Unternehmerische Persönlichkeiten - Gottlieb Daimler, Carl Benz und Robert Bosch

Zu den Ursprüngen zweier "Global Players" - Erinnerungsorte in Baden-Württemberg

Die Firmennamen verweisen noch auf die kleinen schwäbischen Anfänge der beiden großen Konzerne von weltweiter Bedeutung. Es sind die Namen von Menschen. Ein dritter Menschenname musste im Zuge einer transkontinentalen Fusion weichen. Geblieben sind Daimler und Bosch, gewichen ist Benz. Die Daimler AG und die Robert Bosch GmbH beschäftigen heute weltweit mehr als eine halbe Million Menschen und setzen gemeinsam rund 120 Milliarden Euro um.

Gottlieb Daimler, Carl Benz und Robert Bosch waren Fleisch gewordenes Unternehmertum. Die Unternehmen, die sie gründeten und hochbrachten, waren institutionelle Erweiterungen ihrer Persönlichkeiten. Ohne sie gäbe es die beiden Industriegiganten heute nicht. Deshalb ist es angebracht, an ihre Ursprünge in den beiden letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts zu erinnern.

Autor: Volker Hentschel

Der Text von Volker Hentschel erschien unter dem Titel „Unternehmerische Persönlichkeiten - Zu den Ursprüngen zweier 'Global Players'" anlässlich des 60. Jahrestages von Baden-Württemberg. Darin werden 51 Erinnerungsorte Baden-Württembergs vorgestellt. 

LpB-Shop: Baden-württembergische Einnerungsorte

Nach oben

Die wirkungsvollsten Unternehmer im deutschen Südwesten

Unternehmertum ist eine Sache der persönlichen Anlage und der zeitlichen Umstände. Die zeitlichen Umstände ermöglichen Unternehmertum und die persönlichen Anlagen erkennen und realisieren die Möglichkeiten. Ob es einen bestimmten Typus „Unternehmer“ gibt, kann dahinstehen. Daimler, Benz und Bosch etwa hatten manche Merkmale der Herkunft, des Wesens und des Werdeganges gemein, andere Merkmale trennten sie voneinander. Dass dennoch alle drei und dass gerade diese drei die langfristig wirkungsvollsten Unternehmer ihrer Zeit in Baden und Württemberg wurden, ist auch dem Zufall zuzuschreiben. Zwingend war es nicht. Es lässt sich beschreiben, aber nicht eigentlich erklären.

Gottlieb Daimler wurde 1834 in Schorndorf, Carl Benz zehn Jahre später in Karlsruhe und Robert Bosch 1861 in Albeck bei Ulm geboren. Als Daimler zur Welt kam, konnte von Industrialisierung in Deutschland noch nicht die Rede sein, als Bosch geboren wurde, steckten die Deutschen mittendrin. Baden und Württemberg bekamen vorerst allerdings wenig davon mit. Die Herkunft aller drei ließ schwerlich ahnen, dass sie gegen Ende des Jahrhunderts die technische und die wirtschaftliche Modernisierung der Region wesentlich vorantreiben würden.

In der Schule glänzte keiner. Dennoch waren alle drei außerordentlich klug. Daimler und Bosch verließen die Schule früh und erlernten ein Handwerk, die vormoderne Büchsenmacherei der eine, die fortschrittliche, im Lehrbetrieb aber unverständig geübte Feinmechanik der andere. Benz ersetzte die Lehre durch den Besuch der Polytechnischen Schule in Karlsruhe. Daimler und Bosch holten dies später nach. Dabei oblag Daimler dem Studium des Maschinenbaus von 1857 bis 1859 einigermaßen ausdauernd, wogegen Bosch es 1883/84 mit einem Semester Elektrotechnik, das ihm „die Furcht vor den technischen Ausdrücken“ nahm, genug sein ließ.

