Lage und Grenzen

von Baden-Württemberg

Die Rolle und Bedeutung Baden-Württembergs zeigt verschiedene Facetten, je nachdem, aus welcher räumlichen Perspektive das Land betrachtet wird. Im Gefüge der Europäischen Union liegt das Land mitten auf der zentralen Entwicklungszone Europas, der „blauen Banane“.

Aus der Perspektive Deutschlands war Baden-Württemberg neben Bayern bis Ende der 1980er-Jahre der wirtschaftliche und imagemäßige Gewinner eines zunehmenden Süd-Nord-Gefälles, eines Trends, welcher inzwischen von den ökonomischen und sozialen Verwerfungen zwischen Ost und West nach der Wiedervereinigung überlagert wird.

In der Binnenperspektive des Landes selbst stellt sich Baden-Württemberg als junges „Bindestrichland“ dar, als eine zunächst etwas künstlich wirkende, aber in seinen Außengrenzen stabile Kreation der Nachkriegszeit ähnlich wie Nordrhein-Westfalen oder Rheinland-Pfalz. Dabei verschwinden im Alltag zunehmend die inneren Grenzen des Landes, regionale Spezifika und Besonderheiten werden aber vom Stadt- und Regionalmarketing wiederentdeckt und vermarktet. 

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Europäischer Kontext

Baden-Württemberg als europäische Wachstumsregion

Die Lage Baden-Württembergs im europäischen Kontext war noch im vergangenen Jahrhundert vergleichsweise ungünstig. Das Land lag sehr meerfern und war damit, abgesehen von Rhein und Neckar, vom Schiffsverkehr und Massentransport weitgehend abgeschnitten. Es gab kaum verwertbare Rohstoffe wie Kohle, Eisen oder Nichteisenmetalle, welche die Basis einer rohstofforientierten Industrialisierung hätten bilden können.

Politisch war das Gebiet bis 1800 in einen „Fleckerlteppich“ unzähliger Herrschaften und Territorien geteilt, von denen nach der „napoleonischen Flurbereinigung“ Anfang des 19. Jahrhunderts die „Kriegsgewinnler“ Württemberg, Baden und Hohenzollern übrigblieben. Bevölkerungsgeografisch gesehen war der deutsche Südwesten, insbesondere in den Realteilungsgebieten, nicht in der Lage seine Bevölkerung zu ernähren. „Armutsflüchtlinge“ fanden vor allem in der Neuen Welt eine neue Heimat.

Heute hat sich die Rolle Baden-Württembergs im europäischen Kontext verändert. Bodenschätze und Massenverkehrswege sind als Standortfaktoren für wirtschaftlichen Erfolg weitgehend bedeutungslos geworden; Arbeitskräftequalifikationen, aber auch „weiche“ Standortfaktoren zählen. Das Land nimmt in Europa heute wirtschaftsräumlich eine Zentrallage ein und gehört zu einem „Entwicklungsband“, das von London über die Randstad Holland, Brüssel, das Ruhrgebiet und die Rheinschiene über die Schweiz bis Mailand reicht. 

Arbeitsgemeinschaft „Vier Motoren für Europa“

Baden-Württemberg gehört auch zu der 1988 beschlossenen Arbeitsgemeinschaft der „Vier Motoren für Europa“ („régions motrices“), in der neben dem Land die Wachstumsregionen Rhône-Alpes (Frankreich), die Lombardei (Italien) und Katalonien (Spanien) zusammengeschlossen sind. Ziel der Arbeitsgemeinschaft ist es – ohne dass die Konkretisierung bisher allzu weit vorangeschritten wäre – Hightechregionen innerhalb der EU im Zeichen der globalen Standortkonkurrenz international sichtbar zu positionieren.

Weitere Infos zu Baden-Württembergs Rolle in Europa

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Deutscher Kontext

Baden-Württemberg im Geflecht regionaler Disparitäten

Die Nachkriegsentwicklung in Deutschland hat frühere wirtschaftsräumliche Gewichte teilweise umgekehrt. Altindustrialisierte Regionen im Westen (Ruhrgebiet) und Norden (Werftindustrie in den Hafenstandorten) gerieten in die strukturelle Krise, der Süden hingegen holte nicht nur in den wirtschaftlichen Basisdaten immer mehr auf, sondern gehörte auch zu den „Imagegewinnern“ des Wandels.

In diesem Kontext wird von einem zunehmenden „Sympathievorsprung“ des Südens gesprochen, der sich besonders in Untersuchungen zu regionalen Images in Deutschland niederschlägt. Wohn- und Arbeitsplatzpräferenzen von Führungskräften liegen seit mehreren Jahrzehnten in den Großstädten des Südens, insbesondere in München, aber auch in Städten wie Freiburg oder Heidelberg, während sich „Aversionsnennungen“ stärker auf Westdeutschland und den Rhein-Main-Raum konzentrieren.

