Von Karlsruhe nach Kislau - Die Schaufahrt ins Konzentrationslager am 16. Mai 1933

Erinnerungsorte in Baden-Württemberg

Es war eine perfekte Inszenierung, die die badischen Nationalsozialisten am 16. Mai 1933 – dem Tag der Konstituierung des gleichgeschalteten Badischen Landtags – in Karlsruhe zur Demütigung ihrer politischen Gegner vorbereitet hatten und mit der sie zugleich ein signifikantes Zeichen der neuen politischen Unkultur setzten. Für diesen Tag hatten die neuen Machthaber die öffentliche Überführung prominenter Sozialdemokraten vorgesehen, die als „Schutzhäftlinge“ im Karlsruher Bezirksgefängnis einsaßen und nun in einem mittelalterlich anmutenden Schauspiel den Weg in das nahe dem nordbadischen Bad Mingolsheim neu errichtete Konzentrationslager Kislau anzutreten hatten.

Den politischen Gefangenen war eine besonders infame Form des NS-Terrors zugedacht: ihre öffentliche Herabwürdigung durch einen fanatisierten Nazi-Mob, dem die Gelegenheit geboten wurde, seinen Aggressionen und niederen Instinkten freien Lauf zu lassen. Diese Verhöhnung politischer Gegner wurde als öffentlich demonstrierter „Volkszorn“ legitimiert und gutgeheißen.

Autorin: Monika Pohl

Der Text von Monika Pohl erschien unter dem Titel „Von Karlsruhe nach Kislau - Die Schaufahrt ins Konzentrationslager am 16. Mai 1933“ in dem „Baden-Württembergische Erinnerungsorte“ anlässlich des 60. Jahrestages von Baden-Württemberg. Darin werden 51 Erinnerungsorte Baden-Württembergs vorgestellt.

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Die ersten Opfer des Terrors: Vertreter der organisierten Arbeiterschaft

Unter den sorgfältig ausgewählten Repräsentanten der Karlsruher Arbeiterbewegung – deren Zahl man auf die symbolträchtige „Sieben“ festgelegt hatte – befanden sich auch zwei badische Spitzenpolitiker: der vormalige Staatsrat und SPD-Fraktionsvorsitzende Ludwig Marum und der ehemalige Staatspräsident Adam Remmele. Sie wurden zusammen mit fünf weiteren führenden Genossen auf der offenen Ladefläche eines Polizeimannschaftswagens, der den Weg durch die Karlsruher Innenstadt nahm, an den Pranger gestellt und den Blicken zufälliger Passanten, vor allem aber dem Spott eines arrangierten, eigens herbeigerufenen Publikums aus Nazi- Anhängern preisgegeben. Schon Tage vorher war in dem Karlsruher NS-Blatt „Der Führer“ das Ereignis angekündigt und zur Teilnahme an diesem Spektakel aufgefordert worden. So wartete am Morgen des 16. Mai eine erregte Menge bereits an den Toren des Gefängnisses und beobachtete, wie die sieben Männer auf Bänken, die die Ladefläche des Lastwagens ausfüllten, Platz nehmen mussten, die Rücken gegeneinander gekehrt, ausgestattet nur mit ihrer armseligen Habe, die ihnen für ihre Haft zugestanden wurde. Neben ihnen nahmen Wachmannschaften der SA Platz, die jede Bewegung der Schutzlosen streng kontrollierten.

Schmährufe begleiteten den Abtransport der Sozialdemokraten, die mit versteinerten Gesichtern die Fahrt antraten. Sie waren aufgefordert worden, den Blick auf die Fahrbahn zu richten, die für jeglichen Auto- und Straßenbahnverkehr gesperrt worden war und Platz bot für die Eskorte uniformierter SA- und SS-Männer, die den im Schritttempo fahrenden Lastwagen begleiteten. Akustisch wurde die Szene untermalt von den Klängen mehrerer Musikkapellen, die immer wieder das Lied „Das Wandern ist des Müllers Lust“ intonierten, um damit den prominentesten Gefangenen, den ehemaligen badischen Staatspräsidenten, zeitweiligen Innen-, Justiz- und Kultusminister Adam Remmele, zu verhöhnen, der als gelernter Müller eine beispiellose politische Karriere durchlaufen hatte. SA-Männer teilten Flugblätter mit Text und Melodie des Liedes aus, ein Chor grölender Stimmen feierte die demütigende Überführung Remmeles und seiner Leidensgenossen.

