von dem, was sich als erfolgreich, als von Dauer und als heute selbstverständlich erwiesen hat, als ein in der Not geschaffenes Provisorium entstanden ist. Er zeigt aber auch, dass es die oft zitierte „Stunde Null“ nicht gab, sondern vielmehr eine komplexe Mischung aus Bruch und Kontinuität. Bruch, weil die totale Niederlage Deutschlands im Krieg den Nationalsozialismus grundlegend diskreditiert hatte und sich die Heerscharen von „Mitläufern“ rasch vom untergegangenen Regime zu distanzieren trachteten. Zumindest in der Politik fand darüber hinaus ein grundlegender Elitenaustausch statt. Kontinuität ist in negativer Hinsicht zu konstatieren, weil es in weiten Teilen von Verwaltung, Wirtschaft, Justiz, Bildung und Kultur zu keinem Elitenaustausch kam. Kontinuität ist in hingegen auch in positivem Sinne zu konstatieren, weil sich bei der Entwicklung hin zu einer freien Zivilgesellschaft ältere, vornationalsozialistische und demokratische Traditionsstränge mit einer sukzessiven Westernisierung der deutschen Gesellschaft als programmatischem Teil der Politik der Besatzungsmächte verbanden. Gerade der Blick auf die Besetzung hoher politischer Ämter auf landes- und kommunalpolitischer Ebene zeigt doch, dass hier überwiegend eine Politikergeneration prägend war, die in den Jahren der Weimarer Republik sozialisiert worden war und die das Vermächtnis der deutschen Demokratiegeschichte vor 1933 weiterführen konnte.

Der deutsche Südwesten weist in der Zeit nach 1945 eine Besonderheit auf, weil er von zwei alliierten Siegermächten besetzt war – der US-amerikanischen und der französischen. Südwestdeutschland ist also insofern eine gesamtdeutsche Ausnahme, weil – abgesehen von Rheinland-Pfalz, dem Sonderfall Saarland und dem französischen Sektor in Berlin – nur hier die Franzosen in einem Teil des heutigen Landes Baden-Württemberg die Geschicke nachhaltig prägten.

Bilanz des Krieges

Todesopfer

Das Kriegsende bedeutete den totalen militärischen, politischen und moralischen Zusammenbruch. In den sechs Jahren des Krieges waren mehr als 225.000 Wehrmachtsangehörige aus dem Südwesten und annähernd 40.000 Zivilpersonen umgekommen. Neunzig Prozent der getöteten Zivilpersonen – deutlich mehr als die Hälfte davon waren Frauen – und mehr als die Hälfte der gefallenen Soldaten waren seit Januar 1944 vom Regime regelrecht geopfert worden. Noch in den letzten Kriegstagen war es zu sinnlosen Verteidigungsgefechten und Todesurteilen gegen Deserteure und einzelne Mutige gekommen, die versucht hatten, dem grausamen Treiben durch Zusammenarbeit mit den alliierten Truppen ein Ende zu setzten. Einzelne Städte wie Freudenstadt, Waldenburg im Hohenlohischen, Neuenburg und Breisach am Rhein waren noch in den letzten Kriegstagen dem Erdboden gleichgemacht worden. Insgesamt fielen die Zerstörungen im Südwesten recht unterschiedlich aus: Generell waren die industriellen Zentren und die Städte stärker betroffen als die ländlichen Gegenden, generell auch hatte es die Mitte und den Westen des heutigen Landes Baden-Württemberg stärker getroffen als den Süden und den Osten.

Zu der schrecklichen Bilanz des Krieges zählen auch die mehr als 10.000 deportierten deutschen Juden aus Baden, Württemberg und Hohenzollern, die dem Rassenwahn des Regimes zum Opfer gefallen waren. Von den annähernd 150 jüdischen Kultusgemeinden, die es vor dem „Dritten Reich“ im Südwesten gegeben hatte, gab es nach dem Krieg gerade noch sieben. Der NS-Rassenwahn hatte in nur wenigen Jahren vernichtet, was über Jahrhunderte gewachsen war: eine lebendige und vielfältige jüdische Kultur, die ein wichtiger Bestandteil der südwestdeutschen Gesellschaft gewesen war. Zu den Opfern zählten auch über 10.000 Menschen, die in Grafeneck im Zuge des NS-Krankenmordes getötet worden waren. Zu erinnern ist auch an die Tausenden von Menschen aus den vom NS-Regime besetzten europäischen Ländern, die im weit verzweigten KZ-Außenlagersystem des NS-Terrors ihr Leben lassen mussten.

Kriegsgefangene, Zwangsarbeiter und Displaced Persons

Eine fast unvorstellbare Zahl von rund einer halben Million Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter kommt hinzu, die in den Südwesten Deutschlands verschleppt worden waren. Die Zivilpersonen, die sich als Zwangsarbeiter, Zwangsverschleppte und überlebende KZ-Häftlinge außerhalb ihres Heimatstaates befanden und die von den Alliierten nun als „Displaced Persons“ bezeichnet wurden, irrten in den zerstörten Städten oder in den ländlichen Gegenden umher. Für viele von ihnen war ihre Leidenszeit mit der Befreiung durch die alliierten Truppen keineswegs beendet. Sie waren ausgehungert, erschöpft und teilweise auch aggressiv – es kam zu Plünderungen, Vergewaltigungen und Morden. Ursprünglich sollten die „DPs“ bis zur Rückkehr in ihre Heimat in „Sammelstellen“ betreut werden, aus denen aber rasch „Lager“ mit Bewachung und Stacheldraht wurden. Im heutigen Baden-Württemberg waren es rund 180.000 Menschen, darunter etwa 70.000 sogenannte „Ostarbeiter“, die „repatriiert“ werden sollten. Viele kehrten zwar wieder in ihre Heimat zurück, andere aber blieben in Deutschland und lehnten die Rückkehr in den stalinistischen Osten ab, wo sie als „NS-Kollaborateure“ erneute Verfolgung oder gar den Tod zu befürchten hatten.

Folgen für die einheimische Bevölkerung

Die einheimische Bevölkerung erlebte das Kriegsende mit der Auflösung der staatlichen und militärischen Ordnung in ganz unterschiedlicher Art und Weise. In nur etwas mehr als einem Monat hatten Amerikaner und Franzosen Baden, Württemberg und Hohenzollern erobert. Die Erfahrung des Kriegsendes unterschied sich recht deutlich, je nachdem, ob es in den jeweiligen Orten noch zu Kampfhandlungen und gleichzeitigen Bombenangriffen gekommen oder ob die Übergabe kampflos vonstattengegangen war. Dort, wo noch bis in die letzten Stunden gekämpft wurde, war es ein Unterschied, ob die deutschen Truppen aus Wehrmachtseinheiten bestanden oder ob es sich um SS-Männer handelte, die in aller Regel fanatischer agierten. Letztlich war es auch ein bedeutender Unterschied, welche der beiden Besatzungsmächte einmarschierte. Vor allem in den Gebieten Badens und Württembergs, die von französischen Truppen besetzt wurden, kam es massenweise zu Vergewaltigungen und Plünderungen.

Unmittelbar am Ende des Krieges lebten rund eine Million Menschen auf dem Gebiet des heutigen Baden-Württemberg, die sich nicht an ihrem eigentlichen Wohnort aufhalten konnten – Ausgebombte sowie Evakuierte aus anderen Reichs- und Landesteilen. Sie alle versuchten, auf irgendeine Weise ihre Heimat zu erreichen und stellten die Verantwortlichen angesichts eines völlig daniederliegenden Verkehrssystems vor riesige Herausforderungen. Zehntausende von deutschen Soldaten, die in Kriegsgefangenschaft geraten waren, sollten erst sehr viel später heimkehren können. Noch 1947/48 waren deutlich über 100.000 Männer aus dem Südwesten von den alliierten Siegermächten festgehalten. Ein Großteil davon konnte 1949 heimkehren, die letzten unter ihnen kamen erst im Januar 1956 aus der Sowjetunion zurück.