Parallelen und Unterschiede

Vor und nach dem Besuch der Polytechnischen Schulen taten sich alle drei als Gesellen und Vorarbeiter in mehreren, örtlich weit gestreuten Werkstätten und Fabriken um. Daimler kam dabei auch nach England und Frankreich, Bosch, der unruhigste von allen, sogar nach Amerika. Es gefiel ihm dort aber nicht. Nach einem Jahr kehrte er zurück – als überzeugter „Socialist“. Die etwas juvenile, theoretisch begründete Überzeugung wandelte sich in reiferem Alter zur Praxis einer sozialen Unternehmensführung.

Benz und Bosch stand der Sinn früh nach unternehmerischer Selbstständigkeit; Daimler stand er anscheinend nicht danach. Er machte ein Vermögen als Angestellter. 1872 wurde er – 38-jährig inzwischen – zum Produktionsleiter der Gasmotorenfabrik in Deutz berufen. Benz hatte schon im Vorjahr im Alter von 26 Jahren in Mannheim eine eigene mechanische Werkstätte gegründet. Für Daimler begann ein Jahrzehnt großen materiellen Erfolgs und zunehmender beruflicher Querelen, für Benz ein Jahrzehnt wirtschaftlicher Nöte bei beruflicher Unabhängigkeit. Beschäftigt waren beide neuerdings mit dem Gleichen: mit der Konstruktion von Verbrennungsmotoren.

Der Streit um den Verbrennungsmotor

Das Prinzip des Verbrennungsmotors ist es, dass ein Gemisch aus Kraftstoff und Luft von einem Zylinder angesaugt, darin verdichtet und schließlich entzündet wird. Infolge seiner Verbrennung dehnt das Gas sich aus und bewegt einen Kolben, dessen Hubkraft in mechanische Arbeit umgesetzt werden kann. Der ursprüngliche Vorteil des Verbrennungsmotors vor der Dampfmaschine war, dass er kleiner sein und je nach Energiebedarf ohne längere Vorbereitung an- und abgestellt werden konnte. Das senkte die Herstellungs- und Betriebskosten und ermöglichte Werkstätten und kleineren Fabriken, die sich eine Dampfmaschine nicht leisten konnten, die Nutzung mechanischer Energie. Als Kraftstoff wurde anfangs Leuchtgas verwendet. Das Gas musste den Motoren von einem Gaswerk zugeführt werden. Deshalb konnten sie zunächst nur stationär betrieben werden.

Die Inhaber der Deutzer Fabrik gehörten zu den Erfindern des Verbrennungsmotors. Die Fabrik diente der wirtschaftlichen Verwertung ihrer Erfindung. Einer von ihnen, Nikolaus August Otto, entwickelte den Motor in den nächsten Jahren zum Prototyp des Verbrennungsmotors, zum Viertakt- Otto-Motor, weiter. Dabei geriet erstmals ein Kraftstoff in den Blick, der den Verbrennungsmotor von der Zufuhr durch eine Leitung emanzipierte. Bei dem Stoff handelte es sich um Petroleum. Derweil mühte sich Benz in Mannheim neben dem Bau von Maschinen- und Eisenteilen mit der Konstruktion eines herkömmlichen Zweitaktmotors ab und ging dabei fast pleite. 1877 wurde sein Werkzeug konfisziert und versteigert, damit seine Gläubiger befriedigt wer den konnten. Und als sein Motor schließlich lief, war er von Ottos Viertakter bereits überholt worden.

Disput zwischen Daimler und Otto

Die lebhafte Nachfrage nach stationären Viertaktmotoren machte die Deutzer Maschinenfabrik zu einem außerordentlich ertragreichen Unternehmen. Daimler war am Gewinn beteiligt und wurde infolgedessen ein reicher Mann. Dennoch wurde ihm die Arbeit zusehends verleidet. Otto und er verstanden einander nicht. Und da beide hitzig aufbrausenden Charakters waren, entlud sich ihr wechselseitiges Unverständnis wieder und wieder in heftigem Streit. Ein Gegenstand der Auseinandersetzung war die Richtung, in die das Unternehmen zu lenken wäre.