Seit der Wiedervereinigung 1990 wird in der Öffentlichkeit vor allem ein zunehmender Ost-West-Gegensatz in Deutschland wahrgenommen. Eine hochrangige Expertenkommission unter Leitung des ehemaligen Hamburger Bürgermeisters Klaus von Dohnanyi kam 2004 zu einer sehr ernüchternden Bilanz der Erfolge von über zehn Jahren Infrastrukturausbau, Wirtschaftsförderung und sonstigen Nettotransfers in die östlichen Bundesländer (Weitere Infos bei Spiegel Online). Dabei verstellt uns dieser vereinfachende „Raumdiskurs“ eines „2Raum-Deutschlands“ den Blick darauf, dass sich regionale Disparitäten differenzierter aufbauen. Nach wie vor sind Unterschiede zwischen Stadt und Land bzw. zwischen regionalen Gebietskategorien größer als die zwischen Nord und Süd oder Ost und West.

Perspektiven

Wollen wir schon bei großräumigen Gegensätzen in Deutschland bleiben, so lässt sich aktuell eher ein Südwest-Nordost-Gegensatz erkennen. In der vom Berlin-Institut für Weltbevölkerung und globale Entwicklung erstellten Studie „Deutschland anno 2020“ liegen Kreise mit weit überdurchschnittlichen Rankings außer in Bayern (München, Erlangen) vor allem in Baden-Württemberg (Stuttgart und Heilbronn), die fünf Schlusslichter hingegen im Norden (Schiffbau), im Westen (Kohle und Stahl) und im Osten.

Ein ähnliches Bild zeichnet der „Zukunftsatlas 2004“ des Basler Prognos-Instituts. Während er bei den „Zukunftsrisiken“ ein überwiegendes Ost-West-Gefälle feststellt, bestehen bei den „Zukunftschancen“ vor allem Unterschiede zwischen dem Süden und dem „Rest“ der Republik. Alle sechs Regionen der „Top-Liga“ liegen in Süddeutschland, neben München und seinem Umland die Regionen Darmstadt und Heidelberg. Unter den folgenden dreißig Regionen mit hohen Zukunftschancen befinden sich nur vier nicht in Süddeutschland.

Natürlich sind die Kriterien solcher Rankings – in der Regel werden Faktoren wie Demografie, Arbeitsmarkt, soziale Lage und Wettbewerbsfähigkeit herangezogen – höchst diskussionswürdig, aber letztlich spiegeln solche Studien auch die Erwartungen und Images von Öffentlichkeit und Politik wider; es sind „Raumkonstrukte“, mit deren Hilfe wir uns ein Gesamtbild von Räumen und ihrer Gesellschaft zu machen versuchen.

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Regionaler Kontext

Äußere Grenzen von Baden-Württemberg

Baden-Württemberg ist nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges durch den in mehreren Etappen vollzogenen Zusammenschluss der Länder Baden, Württemberg und des ehemals preußischen Hohenzollern gebildet worden. Dabei beträgt die Länge der Grenzen des Bundeslandes 1.495 km, von denen rund ein Drittel auf die Staatsgrenze mit Frankreich und der Schweiz entfällt. Die übrigen Grenzen sind Binnengrenzen gegenüber den benachbarten Bundesländern Bayern (829 km), Hessen (171 km) und Rheinland-Pfalz (93 km).

Die Außengrenzen Baden-Württembergs stammen fast durchweg vom Anfang des 19. Jahrhunderts, als die napoleonische Neuordnung die territoriale Zersplitterung Südwestdeutschlands beendete. Dem Zug der Zeit folgend wurden häufig „natürliche“ Grenzen gesucht: Bodensee, Hoch- und Oberrhein oder Iller. Unnatürlich waren diese Grenzen allerdings insofern, als sie häufig Menschen trennten, welche dieselbe Sprache sprachen, dem gleichen regionalen Kulturkreis angehörten und ähnlich wirtschafteten.

Dies gilt für den Nordosten mit seinen fränkischen Gebieten diesseits und jenseits der Grenze und für den Nordwesten, wo bei Mannheim/Ludwigshafen die ehemalige Kurpfalz durchschnitten wird. Auch im bayerischen Regierungsbezirk Schwaben wohnen natürlich Schwaben und im Südwesten greift das alemannische Stammesgebiet in die Nordwestschweiz und das Elsass aus.