Wenig Unrechtsbewusstsein in der deutschen Bevölkerung

Im Land der Besiegten mochten nur wenige den Zusammenbruch als Befreiung vom Joch des Nationalsozialismus empfinden: die dem Tode Geweihten, Drangsalierten und Verfolgten des Regimes, die im Verborgenen wirkenden Opponenten, wohl auch manch Ausgebombter. Es bedurfte langer Jahre des Wandels, bis die Kapitulation von der Mehrheit der Bevölkerung als Befreiung akzeptiert wurde. Aber auch diejenigen, die das Kriegsende als Niederlage sahen, waren von existenziellen Sorgen und Zukunftsängsten geplagt. Noch war für niemanden zu ahnen, dass die Zusammenbruchsgesellschaft von 1945 innerhalb weniger Jahre eine starke Dynamik entfalten sollte.

Mit der bedingungslosen Kapitulation der letzten Regierung des Deutschen Reiches mit dem Großadmiral Karl Dönitz als Reichspräsidenten, vertreten durch das Oberkommando der Wehrmacht, hatte das Deutsche Reich und damit auch sein Verwaltungsaufbau zu existieren aufgehört. Während die hohen NS-Funktionäre in aller Regel geflüchtet waren oder Selbstmord begangen hatten, waren zahlreiche Bürgermeister auf ihren Posten geblieben. An ihnen und an den neu berufenen, unbelasteten Stadtoberhäuptern lag es nun, unter der Kuratel der Besatzungsmächte die dringlichsten Probleme des Nachkriegsalltags zu bewältigen. Die Deutschen waren in dieser Situation ein Volk ohne Staat, aber eines mit Kommunen. So lange die Länderverwaltungen nicht wieder funktionierten, mussten und konnten die weitgehend intakt gebliebenen Kommunalverwaltungen staatliche Aufgaben übernehmen. Dies gelang nicht zuletzt aufgrund einer ganzen Reihe herausragender Bürgermeister, die tatkräftig anpackten und die die niedergeschlagene Bevölkerung motivieren konnten. Hinzu kam, dass sich dort, wo Verfolgte des NS-Regimes und Unbelastete zur Verfügung standen, eine überaus engagierte Art der Bürgerinitiative bewährte, die gemäß dem Imperativ „Nie wieder!“ und mit einem antifaschistischen Grundkonsens über die alten Parteigrenzen hinweg funktionierte. Nicht zu unterschlagen ist dabei, dass unter den Aktiven der ersten Stunde nicht nur Sozialdemokraten, Liberale und Zentrumsanhänger waren, sondern oft auch Kommunisten mit einer KZ-Leidensgeschichte; sie wurden als „normaler“ Bestandteil der deutschen Parteienlandschaft angesehen, bis die KPD ihren Weg hin zur stalinisierten Kaderpartei nahm. Auch für die notgeplagte Bevölkerung war der kommunale Zusammenhang der unmittelbare Orientierungsrahmen im Alltag: bei der Sicherung der menschlichen Grundbedürfnisse wie Ernährung, Wohnen, Energieversorgung zum Heizen und Kochen sowie bei der Trümmerbeseitigung und beim Wiederaufbau.

Territoriale Improvisationen der Besatzungsmächte

Differenzen über Aufteilung der Besatzungszonen

Am 9. Mai 1945, am Tag nach der bedingungslosen Kapitulation, war Südwestdeutschland bereits vollständig von amerikanischen und französischen Truppen besetzt. Allerdings wusste noch niemand – auch die beiden Siegermächte nicht –, welche badischen, württembergischen und hohenzollerisch-preußischen Gebiete unter amerikanischer und welche unter französischer Oberhoheit stehen würden. Die Zukunft im deutschen Südwesten war insofern noch ganz ungewiss, als sich die siegreichen Alliierten, speziell die Amerikaner und Franzosen, in Diskussionen, die bereits seit November 1944 in der Londoner „Europäischen Beratungskommission“ andauerten, nicht über das von Frankreichs Staatschef Charles de Gaulle Gewollte einig geworden waren. Die Sowjets, die US-Amerikaner und die Briten behandelten Frankreich trotz der Zulassung zu der Londoner Kommission auch weiterhin als zweitrangige Siegermacht. An der Konferenz von Jalta im Februar 1945 hatte de Gaulle nicht teilnehmen dürfen. Auch nach dem Kriegsende in Europa fehlte er bei der Konferenz der „Großen Drei“ (Churchill, Roosevelt bzw. Truman und Stalin) im Juli und August 1945 in Potsdam. Allerdings war schon am Beginn dieser Konferenz, die nicht mit einem völkerrechtlich verbindlichen Dokument, sondern mit einem von den drei Teilnehmern unterzeichneten Protokoll endete, bereits geregelt, dass Südwestdeutschland nicht entlang der bisherigen württembergisch-badischen Landesgrenze geteilt werden sollte. Wäre ganz Süddeutschland – wie ursprünglich geplant – der US-Zone zugefallen, so wären die alten Länder Baden und Württemberg wohl bestehen geblieben. So aber zwang die Situation zu territorialen Improvisationen, zumal die Franzosen in den letzten Kriegswochen erfolgreich versucht hatten, möglichst viele Faustpfänder in ihre Hand zu bekommen, um sich eine gute Verhandlungsposition beim Zuschnitt der Besatzungszonen zu verschaffen.

Spannungen zwischen Frankreich und den USA

De Gaulle hat sich das allerdings ganz anders gewünscht. Er wollte ganz Baden als französisches Besatzungsgebiet, einschließlich der Stadt Mannheim und der Neckarmündung. Außerdem erhob er zunächst Anspruch auf das ganze linksrheinische Gebiet des Deutschen Reiches, einschließlich der Städte Köln und Aachen. Zwischen dem Rhein und der im Versailler Friedensvertrag 1919 gezogenen deutsch-französischen Grenze sollte es eine linksrheinische Republik als Pufferstaat und Sicherheitskorridor zwischen Frankreich und einem zukünftigen Deutschland geben. Darüber hinaus beanspruchte de Gaulle an der Mündung des Mains einen rechtsrheinischen Brückenkopf mit dem hessen-nassauischen Wiesbaden. Amerikaner und Briten wiesen alle diese Forderungen mit teilweise harschen Worten zurück. So ließ US-Präsident Harry S. Truman im Sommer 1945 den französischen Staatschef wissen, er werde die Räumung Stuttgarts notfalls mithilfe einer amerikanischen Panzerdivision erzwingen. Die angeführten Beispiele zeigen, dass das französisch-amerikanische Verhältnis bei Kriegsende deutlich komplizierter war, als es rückblickend den Anschein haben mag.

 

Der wesentliche Grund hierfür ist im Vorgehen von de Gaulle zu suchen. Die strategische Planung des westalliierten Oberkommandos, geleitet von General Dwight D. Eisenhower und seinem britischen Stellvertreter Bernard Montgomery, hatte für das Vordringen der Truppen über den Rhein eindeutig vorgesehen, dass die Amerikaner vorausmarschieren, die französischen Truppen hingegen nachrücken und die Nachschublinien sichern sollten. Die Planung der für den Südwesten zuständigen Heeresgruppe unter General Devers, dem auch die 1. französische Armee unter dem Kommando von General Jean de Lattre de Tassigny unterstellt war, geriet im März 1945 jedoch vollständig durcheinander, weil de Gaulle seinem General befohlen hatte, ohne Rücksicht auf die amerikanischen Befehle den Rhein zu überqueren, auf der rechten Rheinseite Brückenköpfe zu bilden und so rasch wie möglich in Richtung Karlsruhe und Stuttgart vorzurücken. Beim Rheinübergang erlitten die französischen Truppen erhebliche Verluste, weil die Amerikaner sie weder aus der Luft noch mit dem notwendigen Pioniergerät unterstützten.