Der Zug nahm den Weg vorbei an wichtigen Stationen der Politik in Karlsruhe: Man passierte das Landtagsgebäude, das Rathaus, ehe man den Zielort des Polizeipräsidiums erreichte, das in den letzten Monaten wegen seiner berüchtigten Verhörmethoden zum Schreckensort geworden war. Dort machte man einen kurzen Halt, ehe es in das nahe gelegene Durlach ging, einer Arbeiterhochburg, in der die siegreichen Nationalsozialisten ihren Triumph mit unverhohlener Genugtuung genossen. Der Zug bewegte sich dann weiter durch die benachbarten Dörfer und durch Bruchsal, ehe er an seinem Bestimmungsort, dem KZ Kislau, ankam. Ein Augenzeuge, der die Schaufahrt als Kind in Karlsruhe miterlebte, erinnert sich an „ein makabres Szenario zwischen Jahrmarkt und Tollhaus“.

Massive Einschüchterung und vereinzelte Unmutsäußerungen

Diese Beobachtung bezog sich allerdings nur auf die tobende Masse der Gaffer, nicht aber auf die Gefühle, Verhaltensweisen und Aktionen der Nazi-Gegner. So erlebte das Kind auch, wie sein Vater – ein überzeugter SPD-Anhänger – nach der Schaufahrt zu Hause von einem Weinkrampf geschüttelt wurde und seinen bangen Ahnungen mit den Worten Ausdruck verlieh: „Die kommen nicht mehr wieder“. Andere Sozialdemokraten, die im badischen Polizeidienst tätig waren, versetzte die Schaufahrt in inneren Zwiespalt und Gewissenskonflikte. Sie sahen sich vor die Wahl zwischen Anpassung und Auflehnung gestellt. So wird von einem Karlsruher Polizisten berichtet, der mit sich rang, die befohlene Bewachung des Zuges zu verweigern.

Für den Bruchsaler SPD-Parteivorsitzenden und Stadtrat Wilhelm Staiber war es dagegen keine Frage, seine Solidarität mit den Verhafteten offen zu bekunden. Als der Wagen Bruchsal passierte, wo der Reichstagsabgeordnete Ludwig Marum aufgewachsen war, rief Staiber: „Hoch Marum, hoch Remmele! Nur Mut, Marum.“ Er bezahlte diese mutige Intervention mit der sofortigen Verhaftung. Auch in Karlsruhe war es zu Solidaritätsbekundungen gekommen, die sich in vereinzelten „Rotfront“-Rufen von Kommunisten äußerten. Der Kompagnon Marums, der jüdische Rechtsanwalt Marx, hatte ebenfalls einen Zwischenruf gewagt und „Freiheit ade“ gerufen, als der Konvoi die Kanzlei Marums auf der Kaiserstraße passierte. Auch er erfuhr die Repression der Nazis, als diese sofort die Kanzlei stürmten und ihn festnahmen.

Diese mutigen Proteste zeigen, dass die NS-Herrschaft zu diesem Zeitpunkt keineswegs gefestigt war und der Widerstand gegen ihre Vorgehensweise auch öffentlichen Ausdruck in Akten der Zivilcourage fand. Dies mag die Tochter Marums, Elisabeth, getröstet haben, die ebenfalls zu den Zeugen der Schaufahrt gehörte und für die die öffentliche Demütigung ihres Vaters zu den traumatischsten Ereignissen ihrer Jugend zählte.

Psychischer Terror

Verantwortlich für die Schaufahrt waren der badische Reichsstatthalter Robert Wagner und sein Innenminister Karl Pflaumer. Mit ihr demonstrierten sie den Siegesrausch der Nationalsozialisten, in den diese durch die bisher erfolgreichen Schritte des Gleichschaltungsprozesses versetzt worden waren, unterstrichen aber auch die bittere Niederlage, die sie der Sozialdemokratie zugefügt hatten. In der Schaufahrt wurden der unerbittliche Hass und die Gewaltbereitschaft der Nazis im Umgang mit ihren Gegnern deutlich, das spektakuläre Vorgehen brachte der Stadt Karlsruhe traurige Berühmtheit. Neben der badischen Landeshauptstadt, die vormals als liberal geprägt galt, ist nur von der sächsischen Stadt Chemnitz bekannt, dass dort drei Sozialdemokraten in einer öffentlichen Fahrt an den Pranger gestellt wurden. Karlsruhe blieb es allerdings vorbehalten, dass man eine größere Gruppe repräsentativer Sozialdemokraten vorführte und erniedrigte. In einer illegal herausgegebenen SPD-Schrift hieß es dazu: „Die Vorgänge in Karlsruhe übersteigen alles, was man bisher in einem Kulturstaat erlebt hat!“