Daimler meinte, dass der technische Reiz und die eigentlichen wirtschaftlichen Chancen des Verbrennungsmotors in der Möglichkeit seiner Verkleinerung und Beweglichkeit lägen. Otto schien der Erfolg seines stationären Schwergewichts den Blick dafür zu trüben. Einer von beiden musste schließlich gehen. Das war selbstverständlich der Angestellte Daimler. Er ging 1882 zurück nach Schwaben und ließ sich in einem stattlichen Anwesen in Cannstatt nieder. Der Gebrauch der Cannstatter Heilquellen täte seinem angegriffenen Herzen gut, dachte er. Der Gedanke war verfehlt, aber er führte dazu, dass Württembergs größtes Industrieunternehmen ausgerechnet in Cannstatt entstand.

Die Cannstatter Benzinkutsche

Mit Gottlieb Daimler kam Wilhelm Maybach nach Cannstatt. Maybach war zwölf Jahre jünger als Daimler und ein ingeniöser Konstrukteur, der nie eine systematische Ausbildung, geschweige denn eine wissenschaftlich-technisch Schulung erhalten hatte. Daimler hatte Maybachs ungewöhnliche Talente entdeckt, als der beinahe noch ein Kind gewesen war, hatte sie gefördert und hatte Maybach immer dorthin mitgenommen, wohin er selber ging. In Deutz hatte Maybach das Konstruktionsbüro geleitet.

Jetzt machte er sich mit Daimler im Gewächshaus jenes stattlichen Anwesens daran, einen Motor zu konstruieren, der in Fahrzeuge eingebaut werden und diese Fahrzeuge antreiben konnte. Das machte sie zu selbstbeweglichen Fahrzeugen – zu Automobilen. Dazu musste der ungefüge Gasmotor verkleinert und dessen Drehzahl vergrößert, überdies von Gas auf Benzin umgestellt und mit einer motorinternen Zündung versehen werden. Das war kein kleines Vorhaben. Aber es gelang in erstaunlich kurzer Zeit. 1886 fuhr zum Schrecken der Menschen eine vierrädrige Pferdekutsche durch Cannstatt, der keine Pferde vorgespannt waren, zwischen deren Sitzbänken vielmehr ein kleiner Motor lautstark ratterte.

Ein paralleler Weg zum gleichen Ziel: Carl Benz

Zuvor schon, im Januar des gleichen Jahres, war ein motorgetriebenes Dreirad durch Mannheim gerattert. Das kleinere, ungelenkere Fahrzeug war ein Erzeugnis der Benz Rheinische Gasmotorenfabrik & Cie. Carl Benz war es im Jahre 1883 schließlich gelungen, Geldgeber zu finden, die sein Geschäft auf sichere materielle Grundlagen stellten. Das Unternehmen produzierte stationäre Gasmotoren, war damit erfolgreich und hatte bereits 40 Beschäftigte. Gleich Daimler erahnte allerdings auch Benz, dass die Zukunft des Verbrennungsmotors auf der Straße läge. Deshalb bemühte auch er sich um die Konstruktion eines Fahrzeugs, das von einem Motor angetrieben wird. Dabei ging er anders vor als Daimler. Daimler baute seinen Motor in eine hergebrachte Pferdekutsche ein, Benz baute eine Kutsche um den Motor herum.

Das war auf längere Sicht das richtigere, weil zukunftsweisende Konstruktionsprinzip. Es führte von der Motorkutsche zum modernen Auto. Im Vergleich der beiden ersten Motorkutschen miteinander schnitt die Kutsche Daimlers und Maybachs aber zunächst besser ab. Der Motor war leistungsfähiger, das Fahrzeug fuhr schneller und ließ sich besser lenken. Ob deshalb Daimler und Maybach die eigentlichen Erfinder des Autos sind, oder ob Benz dessen Erfinder ist, weil sein „Veloziped“ vor Daimlers motorisierter Pferdekutsche fuhr, ist eine – ziemlich unerhebliche – Ermessenssache.

