Demokratische Traditionen

Der deutsche Südwesten kann auf eine weit zurückreichende Tradition landständischen und parlamentarischen Lebens blicken. Zu den herausragenden Dokumenten der südwestdeutschen Parlamentsgeschichte gehört der "Tübinger Vertrag" von 1514. Fortan durfte kein Herzog die Regierung antreten, bevor er nicht diese altwürttembergische "Magna Charta" bestätigt und damit der "Landschaft" ihre Rechte zugesichert hatte.

Baden, Württemberg und Hohenzollern

Mit dem Ende des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation im Jahr 1806 gingen in Südwestdeutschland auch alle landständischen Verfassungen unter. Nun gab es noch vier, zunächst absolutistisch regierte Staaten: das Großherzogtum Baden, das Königtum Württemberg und die beiden hohenzollerischen Fürstentümer. Erst nach dem Sturz Napoleons begann eine neue Epoche parlamentarischer Geschichte.

Die südwestdeutsche Landesgeschichte ist auch deshalb von besonderem Interesse, weil hier schon im 19. Jahrhundert die liberale und demokratische Alternative zum obrigkeitsstaatlich-autoritären Modell Preußens praktiziert wurde.

Die Verfassung des Großherzogtums Baden von 1818 galt als die fortschrittlichste ihrer Zeit. Mit ihrem freiheitlich-konstitutionellen Charakter war sie, begleitet von einer vorbildlichen Gemeindeordnung, ein wesentlicher Impuls zur Schaffung der badischen Landesidentität. Im Jahr 1819 folgte Württemberg mit seiner Verfassung, die nach altwürttembergischem Muster nicht oktroyiert, sondern zwischen Monarch und Ständevertretern ausgehandelt war. Beide Mittelstaaten befanden sich damit auf dem Weg zur konstitutionellen Monarchie.

Die Parlamente in Karlsruhe und Stuttgart wirkten als Vorbilder für das erste gesamtdeutsche Parlament, die Frankfurter Nationalversammlung von 1848/49. Sie repräsentierten das demokratische und föderative Element genauso wie das Ziel der deutschen Einheit: In der Julirevolution von 1830, im Vormärz und in den 1860er Jahren.

Durchgreifende Parlamentarisierung

Die Konturen der modernen Welt wurden in den beiden südwestdeutschen Staaten bereits im 19. Jahrhundert deutlich. Die frühen Verfassungen, ein faktisch funktionierender Parlamentarismus, moderne Parteien und die ausgeprägte Partizipationskultur eines selbstbewussten Bürgertums sind dafür beispielhaft. Größere Modernisierungsansätze konnten bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts realisiert werden.

Im Zuge der großen Verfassungsreformen in den Jahren 1904 (Baden) und 1906 (Württemberg) wurden sowohl die Verwaltungstrukturen, als auch das Wahlrecht modernen Vorstellungen angepasst. So verlor die Ständekammer in Württemberg den Charakter einer reinen Adelsvertretung. Aus den Abgeordnetenkammern wurden reine „Volkskammern“, die nun zumindest teilweise nach dem Verhältniswahlrecht in gleicher, geheimer und direkter Wahl gewählt wurden.

 

Einführung des Frauenwahlrechts

Der Umsturz im November 1918 fegte die monarchischen Regierungen hinweg und brachte die durchgreifende Parlamentarisierung und Demokratisierung. Nun wurde das Prinzip der vollen Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Parlament eingeführt. Im Januar 1919 fanden Wahlen zu den verfassunggebenden Versammlungen der Freien Volksrepublik Baden und des Freien Volksstaates Württemberg statt. Erstmals waren nun auch Frauen stimmberechtigt und wählbar.

Beide südwestdeutschen Länder gaben sich sehr früh demokratische Verfassungen. Am 13. April 1919 trat die neue badische Verfassung in Kraft, legitimiert durch eine der ersten Volksabstimmungen in der deutschen Geschichte. Es folgte am 25. September 1919 die württembergische Verfassung, genau hundert Jahre nach der Verabschiedung der ersten Verfassung des Königreiches von 1819.

Beide südwestdeutschen Länder waren in der ersten deutschen Demokratie im Vergleich zu anderen deutschen Ländern länger von stabilen politischen Verhältnissen geprägt. In Baden regierten bis Ende 1932 das Zentrum und die SPD, ergänzt um die DDP und zeitweise die DVP. In Württemberg regierte seit 1924 eine „schwarz-blaue“ Koalition aus katholischem Zentrum sowie rechtskonservativer Bürgerpartei und Bauernbund, 1930 durch die liberalen Parteien zur gesamtbürgerlichen Koalition erweitert.

Nach den Landtagswahlen vom April 1932 und einem erdrutschartigen Wahlsieg der NSDAP war die Regierung hier jedoch nur noch geschäftsführend im Amt.

Das Ende der Parlamente 1933

Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten im Reich wurden schrittweise die Länderverfassungen durch Reichsgesetze ausgehöhlt. Eines der ersten Ziele der totalitären Hitler-Diktatur war es, den machtverteilenden Föderalismus zu zerschlagen. Mit dem „Vorläufigen Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich“ vom 31. März 1933 wurden die bestehenden Landtage aufgelöst und nach dem Ergebnis der „halbfreien“ Reichstagswahl vom 5. März 1933 neu besetzt.

Mit „Ermächtigungsgesetzen“ (Württemberg am 8. Juni 1933, Baden am 9. Juni 1933) wurden dann, wie auch auf Reichsebene, die Parlamente entmachtet und schließlich im Oktober 1933 aufgelöst. Reichsstatthalter, die direkt Adolf Hitler unterstanden, regierten nun die Länder.

Die wesentlichen Grundsätze der Demokratie und des Föderalismus waren außer Kraft gesetzt. Innerhalb kürzester Zeit wurden auch die fundamentalen Bürger- und Menschenrechte mit Füßen getreten.

Demokratischer Wiederaufbau nach 1945

Erst nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges konnte wieder an die demokratischen Traditionen angeknüpft werden. In Württemberg-Baden fanden im Juni 1946 Wahlen zur Verfassunggebenden Landesversammlung statt. Am 28. November 1946 erhielt Württemberg-Baden als erstes deutsches Land der Nachkriegszeit eine Verfassung.


Den parlamentarischen Gremien standen zunächst nur Notunterkünfte zur Verfügung. Die vorläufige Volksvertretung für Württemberg-Baden wurde zur ersten Sitzung in das Große Haus der Württembergischen Staatstheater einberufen. Von 1947 an war in Stuttgart ein ehemaliger Theatersaal in der Heusteigstraße 45 der Tagungsort.

Die beiden anderen Vorgängerparlamente des heutigen Landtags, die beiden im Mai 1947 gewählten Landtage von Württemberg-Hohenzollern und (Süd)-Baden, tagten im ehemaligen Kloster Bebenhausen und im Historischen Kaufhaus in Freiburg.

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