Neben den direkten Formen der Gewalt wie Prügel, Folter, Freiheitsentzug, die sie ihren politischen Gegnern antaten, griffen die Nationalsozialisten auch auf die öffentliche Demütigung als eine besonders niederträchtige Form psychischer Gewalt zurück, für die sie außer den Schaufahrten sehr unterschiedliche Varianten ersannen. Der offen ausgeübte Terror zeigt, dass sich die NS-Herrschaft von Anfang an nicht mit der scheinlegalen Machtausübung begnügte, sondern auf das Instrument massiver Repression zurückgriff, um die politischen Gegner einzuschüchtern, jeden Ansatz von Widerständigkeit im Keim zu ersticken und die Desensibilisierung der Bevölkerung gegenüber offenen Menschenrechtsverletzungen zu betreiben.

Doppelstrategie der Nationalsozialisten: Scheinlegalität und Terror

An diesem für Baden historischen Tag des 16. Mai trat die Doppelstrategie, mit der die Nationalsozialisten den Aufbau der Diktatur betrieben, besonders deutlich hervor: Sie wahrten die scheinlegale Fassade, indem sie den bereits entmachteten Landtag in einem pompösen Akt noch einmal zusammentreten ließen, und verletzten öffentlich die bisher geltende Rechtskultur, die auch den Gefangenen vor Willkür und Machtmissbrauch schützte. Das Bild, das sich draußen auf den Straßen der Innenstadt bot, ergänzte das parlamentarische Ritual im Innern des Badischen Landtags, in dessen ehrwürdigem Sitzungssaal der nach den Ergebnissen der Reichstagswahl neu gebildete Landtag zusammentrat. Dieser Eingriff in die Landeshoheit Badens war nach den Gesetzen zur „Gleichschaltung“ der Länder möglich geworden, die auf die Aufhebung des Föderalismus zielten. Das mit Hakenkreuzfahnen geschmückte Parlament in Karlsruhe entbehrte nun einer demokratischen Legitimation und entsprach nicht mehr dem Wählervotum der letzten Landtagswahl von 1929, das der NSDAP-Fraktion lediglich sechs Sitze und sieben Prozent der Stimmen gebracht hatte.

Nun stellte die NSDAP die absolute Mehrheit im Parlament und den neuen Landtagspräsidenten Herbert Kraft, der vormals als randalierender, gewaltbereiter Abgeordneter mit vielfachen Verstößen gegen den parlamentarischen Ehrenkodex aufgefallen war. Von Anfang an hatte die kleine NSDAP-Fraktion die demokratische politische Kultur angegriffen, in der allein die Macht des Wortes gegolten hatte. Im Badischen Landtag, der zu den ältesten Parlamenten Deutschlands gehörte, war in der Zeit des Vormärz mit so redegewaltigen Abgeordneten wie Friedrich Hecker um die Durchsetzung einer parlamentarischen Demokratie gerungen worden. Die Parlamentarier der Weimarer Republik hatten dort eine ausgeprägte Debatten- und Streitkultur entwickelt. Mit der Sitzung vom 16. Mai 1933 fand diese stolze Tradition ihr klägliches Ende, als der in Parteiuniform auftretende Landtagspräsident das Ende der verfassungsmäßig garantierten Rechte des Landtages verkündete. Damit unterstrich er zugleich die Zerschlagung des Parlamentarismus in Baden und die Herabstufung des Landtages zu einem Instrument bloßer Akklamation.