Robert Bosch und das Problem der Zündung

Beide Kutschen fuhren im Jahr 1886. Dieses Jahr war aber noch aus zwei anderen Gründen ein Schlüsseljahr in der Geschichte des Automobilbaus und der beiden Unternehmen. Zum einen erlosch Ottos Patent für den Viertaktmotor. Von nun an konnten Benz und Daimler auch den Viertakter zum Antrieb von Fahrzeugen weiterentwickeln. Und zum anderen gründete Robert Bosch in Stuttgart, Rotebühlstraße 75 B eine Werkstätte für Feinmechanik und Elektrotechnik.

Bosch war inzwischen 25 Jahre alt geworden; sein ungeduldiges, zuweilen schroffes Temperament drängte auf Unabhängigkeit, und sein nicht geringes Selbstbewusstsein fühlte sich dafür reif. Das kleine Unternehmen machte alles, was es konnte und was von ihm verlangt wurde. Und es war so wenig wie weiland Benz’ Mannheimer Werkstatt mit frühzeitigem Erfolg gesegnet. An den Rand der Pleite geriet es allerdings nicht, weil Robert Bosch mit Krediten seiner Familie rechnen konnte. Dennoch war es, schrieb er später, lange Zeit „ein böses Gewürge“. Dabei begegnete ihm schon im Jahr nach der Gründung die Vorrichtung, mit der er sein unternehmerisches Glück machte. Die Vorrichtung war ein elektromagnetischer Zündapparat für Gasmotoren, der schon vor anderthalb Jahrzehnten von einem einfallsreichen Bastler erfunden und jüngst von einem Ingenieur der Deutzer Maschinenfabrik weiterentwickelt worden war.

Ein kleingewerblicher Kunde forderte Bosch dazu auf, ihm derlei Zünder für einen ortsfesten Gasmotor zu bauen. Bosch erkundigte sich in Deutz danach, ob der Zünder patentiert sei. Da er keine Antwort erhielt, nahm er an, dass es kein Patent gäbe und versuchte sich am Bau des Geräts. Tatsächlich gab es ein Patent. Daran wurde man in Deutz aber ungern erinnert. Es gehörte nämlich dem Bastler. Wenig später ging es infolge von Nachlässigkeit verloren. Derweil war Boschs Versuch, den Zündapparat nachzubauen, erfolgreich gewesen. Robert Bosch hatte sich, ohne sich dessen ganz bewusst zu sein, dem „Problem der Probleme des Automobilbaus“ (Carl Benz) zugewendet.

Boschs Erfolgslösung

Das Problem war bisher auf unterschiedliche, aber allemal unzureichende Weise „gelöst“ worden. Benz erzeugte den Zündfunken mit Hilfe einer Batterie. Die Batterie entlud sich schnell und musste nach kurzer Fahrstrecke nachgeladen werden. Daimler hatte ein Glasrohr entwickelt, das außerhalb des Zylinders von einem Flämmchen erhitzt wurde, in den Zylinder hineinragte und darin das Gemisch explodieren ließ. Das Verfahren ermangelte bei hohen Drehzahlen der Funktionssicherheit und war mit der Gefahr verbunden, Motor und Gefährt in Brand zu setzen.

Daimler glaubte aber an seine Erfindung. Er gab Boschs Wunsch, ihm seinen Zünder vorzuführen, zwar nach, ließ sich davon aber nicht beeindrucken. Benz lernte Boschs Zünder erst sechs Jahre später kennen und verhielt sich zunächst ähnlich dazu wie Daimler. So baute Bosch vorerst elektromagnetische Zündapparate für stationäre Motoren und verkaufte sie an Kunden im Raum Stuttgart. Der Bau der Zünder erwies sich dennoch als hauptsächliche Triebkraft des kleinen Unternehmens. Fünf Jahre nach dessen Gründung beschäftigte Bosch 24 Arbeiter und machte an die 60 Prozent seines Umsatzes mit Zündern. Die Verbindung zum Autobau, die für den eigentlichen Aufschwung sorgte, stand noch bevor.