Abkommen über die Grenzen der Besatzungszonen

Erst auf massiven, auch wirtschaftlichen Druck der Amerikaner lenkte Frankreich schließlich ein. Am 22. Juni 1945 schlossen beide Siegermächte ein Abkommen über die Abgrenzung ihrer Zonen. Gut zwei Wochen später räumten die französischen Truppen die beiden Landeshauptstädte Karlsruhe und Stuttgart. Sie zogen sich nun auf die Gebiete südlich der Autobahn beziehungsweise der Eisenbahnlinie Karlsruhe-Stuttgart-Ulm zurück. Dabei wurden die alten Kreisgrenzen als Besatzungsgrenzen respektiert, so dass beispielsweise die Kreise Leonberg und Böblingen amerikanischer, der Kreis Calw mit Herrenalb aber französischer Herrschaft unterstellt blieben. Die Amerikaner hatten die südliche Grenze ihrer Zone so fixiert, weil damit der Zugang zum Rheinhafen Mannheim gesichert war. Damit waren die in napoleonischer Zeit gebildeten Länder Baden und Württemberg geteilt: Die stärker industrialisierten und dichter besiedelten nördlichen Teile gehörten zur US-Zone, die agrarisch geprägten südlichen Landesteile mit Hohenzollern zur französischen Zone.

Umstrukturierungen in der französischen Besatzungszone

Die Amerikaner zimmerten aus ihren Teilen das Land Württemberg-Baden mit der Hauptstadt Stuttgart, wobei der Landesbezirk Baden (Nordbaden) eine weitgehende Verwaltungsautonomie erhielt. Schon am 19. September proklamierte General Eisenhower die Bildung des neuen Landes – zusammen mit Bayern und (Groß-)Hessen. Als Reaktion auf die frühen amerikanischen Ländergründungen schotteten die Franzosen ihre Zonengrenze ab. Auch für Privatpersonen waren fortan Passierscheine erforderlich. Nun begann auch die französische Besatzungsmacht – zögerlicher als die Amerikaner, aber gleichermaßen willkürlich und ohne Rücksicht auf historisch gewachsene Traditionen –, ihre Zone zu strukturieren. Sie entschied sich dabei für die Schaffung zweier Länder: Südlich der künstlichen innerwürttembergischen Grenze, die als ungeliebte „Frontière de Dettenhausen“ bei Tübingen verlief, wurde das Land Württemberg-Hohenzollern mit der Hauptstadt Tübingen gebildet. Es übernahm nicht nur die Verwaltung der beiden zu Preußen gehörenden hohenzollerischen Kreise Hechingen und Sigmaringen, sondern auch den bayerischen Kreis Lindau, der bis 1952 von Tübingen aus mitverwaltet wurde. Hier, genauer gesagt in Bad Schachen, hatte sich vor seinem Umzug nach Baden-Baden im Sommer 1945 das französische Oberkommando unter General de Lattre de Tassigny befunden, und hier schufen sich die Franzosen mit diesem Kuriosum eine Landverbindung zu ihren österreichischen Besatzungsgebieten Vorarlberg und Tirol.

Westlich von Württemberg-Hohenzollern gründete die französische Besatzungsmacht das Land (Süd-)Baden mit der Hauptstadt Freiburg. So residierte in Tübingen Guillaume Widmer, der französische Militärgouverneur von Württemberg-Hohenzollern, und in Freiburg Pierre Pène als derjenige für Baden. Die mondäne und unzerstört gebliebene „Sommerhauptstadt Europas“, Baden-Baden, blieb Sitz der Militärregierung für die gesamte französische Besatzungszone. General de Lattre de Tassigny, der sich immer wieder wie ein „orientalischer Fürst“ gebärdet hatte, wurde nach heftigen Diskussionen in der französischen Nationalversammlung Anfang August 1945 durch General Pierre Koenig abgelöst. Der Normanne regierte fortan die französische Zone und war auch der französische Vertreter im Kontrollrat der Alliierten in Berlin.

Vor dem Hintergrund dieser französisch-amerikanischen Territorialimprovisationen zu Beginn der Besatzungszeit in Südwestdeutschland wird deutlich, warum es in großen wie auch in kleineren Städten im Frühjahr und Sommer 1945 zu einem „Besatzungswechsel“ gekommen war. Alle Städte und Gemeinden, alle Landkreise, die diesen Wechsel erlebten, wurden damit auch mit ganz unterschiedlichen Formen einer Besatzungsherrschaft konfrontiert. Die auf Besatzungswillkür beruhende Einteilung der Besatzungszonen prägte die politische Entwicklung der jeweils betroffenen Gebiete ganz entscheidend und nachhaltig.

Politik der Besatzungsmächte

Die alliierten Besatzungsmächte hatten sich auf fünf Ziele für die unmittelbare Nachkriegszeit in Deutschland geeinigt: Demontage, Demilitarisierung, Denazifizierung, Demokratisierung und Dezentralisierung – die fünf „D“s. Recht rasch begann sich aber nicht nur der Ost-West-Konflikt abzuzeichnen, sondern auch Divergenzen zwischen Amerikanern und Franzosen. Die unterschiedlichen Vorgehensweisen der beiden Besatzungsmächte prägten Politik, Wirtschaft und Gesellschaft im Südwesten.

Französische Besatzungspolitik: „Sicherheit und Kohle“

Die französischen Stadt- und Kreisgouverneure hatten zunächst vor allem französische Sicherheitsinteressen zu beachten. Der ehemalige französische Militärgouverneur für das neu geschaffene Land Rheinland-Pfalz, General Hettier de Boislambert, hat als Ruheständler das französische Konzept für die Besatzungspolitik in einem Südwestfunk-Interview am 19. Mai 1997 auf einen einfachen Gedanken reduziert. Von einem Mitarbeiter des Südwestrundfunks gefragt, was er denn als Militärgouverneur für den Wiederaufbau einer Demokratie getan habe, antwortete er, den die Pfälzer gerne den „General Holzlambert“ nannten, kurz und bündig: „Demokratie? – Das war nicht mein Thema, ich hatte für Ruhe und Ordnung zu sorgen.“

Diese Aussage mag zugespitzt sein, denn schließlich ging es den Franzosen auch darum, mit einem demokratischen „Umerziehungsprogramm“ („rééducation“), flankiert von einer umfassenden Kulturpolitik, den NS-Geist in der deutschen Bevölkerung zu vertreiben und eine demokratische politische Kultur zu schaffen. Dennoch lassen sich die vorrangigen Interessen der französischen Besatzungsmacht aber mit „Sicherheit und Kohle“ zusammenfassen. Der Nachbar am Rhein sollte möglichst stark dezentralisiert und gleichzeitig die Besatzungszone für den eigenen wirtschaftlichen Wiederaufbau genutzt werden. Die von der deutschen Besatzung angerichteten Schäden in Frankreich sollten durch das Requirieren von Industriegütern, von Nahrungsmitteln (zunächst für ihre Truppen) sowie durch einen umfangreichen Holzeinschlag speziell im Schwarzwald und im Pfälzerwald „kompensiert“ werden. Das Rezept hieß: „Kahlschlag, wo immer es sich lohnt“, und dann „ab über den Rhein nach Frankreich“.