Der Landtag sollte nur noch einmal, am 9. Juni 1933, zusammentreten, als er in einem badischen Ermächtigungsgesetz die letzten seiner Befugnisse auf die Regierung übertrug und sich damit selbst ausschaltete. Sein absolutes Ende brachte die formelle Auflösung am 14. Oktober 1933, das Gesetz vom 30. Januar 1934 übertrug die Eigenstaatlichkeit der Länder auf das Reich und hob damit den Föderalismus als Gestaltungsprinzip deutscher Staatlichkeit auf. Die Durchführung des Führerwillens oblag in Baden der Aufsicht des Reichsstatthalters Wagner, einem der frühesten Weggefährten Hitlers. Dieser hatte bereits am 10. März als eine der ersten Polizeimaßnahmen eine Verhaftungswelle für führende Persönlichkeiten der Arbeiterbewegung angeordnet. Er konnte dabei auf die Reichstagsbrandverordnung vom 28. Februar 1933 zurückgreifen, die auch die Repressalie der „Schutzhaft“ beinhaltete, durch die die Freiheit politisch missliebiger Personen ohne richterliche Überprüfung, ohne Rechtsbeistand und ohne Berufungsrechte auf unbestimmte Zeit eingeschränkt werden konnte.

Prominente Gegner der Nationalsozialisten im Staatsdienst

Seit dem Aufstieg der NSDAP in der Endphase der Weimarer Republik hatte sich neben den Kommunisten die Sozialdemokratie als deren entschiedener Widerpart gezeigt und den frühen Widerstand organisiert. Der SPD gehörten die sieben Karlsruher „Schutzhäftlinge“ an, die in das KZ Kislau überführt wurden. Sie hatten unermüdlich in Regierung, Parlament, Wehrverbänden, Polizei und Presse versucht, dem Aufstieg der Nationalsozialisten entgegenzuarbeiten. Deshalb gehörten sie als Abgeordnete und Funktionäre zu den ersten, die die Wucht der NS-Repression traf und die sofort in „Schutzhaft“ genommen wurden. An ihnen sollte ein Exempel statuiert werden, um mit dieser Einschüchterungskampagne künftige Widerstandsakte wirksam zu unterbinden.

Unter den sieben Sozialdemokraten waren Marum und Remmele die einflussreichsten Politiker, die in der Republik Baden hohe Ämter bekleidet hatten und als Repräsentanten eines demokratischen, toleranten und rechtsstaatlichen Badens weithin bekannt waren. Allerdings war Marum bereits 1928 aus der badischen Politik ausgeschieden und wirkte fortan als Reichstagsabgeordneter, dessen Mandat noch in der Wahl vom 5. März 1933 bestätigt wurde. Die ihn schützende Immunität hatten die Nationalsozialisten mit seiner Verhaftung grob missachtet. Als Politiker jüdischer Herkunft, der besonders in den Reichstagswahlkämpfen exponiert Stellung gegen die Nationalsozialisten bezogen hatte, sahen ihn die neuen Machthaber als besonderen Feind. Andere Gründe lagen dem Hass auf Remmele zugrunde, der als badischer Innenminister den Nationalsozialisten stets offensiv entgegengetreten war und als Regierungsmitglied die Uniform- und Versammlungsverbote gegen die Nationalsozialisten unterstützt hatte. Offenbar wollte man mit der Festnahme dieser beiden Politiker Symbolfiguren der badischen Sozialdemokratie treffen, die als entschiedene Demokraten für eine moderate, auf den Konsens mit bürgerlichen Parteien zielende Politik standen.

Verlust des Berufs und der Freiheit

Man begnügte sich jedoch nicht mit der Person des ehemaligen Innenministers, sondern nahm auch zwei seiner treuesten Mitarbeiter, den Regierungsrat Hermann Stenz und den Polizeikommissar August Furrer, bereits im März 1933 in „Schutzhaft“. Diese beiden traf eine weitere Repressalie, als sie von der politischen Säuberung Anfang April 1933 betroffen wurden und aufgrund des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ aus ihren Ämtern entfernt wurden. Für beide war der Verlust des Berufes und der Freiheit eine Wende in ihrem Leben, die sie nur schwer verkraften sollten.

Hermann Stenz, der zu den intellektuellen Köpfen der badischen Sozialdemokratie gehörte und sich künstlerisch als Maler und Schriftsteller betätigte, war nach 1918 in den höheren Beamtendienst aufgestiegen. Als persönlicher Sekretär galt er als die „rechte Hand Remmeles“. Er war führend beteiligt am Aufbau einer republiktreuen Polizei in Baden, in der August Furrer als Kriminalsekretär bei der politischen Polizei gewirkt hatte. Dort war Furrer mit der Überwachung der NSDAP befasst, was ihm später zum Verhängnis werden sollte. Seine Verhaftung durch die SA geschah unter spektakulären Umständen. Im anschließenden Verhör wurde er schwer misshandelt. Er musste als Symbolfigur einer demokratisch orientierten Polizei die Rachegelüste der Karlsruher Nationalsozialisten auch physisch erdulden, was seinen Leidensgenossen zunächst erspart blieb.