Anfänge, Probleme und Erfolge

Bis dahin gründete Gottlieb Daimler ein eigenes Unternehmen und Benz wurde von einem Gasmotorenhersteller zu einem Autoproduzenten. Daimlers Unternehmen entstand im Sommer 1887 am Cannstatter Seelberg nicht als Auto-, sondern als Motorenfabrik. Es war so erfolgreich, das es bald an Daimlers individuelle Finanzierungsgrenzen stieß. Deshalb wurde es im Jahr 1890 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Die Aktien hielten zu gleichen Anteilen Daimler, ein Rottweiler Pulverfabrikant und ein Karlsruher Patronenhersteller. Die Leitung war vertraglich Gottlieb Daimler vorbehalten. Maybach sollte ursprünglich dem Vorstand angehören, blieb dem Unternehmen dann aber fern und arbeitete als unabhängiger Angestellter Daimlers weiter an der Entwicklung des Automobils, von dem die beiden anderen Aktionäre wenig wissen wollten.

Im gleichen Jahr zogen sich Carl Benz’ Teilhaber aus dessen Mannheimer Werkstatt zurück. Sie fürchteten, dass der Weg zur Automobilfabrik, den Benz eingeschlagen hatte, eine Sackgasse wäre. Sie hielten das Auto für ein teures Spielzeug, das schwerlich genügend Käufer fände. Glücklicherweise traten zwei vermögende Männer an ihre Stelle, die Benz’ Zuversicht teilten. Das Unternehmen florierte – vorerst noch als Produzent von Motoren, deren guter Absatz und Ertrag auch die Entwicklung und den Bau von Automobilen erlaubte. 1895 lieferte Benz den tausendsten Motor und das 70. Motorfahrzeug aus. Im darauf folgenden Jahr brachte die Mannheimer Fabrik ein kleines, relativ billiges Fahrzeug auf den Markt, von dem gleich im ersten Jahr 70 Stück abgesetzt wurden. Das war der Durchbruch.

In schroffem Gegensatz dazu schien die Daimler-Motoren-Gesellschaft AG in diesem Jahr am Abgrund zu stehen. Nach der Neugründung wurde kräftig in das Unternehmen investiert. Anlagen, mit denen 200 Arbeiter jährlich 400 Motoren bauen konnten, entstanden. Der Absatz und die Beschäftigung blieben weit dahinter zurück. Große Verluste liefen auf. Außerdem überließen die beiden anderen Aktionäre Daimler mitnichten die alleinige Führung des Unternehmens. Sie redeten ihm nachdrücklich hinein und Daimler stritt sich heftig mit ihnen.

Simms' Angebot

Im Herbst 1894 bot man ihm an, ihn mit einem Drittel seiner Einlage auszukaufen. Anderenfalls sollte ein Konkursantrag gestellt werden. Daimler ging, 60 Jahre alt inzwischen, krank und knurrig. Als die Rheinische Gasmotorenfabrik mit Benz die zukunftweisende Produktion des ersten „Serienautos“ aufnahm, war die Daimler AG ohne Daimler drauf und dran, sich auf die Rolle eines konventionellen Motorfabrikanten zu beschränken.

Da kam der Engländer Frederick Simms ins Spiel. Simms war ein unternehmerischer, ziemlich überzeugungskräftiger, nicht wenig gerissener Mann von etwas mehr als 30 Jahren, der sich 1892 das ausschließliche Recht hatte zusichern lassen, die Erzeugnisse der Daimler AG in England zu vertreiben. Sein Interesse galt dem Auto. 1895 brachte Simms in der Absicht, Autos in England nicht mehr nur zu vertreiben, sondern auch zu produzieren, ein finanzstarkes Konsortium zusammen und bot dem finanzschwachen Unternehmen in Cannstatt einen außerordentlich hohen Betrag für alle seine Autopatente an – unter der Bedingung allerdings, dass Gottlieb Daimler die Leitung des Unternehmens wieder übernähme und Maybach alle Patente mitbrächte, zu denen Maybachs Tätigkeit im Auftrag Daimlers außerhalb der Motoren- Gesellschaft geführt hatte. Die verbliebenen Gesellschafter mochten sich den starken Zuschuss an Liquidität nicht entgehen lassen und unterwarfen sich der Bedingung. Die „Wiedervereinigung“ kam vor allem deshalb einer Neugründung gleich, weil die strategische Ausrichtung des Unternehmens sich änderte. Von nun an waren die Entwicklung und die Produktion von Straßenfahrzeugen vorrangiger Unternehmenszweck der Daimler AG. Bei Benz ergab sich derlei Wandel der Prioritäten gleichsam organisch aus dem laufenden Geschäft. In beiden Fällen handelte es sich um eine Wendung, deren Richtigkeit von unternehmerischem Erfolg nachdrücklich bestätigt wurde. Dazu trug ein Vorgang bei, an dem abermals Frederick Simms initiativ beteiligt war und der auch Robert Bosch endgültig auf den Weg des Fortschritts brachte.