Auch was die Demontage ganzer Fabrikanlagen betrifft, war man in der französischen Besatzungszone deutlich stärker betroffen als in der US-amerikanischen. Schon bei der militärischen Einnahme des Südwestens war es zu „wilden“ Entnahmen aus Industrie- und Handelsbetrieben sowie zur Konfiszierung von Autos, Lastkraftwagen und anderen beweglichen Gütern gekommen. Die rigorose Demontagepolitik von Industrieanlagen, Maschinen und Wirtschaftsgütern hielt hier bis über die Währungsreform und über die Startphase des Marshall-Plans hinaus an und belastete das Verhältnis zwischen der Besatzungsmacht und der einheimischen Bevölkerung immer wieder massiv. Für viele Deutsche hatte die Reparationspolitik der Franzosen Plünderungscharakter. Vor allem war sie alles andere als geeignet, um die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen. Die gewaltigen Transferleistungen drohten die wirtschaftliche Gesundung der französischen Besatzungszone auf lange Zeit hinaus zu gefährden. Vor allem die „Franzosenhiebe“ in den Wäldern – auch „E- und F-Hiebe“ genannt, wobei „E“ für Export und „F“ für Frankreich standen – machten der Bevölkerung die rigorose Besatzungspolitik augenfällig. Noch lange prägten die kahlen Flächen das Gesicht der Landschaft in Südwürttemberg und Südbaden.

Ziele der amerikanischen Besatzungspolitik

Bei den Amerikanern stand von Anfang an eine radikale Beseitigung aller Hinterlassenschaften des NS-Regimes ganz oben im Maßnahmenkatalog, den die Besatzungsoffiziere in den Städten und Kreisen zu beachten und bei den von ihnen eingesetzten Bürgermeistern und Landräten durchzusetzen hatten. Unterzeichnet war der sieben Ziele umfassende Maßnahmenkatalog von Oberst William W. Dawson, dem für Nordbaden und Nordwürttemberg verantwortlichen Chef der Militärregierung. Das erste Ziel lautete: „Das besetzte Deutschland hat sich dem Willen der Alliierten zu beugen.“ Im Text wird dazu unter anderem betont: „Die Deutschen müssen ein für alle Mal erkennen, dass es für ihre Nation Zeit ist, eine neue Einstellung zu sich selbst und zu der Welt zu finden.“ Als zweites Ziel nannte Oberst Dawson „Betreuung, Kontrolle und Rückführung der Angehörigen der Vereinten Nationen, die nach Deutschland gebracht wurden“. Die Verhaftung der Kriegsverbrecher stand an dritter Stelle, und unter Nummer vier war zu lesen: „Ausrottung des Nazismus, Faschismus, des deutschen Militarismus, der Nazi-Bonzokratie und ihrer Mitarbeiter“.

Auf der Dawson-Liste standen auch die Wiederherstellung und Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung, der Schutz des Eigentums der Vereinten Nationen sowie eine Kontrolle über deutsche Devisenguthaben. Die Überschrift zum siebten und letzten Ziel lautete: „Aufrichtung und Erhaltung einer geeigneten Zivilverwaltung.“ Als Beispiel für die Grundsätze, die zu befolgen waren, nannte der Chef der amerikanischen Militärregierung die „wirtschaftliche Rehabilitation“ Deutschlands, die „den lebenswichtigen Bedürfnissen entsprechen“ müsse. Ausdrücklich wies er die amerikanischen Gouverneure auch darauf hin, „dass aktive Nazis oder fanatische Anhänger nicht in ihren Ämtern verbleiben dürfen“.

„Rede der Hoffnung“ von US-Außenminister Byrnes: Aussicht auf Rückkehr in Völkergemeinschaft

Schließlich hielt es Oberst Dawson auch für angebracht, die Bevölkerung in Nordbaden und Nordwürttemberg darauf aufmerksam zu machen, dass Deutschland von den Siegermächten „immer als ein besiegtes und nicht als ein befreites Land“ behandelt werde. Dieser Verweis sollte allerdings nicht lange gültig bleiben. Schon früh waren die Amerikaner von ihrer Demontagepolitik abgerückt und versuchten, die Ressourcen des Landes nutzbar zu machen, die Wirtschaft anzukurbeln und die Versorgung der rasch anwachsenden Bevölkerung sicherzustellen. Früh war der Siegermacht klargeworden, dass die Agrarbasis Deutschlands allein zu schmal war, um der Bevölkerung ein Existenzminimum zu sichern. Allerdings war die erklärte Absicht des Potsdamer Abkommens vom August 1945, Deutschland als wirtschaftliche Einheit zu behandeln und damit zur Stabilisierung Europas beizutragen, an den Differenzen der Besatzungsmächte gescheitert. Schon im März 1946 hatte Winston Churchill in Fulton (Missouri) erstmals öffentlich vom „Eisernen Vorhang“ gesprochen, um die Machtsicherungsstrategien der sowjetrussischen Besatzungsmacht zu charakterisieren. Am 6. September 1946 deutete der US-Außenminister James F. Byrnes im Stuttgarter Großen Haus in seiner „Speech of Hope“ erstmals die Möglichkeit der wirtschaftlichen Einheit zumindest von zweien der drei Westzonen an. Auch wenn es bis zur Gründung der halbsouveränen Bundesrepublik und bis zum Wirtschaftswunder noch dauern sollte, so gab die Stuttgarter „Rede der Hoffnung“ der Zuversicht eine greifbare Grundlage. Als Byrnes darlegte, Deutschland solle kein Armenhaus sein, sondern sich zukünftig wirtschaftlich selbst erhalten können und seinen Weg „zu einem ehrenvollen Platz unter den freien und friedliebenden Nationen der Welt zurückfinden“, wussten die Miterlebenden noch nicht, dass ihnen einer der kältesten Winter des Jahrhunderts und damit ein erneuter „Hungerwinter“ bevorstand, gefolgt von einem Dürresommer, der die Ernährungskrise abermals zuspitzte. Aber ein Hoffnungsschimmer in desolater Lage war die Byrnes-Rede allemal. Auch die Millionen von CARE-Paketen, die nun Deutschland erreichten, waren nicht nur willkommene Spenden in der Not, sondern sie trugen auch zur Aussöhnung und zum positiven Bild der USA bei den Deutschen bei.

Aus Drei mach Eins: Zusammenlegung der Besatzungszonen

Mit der Errichtung der Bizone im Januar 1947 wurden die ursprünglich völlig getrennten Besatzungszonen mit einer gemeinsamen demokratischen Verwaltungsstruktur zu einem einheitlichen Wirtschaftsgebiet zusammengeschlossen. Die französische Zone kam erst im August 1948 zögerlich zur inoffiziell genannten „Trizone“ hinzu. Damit wurde der Grundstein zu einer neuen staatlichen und wirtschaftlichen Entwicklung gelegt, der mit der Währungsreform im Juni 1948 untermauert wurde. Für die Wirtschaft in Württemberg-Baden bedeutete die Bizone einen wichtigen Impuls. Begünstigt auch durch die hohe Zahl an zuwandernden Heimatvertriebenen und Flüchtlingen aus der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) wurde hier schon 1948 die Umsatz- und Beschäftigtenzahl von 1936 erreicht. Die Entwicklung im französischen besetzten Südbaden und Südwürttemberg hinkte demgegenüber deutlich hinterher. Erst die Millionenkredite des Marshall-Plans und das schrittweise Abrücken der Franzosen von ihrer bislang verfolgten Demontagepolitik ermöglichten hier um 1950 erste wirtschaftliche Aufwärtstendenzen. Noch immer aber konnte allein der Bezirk Nordwürttemberg eine doppelt so hohe Wirtschaftsleistung als die beiden südlichen Landesteile verbuchen.