Engagiert im „Reichsbanner“, in der „Eisernen Front“ und in der Parteipresse

Die beiden ebenfalls zur Schau gestellten „Schutzhäftlinge“ Erwin Sammet und Gustav Heller hatten nicht im Staatsdienst, sondern in zivilgesellschaftlichen Organisationen den Kampf zur Verteidigung der Republik ausgefochten. Sie waren durch ihre leitende Funktion in den Wehrorganisationen der republiktreuen Kräfte in Karlsruhe bekannt geworden, dem „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“, das seit 1924 bestand, und der „Eisernen Front“, der Organisation der gemäßigten Arbeiterbewegung, die sich im Jahr 1931/32 als Antwort auf den Zusammenschluss aller rechten Kräfte in der „Harzburger Front“ gebildet hatte.

„Reichsbanner„ und „Eiserne Front“ spielten eine besondere Rolle in den letzten Krisenjahren der Republik, als der Nationalsozialismus zunehmend an Stärke gewann. In Karlsruhe hatte Erwin Sammet als dortiger Bezirksführer des „Reichsbanners“ eine Vielzahl von Demonstrationen und Kundgebungen organisiert und für den Schutz der Veranstaltungen republiktreuer Parteien gesorgt. Sein Einsatz diente der Mobilisierung einer breiten Bevölkerungsmasse für den Erhalt der Republik. Auch dem Karlsruher Stadtrat und Kampfleiter der „Eisernen Front“, Gustav Heller, war zu Anfang des Jahres 1933 der Ernst der Stunde durchaus bewusst, er hatte an der Spitze der „Eisernen Front“ alle Kräfte konzentriert, um den Sieg der Nazis zu verhindern.

Sammet und Heller wurden nach dem Verbot ihrer Organisationen am 18. März verhaftet und in das Gefängnis Riefstahlstraße gebracht. Der 17. März 1933 war ein schwarzer Tag für die badische Sozialdemokratie, als in Freiburg der psychisch kranke SPD-Abgeordnete Daniel Nussbaum verhaftet wurde und in seiner Angst und Verzweiflung zwei Polizisten erschoss. Dieser Zwischenfall diente den Nazis als Vorwand für die Zerschlagung der Arbeiterbewegung in Baden, zu der auch das Verbot der republikanischen Kampfbünde, die Unterdrückung der sozialdemokratischen Presse, die Verhaftung aller noch in Freiheit befindlichen Landtags- und Reichstagsabgeordneten gehörten. Das endgültige Verbot der SPD am 22. Juni 1933 bildete nur noch den formalen Schlusspunkt der Restriktionen, die das Ende der organisierten Arbeiterbewegung beinhalteten.

Journalismus als Straftat

Der siebte Sozialdemokrat auf dem Lastwagen war der 47-jährige „Volksfreund“-Redakteur Sally Grünebaum, der, von der „Heidelberger Volkszeitung“ kommend, nun seit fünf Jahren bei dem Karlsruher SPD-Organ tätig war. Dieses erschien als eines der ältesten sozialdemokratischen Blätter in Baden seit 1899 in Karlsruhe und widmete sich besonders in den letzten Krisenjahren der Republik dem Abwehrkampf gegen die Nationalsozialisten. Die von dem Chefredakteur Grünebaum, der wie Marum jüdischer Herkunft war, geschriebenen Artikel suchten den Kampfeswillen und die Siegeszuversicht in der Auseinandersetzung mit den Feinden der Demokratie zu stärken.

Dabei griff er auch die Führer der NS-Bewegung in Baden persönlich an. Dies sollte ihm im April 1933, als er bereits in „Schutzhaft“ genommen war, eine Beleidigungsklage des Reichstatthalters Wagner eintragen, aufgrund der er schließlich zu einer mehrmonatigen Gefängnisstrafe verurteilt wurde. Damit hatte er als einziger unter den sieben Häftlingen den Status eines verurteilten „Straftäters“ und musste so doppelt büßen für seine journalistische Arbeit, die er in den Dienst der Verteidigung der Republik gestellt hatte.