Daimler und Benz auf dem Weg zu industriellen Großbetrieben

Das Auto hatte inzwischen den Anschein, eine motorisierte Kutsche zu sein, verloren und war dank zahlreichen Entwicklungen, die den Motor, das Getriebe und die Schaltung, die Kühlung, die Lenkung, die Federung und die Bereifung betrafen, zu einem Fahrzeug eigener Art geworden. Dessen hauptsächliches Problem war die Zündung geblieben. Es gab noch immer keine Zündung, die bei hohen Drehzahlen zuverlässig und gefahrlos funktionierte. Simms war auf der Suche nach einer solchen. Dabei kam ihm mit einiger Notwendigkeit die Zündung von Robert Bosch unter. 1897 schickte er Bosch ein dreirädriges Auto französischer Herkunft, das auf ungewöhnlich hohen Touren lief und mit einer unzulänglichen Batteriezündung ausgestattet war.

Bei Bosch baute man eine Magnetzündung ein und stellte fest, dass sie von der hohen Drehzahl überfordert wurde. Die Erzeugung von Zündfunken kam mit der Geschwindigkeit der Drehungen nicht mit. Damit fand Bosch sich selbstverständlich nicht ab. Nicht er selbst, sondern sein junger Werkführer Arnold Zähringer hatte nach einigem Pröbeln die zündende Idee. Er ließ nicht mehr den schwerfälligen Anker pendeln, um Änderungen der Magnetstärke hervorzurufen, er stellte vielmehr die Ankerspule fest und ließ eine leicht bewegliche Eisenhülse um ihn pendeln. Die Neuerung schlug durch. Simms erhielt seine „Voiturette“ mit Pendelhülsen-Magneto und tat zweierlei. Er übernahm außer der Vertretung von Daimler Motorfahrzeugen auch die Vertretung von Bosch-Zündern in England und er forderte als Mitglied des Aufsichtsrats der Daimler AG deren Vorstand zu dem Versuch auf, die Glührohzündung durch die neue Magnetzündung zu ersetzen.

Daimler folgte der Aufforderung unwillig. Maybach hingegen erkannte die Vorzüge der Drehhülsenzündung schnell und verhandelte mit Bosch über den Aufkauf der Werkstatt und des Patents durch die Daimler AG. Dazu war Bosch nicht zu bewegen. Er erahnte das wirtschaftliche Potenzial des technischen Vorsprungs, den ihm Zähringers Erfindung eingetragen hatte und wollte es selbst erschließen. Inzwischen war auch Carl Benz auf die Drehhülsenzündung aufmerksam geworden, war eigens nach Stuttgart gereist, um sie in Betrieb zu sehen und hatte erste Bestellungen aufgegeben. Weder er noch Daimler gingen rasch entschieden zu Boschs Erzeugnis über. Eher wehrten sie sich gegen den Übergang. Das änderte aber nichts daran, dass die unternehmerischen Interessen und Entwicklungen von Daimler und Benz einerseits sowie Bosch andererseits sich von nun an ineinander verschlangen.