Die Anfänge des Ost-West-Konflikts

Schon im Frühjahr 1948 hatte sich die weltpolitische Lage von Grund auf geändert. Der aufziehende „Kalte Krieg“, der von Juni 1948 bis Mai 1949 in der Blockade Berlins durch die Sowjetunion eine erste Eskalation erlebte, erreichte den Alliierten Kontrollrat der vier Seigermächte. Als der Sowjetmarschall Wassilij D. Sokolowski am 20. März 1948 auf Weisung Stalins den Berliner Kontrollrat verließ, begann für die militärischen Planer in Washington eine große Zeit. Nun holten sie offenbar schon zuvor angefertigte Pläne aus der Schublade, die vor allem die Deutschen in der amerikanischen und britischen Zone betrafen. Die Umsetzung der Pläne begann wenige Tage nach dem Eklat im Berliner Kontrollrat im Kloster Bebenhausen bei Tübingen, wo der Landtag von Südwürttemberg-Hohenzollern tagte. Ein kleiner amerikanischer Militärkonvoi fuhr im Klosterhof vor und holte den südwürttembergischen Wirtschaftsminister Eberhard Wildermuth ab. Die Amerikaner kannten den ehemaligen Oberst der Wehrmacht aus den Kämpfen in der Normandie und in der Bretagne, sie kannten ihn aber auch als Beamten im Berliner Reichsarbeitsministerium, der in der Zeit der Regierung Brüning einen Plan zur Rettung der Weimarer Republik durch eine Zusammenarbeit aller demokratischen Kräfte – die Gewerkschaften eingeschlossen – entworfen hatte.

Erste Überlegungen zur deutschen Wiederbewaffnung

Als Wildermuth wenige Stunden später wieder in Bebenhausen eintraf, unterrichtete er einen kleinen Kreis von Vertrauten und Parteifreunden über ein Gespräch, das er in Stuttgart-Vaihingen mit dem stellvertretenden Verteidigungsminister der USA geführt habe. Der Amerikaner habe von ihm wissen wollen, ob er gegebenenfalls bereit sei, an der Aufstellung deutscher militärischer Verbände mitzuwirken und auch deren Kommando zu übernehmen. Von seiner Reaktion auf diese, ihn völlig überraschende Frage sagte Wildermuth nichts. Seine Freunde schwiegen betreten. Fast alle Anwesenden hatten den Zweiten Weltkrieg als Soldat erlebt, einige von ihnen waren schon im Ersten Weltkrieg an der Front gewesen.

Zwei Jahre später sprach der im Herbst 1949 zum ersten Bundeskanzler gewählte Konrad Adenauer in einem Interview mit einer amerikanischen Provinzzeitung von einer zumindest denkbaren „Wiederbewaffnung“ der Bundesrepublik. Er tat dies, soviel ist sicher, nicht aus eigenem Antrieb, sondern auf Wunsch der amerikanischen Regierung. Das alles hatte bei Kriegsende im Mai 1945 Oberst Dawson nicht ahnen können, als er seine sicherlich in Washington entworfene Sieben-Punkte-Erklärung für das Besatzungsgebiet Württemberg-Baden herausgab und über „Radio Stuttgart“ verkündete. Bei der Frage, wann in der Rückschau die „Nachkriegszeit“ eigentlich endete, stehen, was die amerikanische Besatzungspolitik angeht, drei Daten zur Auswahl: der Auszug von Marschall Sokolowski aus dem Alliierten Kontrollrat im März 1948, die Währungsreform am 21. Juni 1948 und das Inkrafttreten des Bonner Grundgesetzes am 23. Mai 1949.

In der deutschen Nachkriegsgesellschaft dominierten neben der Trümmerbeseitigung, dem Wiederaufbau der Städte und ihrer Infrastruktur sowie der wirtschaftlichen Gesundung weitere Themen das politische und das alltägliche Leben weit über diese Daten hinaus. Drei zentrale Elemente dieser Nachkriegsbelastungen sollen im Folgenden in einem kurzen Überblick skizziert werden.

Entnazifizierung

Die Entnazifizierung war schon auf der Potsdamer Konferenz im Sommer 1945 eine der Zielsetzungen im Maßnahmenbündel der alliierten Deutschlandpolitik gewesen. Entgegen der im Alliierten Kontrollrat seit Januar 1946 erlassenen Entnazifizierungsdirektiven wurde die „politische Säuberung“ in den einzelnen Besatzungszonen jedoch mit recht unterschiedlicher Härte und mit unterschiedlichen Verfahren durchgeführt.

Amerikanische Besatzungszone: Umfangreiche Entnazifizierung als Ziel

Durchgreifend und bürokratisch aufwändig gingen zunächst die Amerikaner in ihrer Zone vor. Tausende von Beamten, Unternehmern und leitenden Angestellten in der Wirtschaft wurden wegen ihrer formalen NSDAP-Mitgliedschaft von ihren Posten entfernt, mit Berufsverboten belegt und vielfach in automatischen Arrest in Internierungslagern genommen. Die größten dieser Lager befanden sich in Ludwigsburg, Kornwestheim, auf dem Hohenasperg und in Karlsruhe. Innerhalb kurzer Zeit waren es etwa 25.000 Personen, die einer Internierungshaft unterlagen. Die harsche Kritik an diesem mechanischen Verfahren ließ nicht lange auf sich warten. Von deutscher Seite wurde vor allem darauf hingewiesen, dass man Verwaltung und Wirtschaft ihrer qualifizierten Kräfte beraube, damit den Wiederaufbau gefährde und die Deutschen so nicht für die Demokratie gewinnen könne. Zudem ließen die drängenden Probleme des Alltags und des Wiederaufbaus rasch die Bereitschaft der Deutschen erlahmen, sich intensiv mit ihrer jüngsten Vergangenheit auseinanderzusetzen.

Auf der Basis des im März 1946 von den Amerikanern erlassenen „Gesetzes zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus“ mussten fortan alle erwachsenen Deutschen einen 131 Fragen umfassenden Bogen ausfüllen, anhand dessen sie in die Kategorien Hauptschuldige, Belastete, Minderbelastete, Minderbelastete, Mitläufer und Entlastete eingestuft wurden. Gegenüber der zuvor herrschenden „Willkür“ bedeutete dies eine Verrechtlichung des Prozesses, der zudem in der praktischen Durchführung deutschen Behörden übertragen wurde. Die Entscheidung über Einzelfälle sowie das Festlegen der „Säuberungskategorien“ und des eventuellen Straf- oder Sühnemaßes hatten Laiengerichte, sogenannte Spruchkammern, zu treffen, die in den Stadt- und Landkreisen eingerichtet wurden und mit deutschem „unbelasteten“ Personal besetzt waren.

„Persilschein-Politik“: Entnazifizierung erweist sich als ineffektiv

Im September 1946, während in Nürnberg das Internationale Tribunal über die Bestrafung der noch lebenden ranghöchsten Nationalsozialisten beriet, kam auch die Entnazifizierung der „kleinen Leute“ in Gang. Die Verbitterung über die bürokratische und schematische „politische Entlausung“ (Willy Brandt) drohte jedoch rasch in eine Belastung für die neu aufzubauende Demokratie zu werden. Fehlurteile und Korruption grassierten, vor allem die beiden großen christlichen Kirchen versuchten, mit einer ausgreifenden „Persilschein-Politik“ auch für hohe und höchste Amtsträger und Parteiaktivisten die Entnazifizierungshärten abzufedern. Der Schwarzmarkt mit diesen Entlastungsbeurkundungen blühte: Sie waren zu kaufen und sie wurden im großen Stil von den führenden Kirchenmännern und den Pfarreien beider Konfessionen ausgestellt. Während den einen die Entnazifizierung nicht weit genug ging, weil sie rasch abzeichnete, dass sie keinen sozialrevolutionären Effekt auf Verwaltung und Wirtschaft zeitigen werde, sondern eher einer „Renazifizierung“ gleichkam, riefen andere zur Passivität und zur Verweigerung der „Kollaboration“ mit den Spruchkammern auf.