Das Ziel der Schaufahrt: das Konzentrationslager Kislau

Ziel der Schaufahrt war das im April 1933 neu eingerichtete KZ Kislau, dessen Mittelpunkt ein ehemaliges Schloss bildete. Die Nebengebäude wurden seit Jahren als Arbeitshaus für Männer genutzt. Organisatorisch von diesem getrennt, wurde dort ein zentrales Internierungslager für politische Gefangene in Baden aufgebaut. Entgegen seinen idyllisch anmutenden Baulichkeiten in der Nähe eines international besuchten Kurbades handelte es sich hier um einen Ort brutaler Unterdrückung, der um die 70 politische Gefangene in seinen Mauern festhielt. Die überwiegende Zahl der „Schutzhäftlinge“ rekrutierte sich aus den Reihen der Kommunisten und Sozialdemokraten, die in ihrer gemeinsamen Leidenszeit alle Differenzen, die vormals zwischen den beiden Arbeiterparteien bestanden hatten, zurückstellten und sich nun als Gefangene solidarisch begegneten.

Bei ihrer Ankunft mussten die sieben Sozialdemokraten sich einem Zwangsfototermin stellen, dessen Bilder am nächsten Tag in der NS-Presse veröffentlicht wurden. Die zynische Schlagzeile lautete: „Abschied von der Residenz – Sieben Novemberverbrecher ziehen nach Kislau“. Sowohl über die Existenz des Lagers als auch über die Häftlinge wurde die Öffentlichkeit genauestens unterrichtet, allerdings versuchten die Nationalsozialisten, den Charakter des Lagers als Instrument politischer Repression und Einschüchterung herunterzuspielen, indem sie internationalen Journalisten immer wieder zur Besichtigung Zugang gewährten und den Eindruck angemessener, humaner Haftbedingungen vermitteln wollten.

Kislau galt als badisches „Renommierlager“, auf dessen positiven Ruf die Nationalsozialisten sorgsam bedacht waren und das nicht verglichen werden sollte mit dem berüchtigten Lager Dachau, in das einige Häftlinge später überführt wurden und wo sich ihr Leidensweg fortsetzen sollte. Trotz des als „anständig“ geltenden Lagerleiters Mohr, der sich als ehemaliger Kolonialoffizier an den Normen des kaiserlichen Militärs orientierte, mussten die Häftlinge viele Schikanen erdulden. Zu ihnen zählten die schwere Zwangsarbeit bei den Entwässerungsarbeiten im Bruch von Bad Mingolsheim, das schlechte Essen, die ständigen Demütigungen und willkürlichen Verbote durch das Wachpersonal. Kislau muss – wie alle anderen KZs auch – als „Vorhof zur Hölle“ gelten, wie dies ein ehemaliger Häftling des württembergischen Konzentrationslagers Heuberg ausdrückte.

Das Schicksal der gedemütigten Sozialdemokraten

Für einige der sieben Sozialdemokraten bot sich nach wenigen Monaten der Haft die Perspektive der Entlassung. Unter strengen Auflagen und der erzwungenen Erklärung, sich nie wieder politisch zu betätigen, wurden Furrer, Heller und Sammet bereits im November 1933 entlassen. Remmele und Stenz folgten wenige Monate später am 9. März 1934. Wenn sie nun auch in „Freiheit“ lebten, so war ihr Leben doch dauerhaft belastet durch eine strenge polizeiliche Überwachung, den Verlust des Berufes, die Stigmatisierung als Gegner des NS-Systems, die fortan ein Leben als Außenseiter der „NS-Volksgemeinschaft“ fristeten. Die Kosten ihrer Haft hatten sie selbst zu tragen.