Wandel und Aufstieg der Unternehmen

Die Verschlingung vollzog sich im weiteren Wirkungszusammenhang zwar konjunkturell gebrochenen, aber im Trend außerordentlich starken und ungewöhnlich ausdauernden wirtschaftlichen Wachstums. Von 1895 bis 1914 nahmen die Beschäftigung und das Sozialprodukt der deutschen Volkswirtschaft im Zeichen schwungkräftigen technischen Fortschritts und weitgehender internationaler Handelsfreiheit schneller zu als je zuvor.

Daimler, Benz und Bosch gerieten in den Sog dieser Entwicklungen und gehörten in Wechselbeziehung zueinander sowohl zu deren Trägern wie zu ihren Gewinnern. In der zweiten Hälfte der 1890er-Jahre kamen sie endgültig über ihre kleingewerblichen, zeitweise von Misserfolg bedrohten, schwäbisch und badisch fundierten Anfänge hinweg und gerieten auf die Bahn zu internationalen industriellen Großbetrieben, für die Erfolg selbstverständlich wurde. Daimler und Benz hatten 1895 nicht mehr als jeweils 150, Bosch noch keine 50 Beschäftigten. 1912 zählten die Belegschaften von Daimler und Benz mehr und die Belegschaft von Bosch kaum weniger als 5000 Beschäftigte.

Gottlieb Daimler und Carl Benz, die unternehmerischen Techniker, die Gründer wurden, waren an dem Wandel und Aufstieg ihrer Unternehmen selbst nicht mehr beteiligt. Es erwies sich, dass es von nun auch ohne sie ging, besser womöglich als weiterhin mit ihnen. Sie waren alt geworden und Neuem kaum mehr aufgeschlossen. Vorher wäre es nicht ohne sie gegangen. Ohne ihre Visionen, ihre Risikobereitschaft und ihre Hartnäckigkeit hätte es die Unternehmen und die Möglichkeiten ihres Aufstiegs nicht gegeben. Bosch war noch jung, blieb und führte seine kleingewerbliche Werkstatt selbst zu industrieller Größe. Dabei war auch er drauf und dran, kurz vor dem Aufstieg auszusteigen.

"Mercedes"

Gottlieb Daimler starb – kurz vor seinem 66. Geburtstag – im März 1900. Zu seinen Lebzeiten noch war das Unternehmen in eine engere geschäftliche Beziehung zu dem reichen, autoversessenen Kaufmann Emil Jellinek in Nizza getreten. Seit 1897 kaufte Jellinek jährlich um die zehn Autos in Cannstatt und verkaufte sie in Frankreich weiter. Anfang 1900 verhandelte er mit Daimler über den Kauf von 36 Autos auf einen Streich, wenn jene Autos nach seinen Vorstellungen gebaut würden. 36 Autos waren etwa ein Drittel der jährlichen Produktion. Nach Daimlers Tod kam der Vertrag zustande.

Das Auto, das nach Jellineks Vorgaben mit geringerem Gewicht, weiterem Radstand, niedrigerem Schwerpunkt und stärkerem Motor sowie Boschs Pendelhülsenzündung konstruiert wurde, erwies sich rasch als großer technischer Fortschritt und durchschlagender wirtschaftlicher Erfolg. Es war das erste Auto, das einen Namen erhielt, den Namen von Jellineks Tochter. Die hieß Mercedes. Der Mercedes gewann ein Autorennen nach dem anderen und verhalf der Daimler AG von einem Jahr zum anderen zu enormen Umsatzsprüngen. Schnell platzte die Fabrik am Cannstatter Seelberg aus allen Nähten. Im Mai 1904 wurde sie auf ein 18 Hektar großes Grundstück in Untertürkheim verlegt.

Auf dem Weg zu Publikumsgesellschaften

Bis zum Bau des Mercedes war Benz’ Motorenfabrik das größte Autounternehmen der Welt gewesen. 1900 baute sie mit 400 Beschäftigten 600 Fahrzeuge. Dann verpasste Benz technisch den Anschluss. Er blieb dem Erfolg des Mercedes zum Trotz bei seinem Konstruktionsprinzip. Innerhalb von drei Jahren schrumpfte der Absatz auf weniger als ein Drittel, große Verluste liefen auf. Im Vorstand kam es zu heftigen Auseinandersetzungen über die Produktpolitik.