Insgesamt erwies sich die Säuberung, wie sie in der amerikanischen Zone praktiziert wurde, als Fehlschlag. Viele nur nominell Belastete waren lange interniert oder oft jahrelang mit Berufsverboten belegt, bevor ihr Fall überhaupt vor eine Spruchkammer kam. Andere Geringbelastete wiederum, deren Spruchkammerverfahren auf Anweisung der Besatzungsmacht vorgezogen worden war, um Verwaltung und Wirtschaft dringend benötigte Fachkräfte zuzuführen, wurden von den anfänglich recht harten Urteilen getroffen, während Verfahren über „große Fische“ hintangestellt wurden und mit milden Strafmaßen endeten, weil sich 1947/48 mit dem aufziehenden Ost-West-Konflikt auch eine Wende in der Haltung der Amerikaner zur Entnazifizierung abzeichnete. Zusehends wurden die Spruchkammern zur „Mitläuferfabrik“ (Lutz Niethammer): Bis 1947 wurden in Württemberg-Baden in etwas über 66.000 Fällen Urteile gefällt, wovon rund 59.500 als Mitläufer und ganze 46 als Hauptschuldige eingestuft wurden. Etwa 900 Fälle galten als Belastete, circa 4.600 als Minderbelastete und etwa 1.200 als Entlastete. Darüber hinaus wurden annähernd 2,1 Millionen Nichtbetroffenen-Bescheide und etwa 400.000 Amnestie-Bescheide ausgefertigt.

Bemühungen zur Entnazifizierung scheitern auch in der französischen Besatzungszone

Die Säuberungspolitik der Franzosen, die „épuration“, war demgegenüber pragmatischer und weitaus weniger an der der individuellen Überprüfung ausgerichtet. Auch in der französisch besetzten Zone waren Funktionsträger in Staat und Partei interniert worden, im Interesse einer geordneten Verwaltung und eines Funktionierens ihres Machtbereiches waren aber auch von Anfang an zahlreiche offensichtlich Belastete in ihren Ämtern geblieben. Die Franzosen verstanden ihre Säuberung als „auto-épuration“: Sie ließen sie von deutschen Stellen durchführen und beschränkten sich im Großen und Ganzen auf die Überwachung der lokalen Ausschüsse sowie auf letztinstanzliche Entscheidungen in zentral gebildeten „Säuberungssauschüssen“. Sie glaubten, dass die lokalen, mit Vertretern aus Verwaltung, Politik, Gewerkschaften und Kirchen besetzten Untersuchungsausschüsse besser in der Lage seien, den übergeordneten Instanzen zuzuarbeiten.

Die Folgen dieses Vorgehens liegen auf der Hand: Die Entnazifizierungsverfahren kamen nur schleppend in Gang und wurden – im Alliierten Kontrollrat massiv kritisiert – oft nur lax geführt. Die dezentrale und kaum formalisierte Vorgehensweise führte zu höchst unterschiedlichen Entscheidungen selbst bei vergleichbaren Fällen und zu einer systematischen Rehabilitierung der Beschuldigten. In (Süd-)Baden wurden bis Anfang 1947 in 68.000 von 88.000 Fällen Amnestien ausgesprochen. Die Folge war eine allgemeine Diskreditierung der Entnazifizierung, der auch dadurch kaum mehr entgegengewirkt werden konnte, dass die Franzosen im März 1947 auf Druck der Amerikaner das gerichtliche Spruchkammerverfahren der US-Zone übernahmen. Auch hier wurde – im Schatten des Kalten Krieges – das Verfahren zusehends milder gehandhabt. Nach zahlreichen Revisionsverfahren galten bis Anfang 1950 rund 98 Prozent der behandelten Fälle als „entlastet“. In der Gruppe der Schuldigen blieben 178 Personen.

Diese Größenverhältnisse gelten auch für Württemberg-Hohenzollern, den anderen Teil der französischen Besatzungszone in Südwestdeutschland. In einem Abschlussbericht des Kommissariats für politische Säuberung aus dem Jahr 1952 wurden 150.000 abgeschlossene Verfahren aufgeführt. Das Ergebnis: acht Hauptschuldige, achtzig Belastete, 235 Minderbelastete, 57.300 Mitläufer und Amnestierte, 2.630 Entlastete und fast 90.000 Nichtbetroffene und „Andere“.

Insgesamt ist die Entnazifizierung gescheitert – zumindest wenn man als Maßstab die anfänglich gesetzten Ziele der Alliierten zugrunde legt. Sie bedeutete allenfalls einen Denkzettel für diejenigen, die interniert worden waren oder längere Zeit einem Berufsverbot unterlagen. Keinesfalls aber führte sie bei den Eliten in Verwaltung, Justiz, Wirtschaft, Wissenschaft, Bildung und Kultur zu einer „Stunde Null“. Zu groß waren die Kontinuitäten, zu rasch reifte bei der deutschen Bevölkerung die „Schlussstrich-Mentalität“ heran und zu früh dominierte die kollektive Amnesie. Hinzu kam die vergangenheitspolitische Gesetzgebung der jungen Bundesrepublik mit mehreren Straffreiheitsgesetzen ab 1949 und mit dem berühmten Artikel 131 des Grundgesetzes, auf dessen Basis ab April 1951 alle „131er“, alle Beamten also, die bei der „Säuberung“ nicht als Hauptschuldige oder Belastete eingestuft worden waren, wieder verbeamtet wurden. Das neu geschaffene Land Baden-Württemberg zog im Juli 1953 mit dem „Gesetz zur einheitlichen Beendigung der politischen Säuberung“ einen Schlussstrich unter die Entnazifizierung.

Wieder- und Neubegründung der Parteien

Unterschiedliche Herangehensweisen in der französischen und amerikanischen Besatzungszone

Mit ihrer Besatzungspolitik legten die Siegermächte auch den Rahmen für die Wieder- und Neubegründung der Parteien und damit für den Aufbau des demokratischen Lebens fest. Mit ihrer Lizenzierungspolitik nahmen sie ganz erheblich und in ganz unterschiedlicher Weise Einfluss auf den Zeitpunkt der Zulassung der Parteien, auf ihr Führungspersonal und auf die Namengebung. Die Gründungsmuster unterschieden sich deutlich: Die Amerikaner favorisierten die rasche Zulassung von Parteien auf lokaler Ebene, die zügig zu Kreis- und Landesverbänden zusammengeschlossen und auch innerhalb der gesamten US-Zone einheitlich vorgehen sollten. Die Franzosen verfolgten dagegen ein Konzept der Parteiengründung „vom Kopf“ her und mit zeitlicher Verzögerung, weil erst die deutsche Bevölkerung gründlich entnazifiziert werden sollte. Sie förderten zunächst antifaschistische Basisinitiativen mit überparteilicher Kooperation und unter Einbeziehung von Gewerkschafts- und Kirchenvertretern. Aus diesen „antifaschistischen Ausschüssen“ („Antifas“) heraus sollte ein neues Parteiensystem entstehen. Dabei schwebte ihnen – ganz in der französischen Tradition – ein Dreiparteiensystem vor mit einer großen, überkonfessionellen konservativen Volkspartei, mit der Sozialdemokratie und mit den Kommunisten. Für die Liberalen bedeutete dies einen erheblichen Nachteil: Sie stießen mit ihrem Antrag auf Zulassung einer Partei auf massiven Widerstand beim französischen Militärgouverneur.