Das schlimmste Schicksal traf die beiden Sozialdemokraten jüdischer Herkunft, Grünebaum und Marum. Grünebaum wurde am 18. Oktober 1933 entlassen unter der Auflage, Deutschland zu verlassen. Er emigrierte nach Palästina, wo ihm bis zu seinem Tode 1948 der Aufbau einer gesicherten Existenz nicht gelang. Marum wurde in Kislau – während der Abwesenheit des Kommandanten Mohr – auf Befehl Wagners von NS-Schergen in der Nacht vom 28. auf den 29. März 1934 ermordet. Er hatte sich durch eine besonders aufrechte, den anderen Trost zusprechende Haltung ausgezeichnet und die ihm gebotenen Fluchtmöglichkeiten unter Hinweis auf seine Solidarität mit den Mitgefangenen und der geknechteten deutschen Arbeiterschaft abgelehnt. Er gehörte zu den frühesten Opfern des NS-Terrors in Baden. Als „badischer Rathenau“ – wie ihn Innenminister Pflaumer titulierte – traf ihn der unerbittliche Hass der Nazis. Sein gewaltsames Ende konnte als Menetekel für die kommenden Leiden der politischen Opposition und der Juden gelten.

Die in Deutschland überlebenden fünf Sozialdemokraten beteiligten sich nach Kriegsende am Aufbau der neuen deutschen Demokratie in Westdeutschland. Sie taten dies als Mitglieder der Sozialdemokratie, die an ihre alten Ideale der sozialen Gerechtigkeit und des Rechtsstaates anknüpfte. Remmele und Heller wurde wegen ihrer Verdienste die Ehrenbürgerschaft der Stadt Karlsruhe zuerkannt, Stenz nahm seine Arbeit in der Ministerialbürokratie wieder auf, Furrer und Sammet lebten als geachtete Bürger bis zu ihrem Tode in Karlsruhe.

Der Umgang mit den Tätern

Die Hauptverantwortlichen für die Schaufahrt, Reichsstatthalter Wagner und der nationalsozialistische Innenminister Pflaumer, wurden beide nach Kriegsende vor Gericht gestellt. Während über Wagner das Todesurteil verhängt und am 13. August 1946 in Straßburg vollstreckt wurde, erhielt Pflaumer vor der Spruchkammer in Karlsruhe nur die Einstufung als „Belasteter“ und konnte nach einer geringen Haftzeit sein Leben bis zu seinem Tode 1971 in Freiheit verbringen, ausgestattet mit einer reichlichen Pension für seine geleisteten Beamtendienste.

Die Schaufahrt im kollektiven Gedächtnis Karlsruhes

Im kollektiven Gedächtnis der Stadt Karlsruhe, die in der Nachkriegszeit zum Sitz der höchsten Gerichte der Bundesrepublik wurde, nahm die Schaufahrt und die in ihr offenbar werdende eklatante Verletzung des Rechtsstaates lange Zeit keinen zentralen Platz ein. Scham- und Schuldgefühle blockierten den offenen Umgang mit der Geschichte. Während die prominenten Sozialdemokraten Marum und Remmele im Lauf der Zeit jedoch zunehmend in den Fokus der lokalen Erinnerungsarbeit rückten, war die Schaufahrt zunächst nur von untergeordnetem Interesse.

Dies änderte sich, als sie in den Jahren 2003 und 2008 anlässlich des 70. und 75. Jahrestags ihrer Wiederkehr noch einmal inszeniert und nachgestellt wurde und eine städtische Ausstellung über die damaligen Vorgänge informierte. Bei der Reinszenierung wurden junge Menschen aktiv, zuerst die Schülerinnen und Schüler des Ludwig-Marum-Gymnasiums Pfinztal, später die Jungsozialisten, die sich zu einem Demonstrationszug formierten und Flugblätter mit Informationen über die Schaufahrt von 1933 verteilten. Sie folgten einem historischen Polizeilastwagen, auf dem sieben Jugendliche die ehemaligen Häftlinge darstellten. Dies stieß in der städtischen Öffentlichkeit und Presse auf große Resonanz und förderte den Prozess, die entwürdigende Schaufahrt im kollektiven Gedächtnis der Stadt zu verankern.

Dennoch ist auch heute die Schaufahrt noch nicht zu einem selbstverständlichen Erinnerungsort in der Gedächtnisgemeinschaft in Baden-Württemberg geworden. Es bedarf weiterer Anstrengungen, auch für künftige Generationen die Erinnerung an diesen eklatanten Verstoß gegen die Menschenrechte wachzuhalten. Dies kann den stetigen Einsatz für eine Kultur der Humanität und Menschenwürde nur fördern und helfen, die Identität unseres demokratischen Gemeinwesens zu bewahren.

Überblick: Erinnerungsorte in Baden-Württemberg

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