Im April 1903 schied Carl Benz im Streit aus dem Vorstand aus und gründete mit seinen Söhnen in Ladenburg eine eigene Firma. Die blieb bedeutungslos, während die Rheinische Motorenfabrik, die Benz’ Namen behielt, im Anschluss an Daimler technisch wieder Fuß fasste und wirtschaftlich wieder erfolgreich wurde. Vier Jahre nach der Daimler AG zog auch die Benz AG auf ein wesentlich größeres Fabrikgelände um. Inzwischen hatten beide Unternehmen bemerkenswerte Kapitalerhöhungen durchgeführt und waren dabei von Eigentümerunternehmen im Gewand einer AG zu Publikumsgesellschaften geworden.

Die Lichtbogenzündung von Bosch blieb weltweit konkurrenzlos

Selbstverständlich hatte die technische Erneuerung bei Benz sich auch auf den regelmäßigen Einbau von Bosch-Zündungen erstreckt. Jene Zündung war inzwischen von einem anderen jungen Mitarbeiter Boschs zur Lichtbogenzündung weiterentwickelt worden. Das machte sie praktisch konkurrenzlos. Die Entwicklung wurde von der Erhöhung der Motorendrehzahl und der Koppelung mehrerer Zylinder bei Daimler angeregt und ermöglichte beides. Deshalb war der Daimler AG daran gelegen, ein Recht auf ausschließlichen Bezug der neuen Zündung zu erwerben. Darauf ging Bosch so wenig ein, wie er Jahre zuvor auf das Übernahmeangebot Maybachs eingegangen war.

Mittlerweile waren viele namhafte Autofabrikanten im Inland und im Ausland Bosch-Kunden geworden. Die Werkstatt hatte sich längst zu einer ansehnlichen Fabrik ausgewachsen, die auf neuem Firmengelände in der Hoppenlaustraße in Stuttgart 250 Arbeitskräfte beschäftigte. Das war fast ausschließlich dem Zünder zu verdanken.

Bosch verstand die Ausschließlichkeit nicht nur als Grund zur Freude. Ihm behagte die hochgradige Spezialisierung wenig. Er hätte eine Fabrik mit breitem Produktionsprogramm vorgezogen. Deshalb reizte ihn im Jahr 1905 der Vorschlag Frederick Simms’, ihm das Zündergeschäft für fünf Millionen Mark in bar abzukaufen. Das war als Kaufpreis für das aktuelle Unternehmen eine enorme Summe, als Gegenwert für dessen wirtschaftliches Potenzial war sie ein Klacks. Bosch war dennoch zum Verkauf bereit. Seine beiden Erfinder wollten bleiben. Simms brachte dann allerdings das Geld nicht schnell genug auf. Deshalb blieb Bosch auch und prägte das Unternehmen noch jahrzehntelang auf seine höchst persönliche und bis in die Gegenwart nachwirkende Weise.

Weiterführende Informationen

Robert Bosch (1861–1942)

Sozialer Unternehmer, Visionär und Mäzen

Anders als viele andere Unternehmer tat sich Robert Bosch nicht nur durch wirtschaftliche Erfolge, sondern auch durch ein ausgeprägtes soziales Interesse, überzeugtes Engagement für Gerechtigkeit und große Wertschätzung aufrecht vertretener Meinungen hervor.

Biografie: Robert Bosch

Überblick: Erinnerungsorte in Baden-Württemberg

Cookieeinstellungen
X

Wir verwenden Cookies

Wir nutzen auf unseren Websites Cookies. Einige sind notwendig, während andere uns helfen, eine komfortable Nutzung diese Website zu ermöglichen. Einige Cookies werden ggf. für den Abruf eingebetteter Dienste und Inhalte Dritter (z.B. YouTube) von den jeweiligen Anbietern vorausgesetzt und von diesen gesetzt. Gegebenenfalls werden in diesen Fällen auch personenbezogene Informationen an Dritte übertragen. Bitte entscheiden Sie, welche Kategorien Sie zulassen möchten.