Man wird das vermeintlich demokratischere „Laisser-faire“ der Amerikaner gegenüber der restriktiven Vorgehensweise der Franzosen, die noch über das gesamte Jahr 1946 hinweg überregionale Kontaktgespräche der Parteienvertreter in den einzelnen Ländern der französischen Zone verhinderten, in den deutschlandpolitischen Rahmen der beiden Siegermächte einordnen müssen, um das Vorgehen bewerten zu können. Den Amerikanern ging es darum, in ihrem großen Besatzungsgebiet mit einheitlich agierenden Parteien ein Gegengewicht zur Sowjetzone zu schaffen, wo die Parteien sofort nach Kriegsende zugelassen worden waren. Die Franzosen wiederum wollten den Transformationsprozess der alten deutschen Weltanschauungsparteien fördern und bevorzugten zentralistische Parteigründungen in ihrer dezentral organisierten Besatzungszone. Insgesamt aber hatte die Lizenzierungspolitik beider Besatzungsmächte durchaus positive Effekte: Politische belastete Personen wurden aus den Gründungszirkeln der Parteien ferngehalten, die so unbelastet und ohne das Odium auftreten konnten, ein „Naziauffangbecken“ zu sein. Darüber hinaus verhinderte die Lizenzierungspolitik eine frühe Zersplitterung der Parteienlandschaft.

Organisationsvorsprung der Sozialdemokratie

Trotz des gewaltigen Aderlasses, den die Sozialdemokratie durch den NS-Terror erlitten hatte, hatte die Arbeiterpartei einen Organisationsvorsprung. Viele ihrer unbelasteten Führungspersönlichkeiten waren unter den ersten, die sich als Bürgermeister oder Landräte an den Wiederaufbau machten und damit über entsprechenden Einfluss auf die Verwaltungen und Ressourcen verfügten. Schon seit Sommer 1945 konnte sich die SPD vor allem in der amerikanisch besetzten Zone ungehindert politisch betätigen. Bereits im November 1945 wurde in Knittlingen der Landesverband Württemberg-Baden gegründet, wobei die reformistischen Traditionen der südwestdeutschen Sozialdemokraten fortwirkten und den Wandlungsprozess von der alten Klassenpartei zur schichtenübergreifenden Volkspartei beschleunigten.

Erst nach harten Auseinandersetzungen mit der französischen Militärregierung konnte im März 1946 der Landesverband Württemberg-Hohenzollern der SPD gegründet werden. In Südbaden hingegen wurde länger und intensiver über eine Zusammenarbeit von SPD und KPD nach sowjetzonalem Vorbild nachgedacht. Erst im Sommer 1946 scheiterte das „Berliner Modell“ einer sozialistischen Einheitspartei an den Forderungen der KPD. Aus der im Dezember 1945 gebildeten „Sozialistischen Partei Land Baden“ wurde im November 1946 die von den KPD-Vertretern entschlackte „SPD Baden“.

Gründung der CDU

Die einzige echte Neugründung nach dem Krieg war die CDU als große interkonfessionelle Volkspartei – eine Veränderung von historischer Bedeutung, weil damit die für die deutsche Geschichte verhängnisvolle Spaltung des Konservatismus in zwei oder mehrere Parteien überwunden werden konnte. Die CDU war eine Sammlungspartei recht unterschiedlicher regionaler Milieus, im Grunde ein Dachverband mehrerer Parteien und lokaler Initiativen. In Südbaden, Südwürttemberg und in Teilen Nordbadens stand sie in der Tradition des katholischen Zentrums, in den protestantisch geprägten Gebieten Nordwürttembergs wurde der Christlich-Soziale Volksdienst und der Württembergische Bauernbund, aber auch die Liberalen „beerbt“. Auch die alten christlichen Gewerkschaften spielten in den vier Landesbezirken eine wichtige Rolle, genauso wie beide großen Kirchen starken Einfluss auf die Gründung der Partei nahmen.

Die lokalen Gründungsinitiativen mit recht unterschiedlicher Namengebung wurden auch – den Vorgaben der jeweiligen Besatzungsmacht entsprechend – zu unterschiedlichen Zeitpunkten zu Landesverbänden zusammengefasst. Zuletzt wurde in Südbaden im Frühjahr 1946 die „Badische Christlich-Soziale Volkspartei“ (BCSV) zugelassen, die sich erst im Laufe des Jahres 1947 in „CDU Baden“ umbenannte. Bei aller regionaler Unterschiedlichkeit gab es dennoch verbindende Gründungsmotive: einen antinazistischen und einen antikommunistischen Grundkonsens; den Willen, das Christentum beider Konfessionen zur Grundlage des Neuaufbaus von Staat und Gesellschaft zu machen; schließlich die Zielsetzung, ein bürgerliches Gegengewicht zu den Linksparteien zu etablieren und dabei marktwirtschaftliche Grundsätze mit der christlichen Soziallehre zu verbinden.

FDP/DVP

Auch bei den Liberalen konnte die frühere Spaltung in eine rechts- und eine linksliberale Partei überwunden werden. Die Lizenzierungspolitik der Franzosen und der überkonfessionelle Vertretungsanspruch der CDU waren jedoch spürbare Hemmnisse. Vor allem in Südbaden, Südwürttemberg und auch in Nordbaden schlossen sich zahlreiche Liberale der CDU an, in der sie die Chance zur gesamtbürgerlichen Volkspartei sahen. Hinzu kamen die traditionell schwache, honoratiorenhafte Organisationsstruktur der Liberalen und ihr geringer Mitgliederstand. Am 6. Januar 1946, auf dem traditionsreichen Dreikönigstreffen der Liberalen, wurde in Stuttgart der Landesverband Württemberg-Baden der „Deutschen Volkspartei“ (DVP) gegründet. Bewusst hier an die Traditionen der württembergischen Demokraten im 19. Jahrhundert angeknüpft – mit Signalwirkung auf die anderen Länder in Südwestdeutschland. In Südbaden kam es wenig später zur Gründung einer „Demokratischen Partei“, in Württemberg-Hohenzollern erst im August 1946 zur Gründung der „Demokratischen Volkspartei“. Erst auf dem Dreikönigstreffen im Januar 1953 wurden die Namensunterschiede beseitigt und die Bezeichnung FDP/DVP besiegelt.

Heimatvertriebene und Flüchtlinge

Zwischen 1939 und 1945 war die Bevölkerungszahl in Südwestdeutschland bedingt durch die Kriegshandlungen und aufgrund einer niedrigen Geburtenrate von etwa 5,5 Millionen Menschen auf etwas weniger als 5,1 Millionen zurückgegangen. Nach dem Krieg wuchs die Bevölkerung zumindest in manchen Landesteilen rasant, was nur zum geringeren Teil auf die nun ansteigende Geburtenrate, sondern vor allem auf die Bevölkerungsverschiebungen im Zuge der militärischen Niederlage Deutschlands zurückzuführen war.

Schon vor dem Kriegsende waren Menschen aus den deutschen Ostgebieten vor der Sowjetarmee auch nach Südwestdeutschland geflüchtet. Die Massentransporte der Heimatvertriebenen kamen aber seit Herbst 1945 an. Auf der Potsdamer Konferenz hatten sich die drei „großen“ Siegermächte auf eine vertragliche Regelung „zur ordnungsgemäßen Überführung deutscher Bevölkerungsteile“ geeinigt, wie die Vertreibung amtlich hieß. Sie lösten damit eine Welle zwangsweiser Migration in bislang unbekanntem Ausmaß aus, die die Aufnahmeländer völlig unvorbereitet traf.

Vertriebenenpolitik in der französischen Besatzungszone

Die Unterbringung, Versorgung und Integration der Heimatvertriebenen – wenig später auch der SBZ-Flüchtlinge – war eine der größten Herausforderungen der Nachkriegszeit. Auch hier verlief die Entwicklung regional sehr unterschiedlich: Die Franzosen, die an der Potsdamer Konferenz nicht beteiligt waren, fühlten sich auch nicht an die dort getroffenen Beschlüsse gebunden und verweigerten zunächst die Aufnahme von Vertriebenen in ihrer Besatzungszone. Nicht zuletzt fürchteten sie eine wirtschaftliche und politische Destabilisierung der Nachkriegsgesellschaft. Entsprechend stagnierte in den beiden französisch besetzten südwestdeutschen Ländern vorerst auch die Bevölkerungszahl. Bis 1949 war hier von einem „Flüchtlingsproblem“ nicht zu sprechen: In (Süd-)Baden waren im Jahr 1946 lediglich etwa 20.000 „Alt-Evakuierte“ und Flüchtlinge im Land, die vor Erlass der Zonensperre eingesickert waren. In Württemberg-Hohenzollern waren es 28.000 (vgl. Tabelle). Erst ab 1949/50 stiegen nun auch hier die Flüchtlingszahlen deutlich an, weil beide Länder im Rahmen des Länderflüchtlingsausgleichs der ersten Bundesregierung Kontingente aufnehmen mussten. Aufgrund der geringeren Wirtschaftskraft und damit geringerer Zuweisungen erreichten aber hier die Werte nie das Niveau der amerikanischen Zone.