Baden-Württemberg als Teil von Süddeutschland

Die Außengrenzen des Landes sind seit dem Zweiten Weltkrieg stabil, aber sie wurden zunehmend durchlässig. Hierzu tragen eine Reihe von Institutionen bei, welche mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg grenzüberschreitende Beziehungen moderieren: Planungsgemeinschaften wie Donau-Iller, Rhein-Neckar-Odenwald oder die „Regio TriRhena“ als trinationaler Lebens- und Wirtschaftsraum, der Südbaden, die Nordwestschweiz und das Oberelsass umfasst, blicken über das Bundesland bzw. das Staatsgebiet hinaus. Politische Grenzen im südwestdeutschen Raum sind auch keine Kommunikationsgrenzen mehr.

Expansive Zeitungsverlage bemühen sich um die Ausdehnung ihrer Einzugsbereiche. Die Süddeutsche Zeitung aus München wird immer mehr zu einer echten „Süddeutschen“, in Baden-Württemberg gibt es kein vergleichbares Pendant. Rundfunkprogramme und Fernsehsender schaffen neue „Medienräume“.

Der 1998 aus SDR und SWF fusionierte Südwestrundfunk (SWR) bedient Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz und sendet seine Staumeldungen bis auf die Höhe von Düsseldorf. Bayern 3 oder der Schweizer Sender DRS 3 haben ihr Publikum auch in Baden-Württemberg. Hinzu kommen zunehmend private Hörfunk- und Fernsehprogramme, welche mitunter quer zu Landesgrenzen liegen (Radio Regenbogen, Rhein-Neckar-Fernsehen usw.).

Innere Grenzen von Baden-Württemberg

Die alten Binnengrenzen des Südweststaats hatten schon aufgrund der Eingriffe der Besatzungsmächte nach dem Zweiten Weltkrieg an Bedeutung verloren. Im Zuge der Gemeinde- und Kreisreform zu Beginn der 1970er-Jahre wurden sie dann nicht einmal mehr durch die Grenzen der Regionen oder Regierungsbezirke nachgezeichnet. Die Region Schwarzwald-Baar-Heuberg umfasst ehemals württembergische wie badische Kreise. Im Alltag sind die Grenzen und territorialen Eigenarten der noch älteren Kleinterritorien aus dem 18. Jahrhundert nur noch bei genauem Hinsehen und Hinhören zu erkennen. Beim Dialektgebrauch wirkten insbesondere die Flüchtlingsströme nach dem Zweiten Weltkrieg nivellierend.

Tradition und Marketing

Allerdings werden ältere kulturräumliche Spezifika zunehmend im Regional- und Stadtmarketing wiederentdeckt und instrumentalisiert. Im Konkurrenzkampf um Investoren besinnen sich Städte und Regionen mitunter geradezu händeringend ihrer historischen und regionalen Besonderheiten und suchen diese entsprechend zu vermarkten. Hierzu gehören besonders städtische Feste, vor allem in den vielen ehemals reichsunmittelbaren Städten des deutschen Südwestens: das Biberacher Schützenfest, das Ravensburger Rutenfest, der Maientag in Göppingen, der an die reichsstädtische Vereidigung des Rats erinnernde Ulmer Schwörmontag, die Schwedenprozession in Überlingen, die Waldshuter Kirchweih und andere.

Aber auch in Kleinstädten und im ländlichen Raum existiert eine große Zahl regionalspezifischer Festtage: „Kalter Markt“ in Ellwangen, „Blutritt“ in Weingarten, „Schäferläufe“ in Markgröningen, Wildberg und Urach, berufsbezogene Feste wie das Siederfest in Schwäbisch Hall oder Feste, die mit den örtlichen Heiligen zu tun haben wie das Fridolinsfest in Säckingen oder das Peter-und-Pauls-Fest in Bretten.

Neue Feste kamen in den letzten Jahrzehnten aus Marketinggründen hinzu: neugeschaffene Faschingsmasken und -umzüge in Gebieten, die früher mit Fasnet nichts am Hut hatten, Weinfeste selbst in Regionen, in denen kaum ein genießbarer Tropfen wächst, dazu die unzähligen City-Feste des Einzelhandels, Beachvolleyball-Aktionen des Stadtmarketing usw. Regionalmarketing macht auch vor der Küche nicht Halt. Ehemalige Armeleuteessen wie Maultaschen, Schupfnudeln, Leberspätzle und Gaisburger Marsch mutieren zu Spezialitäten teurer Lifestyle-Restaurants.

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Autor: Prof. Dr. Hans Gebhardt, für das Internet aufbereitet durch Internetredaktion LpB BW.

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