Gesamtbevölkerung und Heimatvertriebene in Südwestdeutschland 1946–1956

Gesamtbevölkerung

 194619501956
Nord-
würt.
2.200.6152.435.3252.755.175
Nord-
baden
1.379.1911.472.5231.574.778
Süd-
baden
1.190.8001.338.6291.500.771
Würt.-
HoZ.
1.108.8001.183.7481.299.614
BW
ges.
5.879.4066.430.2257.150.338

Heimatvertriebene

194619501956
321.008
 
445.726606.034
182.639
 
210.336261.905
19.900
 
98.375177.201
27.800
 
115.623179.480
551.347
 
870.0601.224.650

Zahlen aus Thomas Grossner: Die Integration der Heimatvertriebenen in Württemberg-Baden (1945-1961), Stuttgart 2006, S. 38.

Behördlich organisierte Verteilung in der amerikanischen Besatzungszone

Völlig anders gestaltete sich dagegen die Entwicklung im amerikanisch besetzten Württemberg-Baden: Innerhalb nur eines Jahres kamen hier seit Herbst 1945 über eine halbe Million „Flüchtlinge“ an, wie sie von Amts wegen noch genannt wurden. Rund 321.000 waren es im weniger stark zerstörten Nordwürttemberg und 183.000 in Nordbaden. Schon im Sommer 1945 waren die zerstörten industriellen Zentren wie Ulm, Heilbronn, Stuttgart, Mannheim und Pforzheim als „Brennpunkte des Wohnungsbedarfs“ für jeglichen Zuzug gesperrt worden. Um ein länger dauerndes „Lagerleben“ zu verhindern, schrieb die US-Besatzungsmacht vor, dass die Vertriebenen möglichst rasch und unter Beibehaltung der Familien-, nicht aber der Dorfgemeinschaft über das Land zu verteilen und dafür privater Wohnraum der ansässigen Bevölkerung zu beschlagnahmen war.

Die Heimatlosen waren damit den Zufällen des behördlich organisierten Bevölkerungstransfers ausgeliefert. Sie kamen zuerst in staatliche Durchgangslager und wurden dann auf die Orte ihrer „Erstplatzierung“ verteilt. In Nordwürttemberg, das sich wirtschaftlich zügiger erholte, erfolgte diese Verteilung relativ gleichmäßig, wobei der Anteil der Zwangszuwanderer an der Gesamtbevölkerung in den Landkreisen bei fast 18 Prozent und in den Stadtkreisen bei etwa fünf Prozent lag. In Nordbaden lag der Anteil in den Stadtkreisen mit rund sechs Prozent nur geringfügig höher. Aufgrund der starken Kriegszerstörungen in den Landkreisen Bruchsal, Mannheim und Pforzheim mussten hier vor allem die Menschen in den stärker landwirtschaftlich geprägten Kreisen Buchen, Mosbach, Sinsheim und Tauberbischofsheim „zusammenrücken“. Hier machten die Vertriebenen im Schnitt 23 Prozent der Bevölkerung aus, in einzelnen Kreisen gar fast dreißig Prozent. Die ökonomischen Rahmenbedingungen in den Kreisen, in denen die Vertriebenen „erstplatziert“ wurden, bestimmten dann auch ganz entscheidend deren Start- und Integrationschancen.

Gesamtbilanz der Zuwanderung

Auf das gesamte Land Baden-Württemberg gesehen wurde der Höchststand der Zahl der Zwangszuwanderer erst 1961, im Jahr des Baus der Berliner Mauer, erreicht. Nun waren 1,2 Millionen Heimatvertriebene und weitere 415.000 SBZ-Flüchtlinge im Land. Zusammengenommen machten die „Neubürger“, wie sie inzwischen amtlicherseits genannt wurden, fast 21 Prozent der gesamten baden-württembergischen Bevölkerung aus.

In vielerlei Hinsicht lässt sich die Integration der Zwangszuwanderer aus der ex post-Perspektive als Erfolgsgeschichte lesen. Weite Teile der Vertriebenen kamen mit Erfahrungen in der Landwirtschaft, aber auch mit fundierter handwerklicher oder anderer Ausbildung. In der deutschen Nachkriegsgesellschaft waren sie ein Aktivum, zumal die Industrie zusehends nach Arbeitskräften verlangte. Ohne das einsetzende Wirtschaftswunder wäre ihre Integration sicherlich problematischer verlaufen, aber ohne die Heimatvertriebenen und Flüchtlinge wäre wiederum das Wirtschaftswunder kaum möglich gewesen. Die „Neubürger“ waren leistungs- und aufstiegsorientiert und versuchten, mit viel Fleiß und Ehrgeiz den sozialen Status wieder zu erreichen, den sie in ihrer Heimat gehabt hatten. Die rege Bautätigkeit der Vertriebenen, die vor allem mit dem Lastenausgleichsgesetz von 1952 einsetzte, war symptomatisch, denn das Eigenheim war auch hier soziales Leitbild und Symbol für das „Ankommen“ in der bundesrepublikanischen Gesellschaft.

Integration verläuft nicht ohne Hürden

Allerdings ist der „Mythos der schnellen Integration“ (Thomas Grosser) auch zu hinterfragen. Durch die zum Teil erheblichen Konfessionsunterschiede zwischen einheimischer und vertriebener Bevölkerung entstanden kulturell bedingte Konflikte und Vorbehalte, die nur langsam abgeschliffen werden konnten. Gerade im vorwiegend protestantischen Nordwürttemberg führte die Zuwanderung der überwiegend katholischen Vertriebenen zur größten Verschiebung der Konfessionsverhältnisse seit dem Dreißigjährigen Krieg. So blieb beispielsweise die Verbindung der Vertriebenen mit den Einheimischen durch Heirat schon wegen der konfessionellen Unterschiede vor allem in den ländlichen Gebieten lange Zeit die Ausnahme.

Hinzu kam, dass nach der wirtschaftspolitisch liberalisierenden Weichenstellung der Währungsreform sich auch die Konflikte um Arbeitsplätze, Bezahlung und Wohnraum deutlich verschärften. Zumindest zwischenzeitlich stieg bei den „Neubürgern“ die Arbeitslosigkeit deutlich stärker an als bei der „einheimischen“ Bevölkerung. Weitere sozialökonomische und sozialkulturelle Integrationsbarrieren sind zu nennen: Wohl gelang relativ rasch die Teilhabe am expandierenden Konsumgütermarkt, noch lange aber blieben deutliche Unterschiede bei der Vermögenssubstanz bestehen, an denen auch der Lastenausgleich nichts änderte, wenngleich er vielen Alteingesessenen als ungerecht erschien. Zwar sorgten Wohnungsbauprogramme dafür, dass die Heimatvertriebenen verhältnismäßig schnell ein eigenes Dach über dem Kopf hatten, doch wurde noch lange Zeit bei den Vertriebenen nicht die Wohneigentümerquote der „Altbürger“ erreicht.

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Autor: Prof. Dr. Reinhold Weber, LpB Baden-Württemberg | Stand: April 2022

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